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Massendemonstrationen in Argentinien gegen die Politik von Cristina Kirchner

In den letzten Tagen kam es in Argentinien zu den größten regierungsfeindlichen Demonstrationen seit dem Sturz von Präsident Fernando de la Rua Ende 2001. Diesmal haben landesweit Zehntausende gegen die Agrarpolitik von Präsidentin Cristina Kirchner protestiert. Kirchner fordert höhere Exportsteuern für Agrarprodukte Die Bauern blockierten daraufhin mit Traktoren die Straßen und haben damit die Märkte für Getreide und Vieh zum Erliegen gebracht. Die Demonstranten zogen Töpfe schlagend durch die Straßen. Denn allmählich werden die Lebensmittel knapp. Peter B. Schumann berichtet:

Von Peter B. Schumann |
    Dienstagabend: Menschen ziehen durch die Straßen von Buenos Aires und schlagen auf Blechteller und Töpfe - ein Lärm des Protestes, ein sogenanntes caserolazo. In dieser Stärke hat ihn die argentinische Hauptstadt zuletzt im Dezember 2001 erlebt. Damals stand das Land kurz vor dem institutionellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch, und die Argentinier wehrten sich gegen die Unfähigkeit der gesamten politischen Klasse. Beispiellos war der Rücktritt des damaligen Präsidenten De la Rúa: Er flüchtete per Hubschrauber aus der Casa Rosada, dem Regierungssitz. Ausblenden

    Heute ist die Situation weniger dramatisch, aber nicht weniger explosiv, denn auch diesmal richtet sich der Protest gegen die Regierung. Vor zwei Wochen kündigte Wirtschaftsminister Lousteau eine Erhöhung der Ausfuhrsteuern für Getreide und Soja an. Sie erzielen gegenwärtig hohe Weltmarktpreise und bescheren den argentinischen Agrarproduzenten jährlich einen Umsatz von 16 Milliarden Euro. Er war schon bisher hoch besteuert, aber nun forderte die Regierung einen noch höheren Anteil für die Staatskasse.

    "Für uns ist das eine Frage der Umverteilung der Rendite", so Wirtschaftsminister Lousteau. "Und in diesem Fall geht es um eine Super-Rendite. Überall auf der Welt gibt es Probleme mit den Lebensmittelpreisen, die einen Höchststand erreicht haben. Wir müssen verhindern, dass die Preise weiter steigen, weil die Produzenten die Waren im Inland verknappen, um sie zu exportieren. Deshalb erhöhen wir die Exportsteuer, denn sonst haben bald große Teile unseres Wirtschaftssystems nichts mehr zu essen."

    Vor einem Jahr streikten die Rinderzüchter, weil die Regierung die Fleischpreise eingefroren hatte, um einer Inflation vorzubeugen. Diesmal ist die Antwort ein Streik aller Landwirte. Cristina Fernández de Kirchner, die neue Präsidentin, reagierte mit der von ihrem präsidialen Vorgänger und Ehemann Néstor bekannten Kompromisslosigkeit.

    "Ich erinnere mich an das Argentinien der Jahre 2003, 2002, 2001", so die Präsidentin, "als Tausende von Argentiniern die Straßen blockierten, weil sie keine Arbeit mehr fanden oder weil sie, Menschen der Mittelschicht, 2001 ihr Gespartes verloren hatten. Das waren Blockaden des Elends und der Tragödie der Argentinier. Aber am letzten langen Wochenende habe ich das Gegenteil gesehen: Blockaden des Überflusses würde ich sie nennen, errichtet vom Sektor mit den größten Renditen. Aus jener Tragödie ist fast eine Komödie geworden."

    Die provokanten Worte der Präsidentin treiben die Menschen auf die Straße. Viele glauben, die Regierung würde die Probleme auf dem Land nicht verstehen, wo doch der größte Reichtum erwirtschaftet wird. "Die Landwirte haben die Missachtung durch die Regierung satt", meint ein Demonstrant. "Der Produzent hat die Soja gesät, als die Steuer bei 28,5 Prozent lag. Er hat sie wachsen sehen bei 35 Prozent, und nun soll er sie bei 44 Prozent Exportsteuer verkaufen. Das alles in sechs Monaten. Was immer die Regierung zu den Landwirten sagt, ist Lüge."
    Seither eskaliert die Situation im ganzen Land. Der Transport von landwirtschaftlichen Produkten ist praktisch lahm gelegt. Kilometerlang stauen sich die Lastwagen an den Straßenblockaden. Sie zu umfahren, ist oft nicht möglich. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fahrern und Blockierern.

    Einige LKW-Fahrer, die seit Tagen warten, versuchen, mit ihren Lastern eine Blockade zu durchbrechen, weil die Besetzer sich nicht an die Abmachung in der Nacht gehalten haben, wenigstens für eine Stunde die Straßensperre aufzuheben. Der Reporter berichtet, dass die Landwirte sogar einen Lieferwagen demoliert haben und nun einige Fahrer damit beginnen, ihrerseits die Einrichtungen des Kontrollpunktes zu zerstören.

    Bis jetzt hält sich die Polizei zurück. Sie hat auch nicht eingegriffen, als es auf der Plaza de Mayo zu schweren Schlägereien kam. Einem Zug von Anti-Kirchner-Demonstranten hatte sich ein Kirchner treuer Flügel der Piqueteros entgegengestellt. Aber die Regierung hat bisher an ihrem bereits vor Jahren deklarierten Kurs der Deeskalation festgehalten.
    "Wir haben lange genug für die Meinungsfreiheit gekämpft, deshalb kann hier jeder über die Regierung sagen, was er will", meint Innenminister Fernández. "Aber es ist natürlich etwas anderes, wenn jemand eine Straße blockiert und den Transport von Getreide, Milch oder Fleisch verhindert, dann ist das ein Streik gegen die Gesellschaft, nicht gegen die Regierung. Deshalb müssen wir jetzt sehen, welche Straßen wir für den Gütertransport offen halten müssen. Und das geht nur mit Polizeikräften. Wir wollen - wie in der Vergangenheit - keine Repression üben. Wer sich allerdings widersetzt, wird verhaftet."
    Die Polizei dürfte bald solche Maßnahmen ergreifen, denn in den Supermärkten kam es bereits über Ostern zu Engpässen. Und nach der verschärften Blockade dieser Woche gehen allmählich die Waren aus.
    "Das einzige Gemüse, das auf diesem Zentralmarkt vorhanden ist, der normalerweise aus ganz Argentinien beliefert wird, kommt aus dem Umland", so ein Händler. "Es ist nicht viel, und wir stehen jetzt kurz vor dem Wochenende, wenn die Nachfrage am größten ist." Und ein anderer fügt hinzu: "Hier kann man nichts mehr planen. Es gibt kein Rindfleisch, keine Milchprodukte, kaum noch Gemüse. Die LKW-Fahrer wollen auch nichts mehr transportieren, denn sie wissen ja nicht, ob sie durchkommen oder die ganze Ladung verlieren."

    Die Situation ist seltsam verdreht - wie oft in Argentinien. Die Menschen, die auf ihre Töpfe schlagen, müssten eigentlich froh sein über die Preispolitik der Regierung, denn sie versucht die Inflation zu bremsen. Und eigentlich dürften sie auch nicht auf der Seite dieser merkwürdigen Allianz der Landwirte stehen, denn hier sind divergierende Interessen oberflächlich vereint: die Großagrarier mit ihrer spekulativen Sojaproduktion und die Kleinbauern, die so oft von ihnen geschluckt werden. Sie haben sich - genauso wie die Demonstranten - vor einen Karren spannen lassen, der Richtung Wirtschaftsliberalismus fährt und Argentinien schon einmal - 2001 - an den Rand des Zusammenbruchs führte. Donnerstagabend tritt endlich auf einer Großveranstaltung im Konferenzzentrum von Buenos Aires die Präsidentin wieder in Aktion.
    "Um was für eine Art von Konflikt geht es hier einigen Sektoren?" fragt sie in die Runde peronistischer Parteigänger. "Es geht hier um das politische Modell unseres Landes. Und ich bin mir auch bewusst, dass ein Teil der caserolazos zweifellos unserer Menschenrechtspolitik gilt."

    Kein Land in Lateinamerika hat bisher so gründlich mit seiner Vergangenheit aufgeräumt wie Argentinien. Das gefällt vielen Leuten der wieder erstarkten rechten Machtelite nicht und schon gar nicht den Militärs. Die Kirchners sind wirklich nicht links, aber sie vertreten Positionen, die offensichtlich schmerzen. An diesem Abend zeigt sich die Präsidentin konziliant.
    "Ich möchte alle Argentinier zum Dialog aufrufen und besonders jene, die noch immer Straßen blockieren und die Gewaltmaßnahmen nicht aufgegeben haben. Ich bitte sie demütig als Präsidentin aller Argentinier den Streik aufzuheben, damit wir Gespräche führen können."

    Dieses Angebot dürfte nicht ausreichen. Minuten später beginnen wieder die Töpfe zu klingen. Argentinien steht vor einem heißen Wochenende.