Samstag, 13. April 2024

Archiv

Massenproteste in Polen
Widerstand gegen Justizreform

Zehntausende haben in Warschau erneut gegen den vom Parlament verabschiedeten Gesetzentwurf demonstriert, mit dem der Oberste Gerichtshof unter Regierungskontrolle gestellt werden soll. Sie forderten Präsident Andrzej Duda auf, sein Veto gegen die Neuordnung des Obersten Gerichts einzulegen.

Von Florian Kellermann | 20.07.2017
    17.7.2017. Tausende demonstrieren am Abend in Warschau gegen Änderungen im polnischen Justizsystem und beim Obersten Gerichtshof. Vorn rechts der Gründer der Bürgerbewegung KOD, Mateusz Kiowski.
    Tausende demonstrieren am Abend erneut in Warschau gegen Änderungen im polnischen Justizsystem und beim Obersten Gerichtshof. Vorn rechts der Gründer der Bürgerbewegung KOD, Mateusz Kiowski. (dpa / Jan A. Nicolas)
    Die Proteste dauerten in einigen polnischen Großstädten bis nach Mitternacht. In Warschau hatte sich die Straße vor dem Präsidentenpalast am Abend mit Zigtausenden Demonstranten gefüllt. "Veto, Veto", skandierten die Menschen. Sie hoffen, dass Präsident Andrzej Duda die drei Gesetze, aus denen die Justizreform besteht, noch zu Fall bringt.
    Bürger fürchten Instrumentalisierung der Gerichte
    Der Vorsitzende des "Komitees zur Verteidigung der Demokratie", einer der Bürgerinitiativen, die die Demonstrationen organisiert hatten, Krzysztof Lozinski:
    "Wichtig ist, dass wir jetzt jeden Tag mehr werden, dass unsere Kraft wächst. Schon jetzt sind wir sehr viele. Der Oberste Gerichtshof, um denn es heute im Parlament ging, entscheidet darüber, ob Wahlen gültig sind. Wenn die Regierungspartei PiS dieses Gericht beherrscht, dann wird es alle Wahlen, die die PiS verliert, einfach für ungültig erklären."
    Während die Demonstration vor der Präsidentenpalast entspannt verlief, mit Klavierklängen und der Rezitation von Gedichten, war die Atmosphäre vor dem Parlament deutlich angespannter. Die Polizei trug Demonstranten weg, die über die Barrikaden um das Gebäude geklettert waren.
    Regierung sieht demokratische Kontrolle der Richterschaft
    Ministerpräsidentin Beata Szydlo erklärte in einer Ansprache den Standpunkt der Regierung:
    "Das Parlament reformiert die Gerichte. Wir wissen, sie funktionieren schlecht. Wir kommen den Erwartungen der Polen entgegen, die wollen, dass die Gerichte effektiv und gerecht arbeiten. Heute ist es anders. Es gibt keine demokratische Kontrolle der Richterschaft, wir wollen sie einführen."
    Demokratische Kontrolle - das klingt in den Ohren der Opposition wie Hohn. Das Gesetz, das die rechtskonservative Regierungspartei PiS heute im Eiltempo durch das Parlament gebracht hat, ordnet den Obersten Gerichtshof de facto der Exekutive unter. Seine Richter werden alle automatisch in den Ruhestand versetzt.
    Kritiker: "Demokratischer Rechtsstaat in einer tiefen Krise"
    Danach kann Präsident Andrzej Duda entscheiden, welche von ihnen doch weiter arbeiten dürfen. Die PiS-Mehrheit im Parlament und die Regierung werden außerdem entscheidenden Anteil daran haben, welche Richter die frei gewordenen Plätze auffüllen. Dafür sorgt ein anderes Gesetz, das vom Parlament schon in der vergangenen Woche verabschiedet wurde.
    Für den polnischen Ombudsmann für Menschenrechte Adam Bodnar ein Skandal:
    "Unser demokratischer Rechtsstaat ist in einer tiefen Krise. Das ist der Moment, in dem sich jeder öffentlich engagieren sollte, um den Rechtsstaat zu erhalten. Es ist auch der Moment, in dem Präsident Duda sein Veto einlegen und eine sehr wichtige Rolle spielen sollte."
    Verfassungsrechtler sind alarmiert
    Der politische Einfluss auf den Obersten Gerichtshof ist umso gravierender, als das Gesetz auch eine neue Kammer am Gericht installiert. Sie wird für Disziplinarverfahren gegen Richter zuständig sein. Klagen vor dieser Kammer darf Justizminister Zbigniew Ziobro, der - durch eines der ersten umstrittenen PiS-Gesetze - in Amtseinheit Generalstaatsanwalt ist.
    Verfassungsrechtler lassen kein gutes Haar an der Reform, so Ryszard Piotrowski, Professor an der Universität Warschau:
    "Die Verfassung ist eindeutig: Die Amtszeit des Vorsitzenden am Obersten Gerichtshof beträgt sechs Jahre. Das Parlament kann sie nicht einfach abkürzen. Das hat seinen Grund: Wenn die Regierung den Gerichtsvorsitzenden abberufen könnte, dann würde es sich der Nachfolger fünf Mal überlegen, bevor er ein Urteil trifft, das der Regierung missfällt."
    Dennoch kann die Regierung sicher sein, dass ihre Gesetze vom Verfassungsgericht nicht beanstandet werden. Im vergangenen Jahr hat sie dort ihr gegenüber loyale Richter installiert, die inzwischen die Mehrheit im Kollegium haben. Heute wird aller Voraussicht nach das Oberhaus des Parlaments, der Senat, dem Gesetz über den Obersten Gerichtshof zustimmen.