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Maskenball im Kanzleramt

Claus Guth hat Giuseppe Verdis "Maskenball" in die Gegenwart des politischen Berlin versetzt. Der Tenor ist Bundeskanzler. Die zentrale Botschaft des Werks ist auch in einer der historischen Idylle entkleideten Form wohl zu vernehmen: "Aufmerksamer als die Liebe ist der Haß".

Von Frieder Reininghaus |
    So schmal das Vorzimmer ist, in dem sich Geschäftspartner, politische Freunde und Bittsteller drängen, so breit wurde Riccardos Büro angelegt - und beide Räume sind, getrennt von einer Leichtbauwand, in ihrem scharrend wartenden Überquellen beziehungsweise in der ruhiggelegten Leere als inszenierte Räume moderner Machtentfaltung zu bewundern. Riesenbreit prangt über dem Sofa, auf dem sich der im Wahlkampf gestresste Spitzenpolitiker ein Nickerchen genehmigt, der zentrale Wahlslogan: "Für einen klaren Weg in die Zukunft". Daneben das Konterfei des kräftigen Tenors Carlo Ventre, das erkennbar dem eines noch amtierenden und an seinem Sessel klebenden Kanzlers angenähert wurde.

    Der hohe Herr hatte zuletzt keine guten Nächte. In sein erotisch-sexuelles Vakuum soll Amelia stoßen, die Frau seines Sekretärs und Freundes Renato. Die ahnt, was da ausgelöst werden könnte, wenn sie dem Werben der No.1 nachgibt, die nicht nur respektabel aussieht und mediengewandt auftritt, sondern auch mit satter Tenorstimme ausgestatteten ist.

    Die Partie des Pagen Oscar (eine Hosenrolle) mutierte im Milieu der modernen Machtzentrale zu der einer persönlichen Referentin: Anna Ryberg beglaubigt die Schlüsselstellung, die sie in der Intrige einnimmt. Doch funktioniert deren Übertragung ins Regierungsmilieu von Berlin im Jahr 2005 nur teilweise. Gleichwohl ist die Motivation für dieses Modell der Aktualisierung zunächst nachzuvollziehen.

    Wie in der Vorlage von Eugène Scribe, so war auch Giuseppe Verdis 1859 für Rom geschriebene Oper mit dem Libretto von Antonio Somma zunächst im Schweden des späten 18. Jahrhundert angesiedelt. Die päpstliche Zensur veranlaßte dann freilich die Verlegung der Handlung nach Boston ins ferne Nordamerika - aus König Gustav III. wurde Richard, der Gouverneur. Ein König muß sich bekanntlich nicht zur Wiederwahl stellen und darf seinen privaten Obsessionen noch ungehemmter nachgehen als ein auf demokratische Legitimierungsmechanismen verwiesener Politiker. Hier also beginnt der von Regisseur Claus Guth angestrengte Übersetzungsvorgang zu hinken. Dass Ulrica, die "schwarze Seherin", als ungarische Putzfrau in einem Gang hinterm Kanzlerbüro tätig ist, mag vergleichsweise plausibel erscheinen; auch, dass der historische Richtplatz zu einem Raum wurde, dessen Decke wohl von einer Bombe getroffen wurde, die herunterbrach und auf deren Trümmern Schnee liegt. Die zentrale Botschaft des Werks ist auch in einer der historischen Idylle entkleideten Form wohl zu vernehmen: "Aufmerksamer als die Liebe ist der Haß". Und vom Umschlag der einen in den anderen weiß Marco Vratogna auf charakteristische Weise zu singen.

    Wer wird den Kanzler killen? Wie in Verdis originaler Spielvorlage entscheidet das von Amelia gezogene Los, wer der Glückliche sein soll, der die Rache an der No.1 vollstrecken darf. Der Machthaber aber will sich amüsieren, beraumt einen Maskenball an. Und den zeigt Guth nun als Rokoko-Inszenierung in den von Anna Sofie Tuma korrekt zitierten Kostümen des späten 18. Jahrhunderts; Christoph Sehl maskiert den Konferenzsaal des Amtes mit Tapeten, die an einen Redouten-Saal des Jahres 1792 erinnern. Nicht aber in dessen Gewühl, sondern im Vorzimmer erfolgt das Attentat - also in der Übertragungswelt 2005. In der aber müßten wenigstens zwei Bodyguards verspätet herbeistürzen und die Waffe ziehen; auch Dass während der ganzen langen Finalszene, bei der Riccardo angeschossen weitersingt und in mehreren Anläufen den Geist aufgibt, kein Notarzt kommt, ist unverzeihlich. Das wird personelle Konsequenzen in den Sicherheitsapparaten haben!