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Masken der Steinzeit

Wenn Väter sich als Weihnachtsmann verkleiden oder wenn die Jecken sich zu Karneval Masken aufsetzen, dann steckt etwas Archaisches dahinter: Maskierung ist ein kulturelles Phänomen, das es schon in der Steinzeit gab. In Halle an der Saale haben sich Archäologen getroffen, um ihre Erkenntnisse über "Masken der Vorzeit in Europa" auszutauschen.

Von Christian Forberg | 03.12.2009
    Schon das Plakat versprach Spannung: Ein Gesicht, weitgehend verdeckt von einer Maske aus Fell mit aufgebundenem Gehörn eines Rehs – die Bayern würden vielleicht ihren Wolpertinger erkennen. In die Stirn hängen Zähne wie Fransen, durch die versteckt zwei Augen starren. Der Mund ist wohlgeformt und – scheint rot geschminkt: Es ist eine Frau, die "Schamanin von Bad Dürrenberg", wie sie Sachsen-Anhalts Landesarchäologe Harald Meller nennt – in Anführungszeichen: Sicher ist das nicht. Er lobt die Arbeit des Malers Karol Schauer, der die Frau und vieles andere im Halleschen Landesmuseum für Vorgeschichte quasi ins Leben zurück geholt hat,

    "Dass sie ganz funkelnd, ganz gefährlich, ganz spannend aussieht, und dass die prähistorischen Menschen nicht diskriminiert werden und nicht irgendwie minderwertig erscheinen, sondern als das, was sie waren, als real-präsente, starke Wesen. Und gerade diese Maskierten waren gefährlich, denn die Maske verleiht Macht, die Maske verbirgt, die Maske verwandelt, und das war sicherlich bei diesen mesolithischen und paläolithischen Masken in ganz besonderem Maße der Fall."
    Die Plakatmaske ist eine fantasievolle Zusammenfügung der überdurchschnittlich reichen Gaben, die der etwa 30 Jahre alten Frau vor annähernd 9000 Jahren ins Grab gelegt wurden. Wie die Maske wirklich aussah, weiß keiner, und das ist die generelle Crux für Professor Meller und Kollegen:

    "Das hängt damit zusammen, dass Masken häufig aus organischem Material und nicht erhalten sind. Masken sind aus der Vorgeschichte als Totenmasken aus Metall oder sie sind erhalten zum Beispiel in Gesichtshelmen als Maske des Kriegers."
    Die Mehrzahl waren Tiermasken, Rindenmasken, Lehmmasken, Laubmasken – sie alle sind längst vergangen. Die Masken kamen in der Altsteinzeit, dem Paläolithikum auf. Nachdem die Menschen Hunderttausende von Jahren lang mit Speeren, Pfeil und Bogen Tiere gejagt und notfalls andere Stämme vertrieben hatten, ohne groß darüber nachzudenken, begannen sie vor etwa 40.000 Jahren ihr Handeln zu reflektieren. So interpretiert der Berliner Philosoph Constantin Rauer die vielen Höhlenzeichnungen, auf denen Tiere und Menschen sterben.

    "Und da das in der Zeit noch ein fast ähnlicher Vorgang ist - der Krieg und die Jagd -, projizieren sie das schlechte Gewissen, was sie vom Krieg her haben, auf die Jagd und identifizieren sich dadurch mit der Beute. Das sieht man ja in Cougnac, wie der eine getötete Mensch sich in einen Riesenhirsch verwandelt als Geist – auch die ganzen anderen dargestellten Tiere sind wahrscheinlich gar nicht diese dargestellten Tiere, sondern alle Geister von Verstorbenen -, und wenn ich jetzt so einen Riesenhirsch esse, könnte ich ja meinen Großvater essen. Und dann gibt es ein Problem. Und das muss geregelt werden."
    In der Jagdpraxis könnte das bedeuten: Unsere Sippe jagt und isst eben keine Riesenhirsche, um Ruhe zu haben, weshalb Dr. Rauer das Definieren von Tabus als Kern der Maskierung bezeichnet.

    Hinzu komme, dass der Animismus und das Anlegen von Masken die Geister der Toten besänftigt solle, meint Francois Bertemes, Professor für Prähistorik an der Uni Halle:

    "Um diese ungleichmäßigen Gesellschaften zu stabilisieren, bedarf es einer Vielzahl von Ahnen, auf die ich mich beziehen kann. Es gibt eine ganz komplexe Ahnengalerie, die man sich stammbaummäßig vorzustellen hat, auch in einer gewissen Hierarchie. Das heißt es gibt mächtige Masken und weniger mächtige Masken, die für ganz spezielle Belange Verwendung finden; macht man sozusagen die Tür auf, lässt man die Ahnen in die diesseitige Welt kommen, lässt sie wirken, lässt sie ausstrahlen, ist aber auch wieder froh, wenn sie weg sind."
    Viele der Interpretationen schienen logisch und waren zumindest spannend anzuhören, wurden aber von einigen Archäologen nicht ohne Weiteres angenommen. Archäologie ist eine historische Wissenschaft, die ihr Wissen aus den Fakten der Funde zieht. So meinte Hansjürgen Müller-Beck aus Tübingen, einer der Nestoren der deutschen Urgeschichte und Archäologie:

    "Für uns sind die Geschichtsphilosophen immer zwar anregend, aber nicht ungefährlich. Schon Jakob Burckhardt hat gesagt: Ja, wir hören Euch gerne zu, auf der anderen Seite haben wir aber zu arbeiten."
    Das hört sich an, als stünden zu wenig Funde zur Verfügung. Widerspruch seitens Professor Müller-Beck:

    "Nein, es ist nicht zu wenig gefunden worden. Wir haben eigentlich zu wenig Gelegenheit in der Archäologie, die vergleichenden Analogie-Analysen durchzuführen. Das heißt, wir haben sehr viel Material, das zum Teil sehr schlecht publiziert ist, also schwer nachvollziehbar. Wir sehen immer wieder, dass es neue Zusammenhänge gibt wie diese neue berühmte Figur von der schwäbischen Alp, die für uns tatsächlich eine Vertiefung bringt, die besser ist, als das was wir erwartet haben."
    Damit meinte er eine Frauenstatuette aus der Altsteinzeit, die in Süddeutschland gefunden wurde: Die Geschlechtsmerkmale sind überdeutlich ausgearbeitet, aber statt eines Kopfes ist nur eine Öse vorhanden.
    Überhaupt sind die meisten unmaskierten Menschendarstellungen jener Frühzeit gesichtslos; auch das wohl ein Effekt der Ängste, die unsere Vorfahren umgetrieben haben müssen. Eine sensationelle Ausnahme stellte Nicolas Mélard aus Frankreich vor: Am Grabungsort La Marche in Mittelfrankreich seien etwa 150 Zeichnungen, in flache Steinchen geritzt, gefunden worden, die Szenen aus dem Leben wiedergeben; die Menschen trugen keine Masken. Harald Meller will sie unbedingt in eine Ausstellung zum Thema Masken und Maskierung bringen, die für 2011 im Halleschen Museum für Vorgeschichte geplant ist und in den Händen von Kustodin Regine Maraszek liegen wird:

    "Wir versuchen eine Struktur in das sehr große Feld dieser Masken und Maskendarstellungen zu bekommen, und wir versuchen, natürlich die spektakulärsten Funde nach Mitteldeutschland zu bringen, und das wird uns sicher gelingen."
    Zuvor wird aber im kommenden Jahr ein zweiter Kongress zum Thema stattfinden: Die Ankunft der Ahnen- und Göttermasken der Antike in der Zeit nach Christus und ihre Verwandlung in der christlichen Religion und hin zu volkskundlichen Traditionen. Was nicht minder spannend sein wird.