Für den kommenden Sonntag hat Thaksin vorgezogene Neuwahlen angesetzt, um für sich zu retten, was zu retten ist. Ob allerdings die Neuwahlen am 2. April Thailand tatsächlich aus der Krise führen werden, ist fraglich, denn das Land ist in einer so bisher nie da gewesenen Form polarisiert.
"Raus mit dir, Thaksin, tritt zurück!": Schon seit Wochen schallt der gleiche Slogan durch die Straßen. Seit Anfang Februar protestierten mehrere hunderttausend Menschen in der Hauptstadt Bangkok gegen Premierminister Thaksin Shinawatra. Geduldig harren die Demonstranten in der Nachmittagshitze aus. An manchen Tagen klettert das Thermometer, wie so oft Ende März, auf über 35 Grad im Schatten. Eine der breiten Alleen im Herzen Bangkoks in der Nähe des Regierungssitzes ist überfüllt: Fast ausnahmslos tragen die Demonstranten gelbe T-Shirts, gelbe Stirnbänder, gelbe Halstücher: Ausdruck ihrer Loyalität zum thailändischen Königshaus. Und gleichzeitig Ausdruck ihres Nationalstolzes. Sie sind gekommen, um Regierungschef Thaksin zum Rücktritt zu zwingen. Ihr Premier, so sagen sie, habe die moralische Autorität verloren, um das Land zu regieren.
Hauptgrund für die Empörung: Thaksins Familie, genauer gesagt seine Kinder, hatte im Januar ihren Anteil von knapp 50 Prozent des einst von Thaksin gegründeten Kommunikationskonzerns "Shin Corp" an eine staatliche Investmentgesellschaft in Singapur verkauft - die Temasek. Für den Deal erhielten sie umgerechnet 1,6 Milliarden Euro. Die "Shin Corp" war bis dato Thailands größter Mobilfunkanbieter, dominierte das Satellitengeschäft sowie Funk- und Fernsehkanäle.
Die Kritiker werfen Thaksin den Ausverkauf wichtiger thailändischer Wirtschaftszweige an das Ausland vor. Erzürnt sind die Protestler vor allem darüber, dass der Clan des Premiers für das Milliardengeschäft keinerlei Steuern zahlen musste. Einige der Demonstranten sind sogar aus dem Süden Thailands in die rund 900 Kilometer entfernte Hauptstadt gereist, um ihrem Unmut Luft zu machen. Wie zum Beispiel Mana Panchalad aus Phuket, der mit Freunden per Bus angereist ist:
" Wir sind heute hierher gekommen, weil es Zeit ist, dass Premierminister Thaksin zurücktritt. Denn diese Regierung ist nur noch durch Korruption gekennzeichnet. "
" Es ist die Pflicht eines jeden Thailänders, der über all das Bescheid weiß, zu verdeutlichen, dass wir ihn nicht mehr in der Position belassen können, unser Volk zu führen. Denn er ist ein Betrüger, und er und sein Kabinett tun alles nur für sich selbst, aber nichts für das Land. Er zerstört unser Land und bereitet den Thais in naher Zukunft nur Probleme. "
" Man kann doch nicht von außen zusätzlich Wohlstand anhäufen, wenn man an der Macht ist und in einem Regierungsamt sitzt, das geht absolut nicht. Als erstes finde ich, sollte er zurücktreten, und zweitens sollte man ihn und seine ganze Clique vor Gericht stellen und herausfinden, wie viel Korruption es bislang während seiner Amtszeit gegeben hat."
Thaksin Shinawatra sah sich in den vergangenen Wochen zunehmend unter Druck. Am 24. Februar löste er schließlich das Parlament auf und setzte vorgezogene Neuwahlen für den 2. April an – drei Jahre vor Ablauf der jetzigen Legislaturperiode. Kürzlich drohte er gar damit, den Ausnahmezustand über das Land zu verhängen, sollten die Proteste seiner Kritiker in Gewalt ausarten. Führende Militärs erklärten jedoch, dass sie eine solch drakonische Maßnahme keineswegs unterstützen würden. Dies würde dem Ansehen Thailands schaden.
Die größeren oppositionellen Parteien, darunter auch die traditionsreiche "Demokratische Partei" haben indes angekündigt, die Neuwahlen zu boykottieren. Vor der Opposition kapitulieren will Thaksin jedoch nicht. Das machte er auf eine seiner Wahlkampftouren deutlich:
" Lasst uns fest zu den demokratischen Prinzipien und zur Verfassung stehen. Besonders wenn man eine der politischen Parteien repräsentiert, hat man die Verpflichtung, Kandidaten zu finden und aufzustellen. Man hat nicht die Verpflichtung, einen Boykott zu starten. "
"Thaksin, kämpfe, kämpfe!" riefen seine Anhänger auf einer Gegendemonstration Anfang März. Gerüchte machten die Runde, dass viele von ihnen dafür bezahlt worden seien, um aus den Provinzen nach Bangkok zu reisen und Thaksin zu hofieren. Auf Nachfrage verneinen sie dies jedoch. Sie erklären, dass sie von der Integrität ihres Regierungschefs überzeugt sind:
" Ich will hiermit meine Unterstützung für Thaksin Shinawatra zeigen. Ich finde, er ist ein fähiger Premierminister und unsere Landsleute sollten ihm eine Chance geben, zu erklären, was wirklich passiert ist. Aber die Oppositionsparteien und ihre Verbündeten hören ihm doch gar nicht zu. Ich aber vertraue auf Premier Thaksin Shinawatra. "
Mittlerweile ist ganz Thailand polarisiert: Bei der Landbevölkerung im Norden und Nordosten, welche die Mehrheit im Land ausmacht, ist Thaksin immer noch ziemlich populär. Doch in der Hauptstadt Bangkok sowie in den muslimisch dominierten Südprovinzen wollen ihn viele am liebsten sofort aus dem Amt gejagt sehen. Vor allem der Süden gilt traditionell als Hochburg der "Demokratischen Partei".
Dabei galt Thaksin bei seinem Amtsantritt vor mehr als fünf Jahren als Polit-Star, als "starker Mann" an der Spitze des Landes. Damals hatten viele Länder Südostasiens gerade erst begonnen, sich von den Auswirkungen der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997 zu erholen. Auch mit Thailands Wirtschaft, die seit den 80er Jahren teils Wachstumsraten zwischen acht und zehn Prozent aufwies, war es während der Asienkrise steil bergab gegangen. Thailand sicherte sich zwar einen Kredit des Internationalen Währungsfonds von mehr als 17 Milliarden US-Dollar. Dieser aber war an strikte wirtschaftliche Bedingungen gebunden – Sparen hieß die oberste Devise. Doch die harten, zudem von Ausländern diktierten Auflagen, ließen die Menschen bald murren. Vor allem, weil es keine sichtbaren Fortschritte bei der Bewältigung der Krise gab. Die "kleinen Leute", die bereits alles verloren hatten, wollten nicht noch mehr draufzahlen müssen.
Diese Stimmung im Lande mündete schließlich in einen politischen Wechsel: Die regierende "Demokratische Partei" wurde im Januar 2001 abgewählt und stattdessen kamen Thaksin und seine 1998 gegründete nationalistische Partei "Thai Rak Thai", auf deutsch: "Thais lieben Thais" – an die Macht. Von Thaksin, dem Milliardär und Ex-Unternehmer, erhoffte sich die Bevölkerung einen Ausweg aus der Misere. Thaksin war anfangs darauf bedacht, die Binnenwirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen – zunächst mit Erfolg. Im Juli 2003 war Thailand sogar in der Lage, die letzte Rate seiner Schulden beim Internationalen Währungsfonds zurückzuzahlen. Unter Thaksins Regierung galt Thailand auf einmal als wirtschaftliches Musterland in Südostasien. Dazu der britische Südostasienexperte Duncan McCargo:
" Thaksin ist derjenige, der ein Führungsmodell geboten hat, nicht unbedingt für alle hier in Thailand, aber für viele in der Region Südostasien. Das Problem aber ist, wenn Thailand - als zentral gelegenes Land in Südostasien, das relativ liberal war und die Menschenrechte gewahrt hatte - diesen Weg nicht mehr geht. Dann können auch andere sagen, so machen wir es ebenfalls, denn Thailand geht es ja gut unter Thaksin. "
Die Bedenken, die viele Intellektuelle, Journalisten und Akademiker mit Thaksins Amtsantritt verbanden, sollten sich bald als berechtigt erweisen. Denn unter seiner Regierung gerieten regierungskritische Medien verschärft unter Druck, und die Verquickung zwischen einflussreichen politischen Kreisen und der Geschäftswelt wurde immer enger. In den vergangenen fünf Jahren scheffelten vor allem diejenigen Geld, die dem Premierminister politisch nahe standen.
Auch Thaksin selbst wurde vorgeworfen, politische und familiäre Interessen miteinander zu vermengen. Bis zum Verkauf an die Temasek-Holding in Singapur hatte seine Familie den Telekommunikationskonzern "Shin Corp" kontrolliert, Thaksin selbst handelte sich den Titel "Asiens Berlusconi" ein. Die Amtsführung Thaksins war nicht nur durch Interessenskonflikte gekennzeichnet. Kritiker monieren, dass auch die Bürgerrechte immer weiter beschnitten wurden. Dabei hat sich Thailand, das seit der Nachkriegszeit bis 1992 wechselnde Militärherrschaften erlebt hatte, seine demokratischen Freiheiten mühsam erkämpft. Im Jahr 1997 war die Verfassung reformiert worden. Diese sah vor, die Menschenrechte zu stärken und unabhängige Institutionen zu schaffen, welche vor allem Korruption und Machtmissbrauch unter die Lupe nehmen sollten. Diese Verfassung galt damals als einzigartig in Südostasien.
Stück für Stück sei diese nun ausgehöhlt worden, sagt unter anderem der Medienmogul Sondhi Limthongkul Sondhi gilt in der Medienbranche als schillernde Figur. Einst war er ein enger Verbündeter des Premiers. Heute ist er einer von Thaksins schärfsten Kritikern und einer der Anführer der "Volksallianz für Demokratie", welche die Straßenproteste initiiert. Er hatte zur ersten Großdemonstration Anfang Februar aufgerufen:
" Nichts, aber auch gar nichts in der Vergangenheit hat mich jemals so in Sorge versetzt wie die heutige Lage, die in Verkleidung der Demokratie daherkommt. Zurückblickend auf die Militärdiktaturen hatten wir es mit einer Schwarz-Weiß-Situation zu tun, die Grenze war klar. Jetzt aber leben wir in einer demokratischen Gesellschaft, so heißt es jedenfalls. Die Verfassung von 1997 war die beste, die Thailand je hatte. Doch erfordert diese einen anständigen, einen moralischen Premier. Leider haben wir einen solchen Premierminister nicht. "
Längst hat der Medienmogul Verstärkung bekommen: Der Anti-Thaksin Fraktion traten auch Studentenvereinigungen, regierungskritische Senatoren und Menschenrechtler bei. Auch der Aktivist Pibob Thongchai gehört dazu:
" Als unabhängige Organisation finden wir, dass es den Mitgliedern des Parlaments und den Senatoren unter der derzeitigen Verfassung bis heute nicht gelungen ist, die Politik der Regierung zu kontrollieren. Vor allem nicht bei Themen wie Korruption und Interessenskonflikten. "
Das ist kein Wunder: Vor gut einem Jahr, im Februar 2005, wurden Thaksin und seine Partei "Thais lieben Thais" mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Im Parlament brachten sie es auf 377 von insgesamt 500 Sitzen – faktisch ein politischer Blankoscheck. Thaksins Amtsführung der vergangenen fünf Jahre hatte viele Schattenseiten: Die Menschenrechtslage in Thailand verschlimmerte sich drastisch. Im von ihm initiierten, so genannten "Krieg gegen die Drogen" kamen vor drei Jahren mehr als 2.500 Menschen ums Leben. Dabei handelte es sich meistens um spontane Hinrichtungen durch die Polizei – Hinrichtungen ohne Gerichtverhandlungen wohlgemerkt! Wie viele Unschuldige dabei umkamen, ist bis heute nicht bekannt.
Eines der schwerwiegendsten Probleme von Thaksins Regierungszeit: die blutigen Unruhen in den thailändischen Südprovinzen nahe der Grenze zu Malaysia. Der hauptsächlich von Muslimen bewohnte Süden Thailands war vor allem in den 70er und 80er Jahren Schauplatz separatistischer Auseinandersetzungen. In den 90er Jahren folgte eine Zeit relativer Ruhe, bis die Gewalt am 4. Januar 2004 erneut ausgebrochen war: Mutmaßliche Rebellen hatten ein Armeecamp angegriffen, vier Soldaten getötet und mehrere hundert Gewehre erbeutet. Thaksin verhängte sofort das Kriegsrecht über die drei Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat. Im vergangenen Jahr folgte dann eine Notstandsverordnung, um nachdrücklicher gegen mutmaßliche Separatisten vorgehen zu können. Fast täglich kommt es im Süden zu Anschlägen: Unter den Opfern sind sowohl Angestellte der Regierung und öffentlichen Verwaltung als auch muslimische Zivilisten und buddhistische Mönche.
Wer dahinter steckt, weiß bis heute niemand. Die Muslime der Region, eine Minderheit im buddhistischen Thailand, sind mehrheitlich moderat. Die von Thaksin verhängten drakonischen Maßnahmen schrecken sie jedoch zunehmend ab. Ohnehin fühlen sich die Muslime als Sündenböcke für Bangkoks verfehlte Politik. Immer wieder wurden Klagen laut, dass die von Bangkok eingesetzten Autoritäten ihre Macht vor Ort missbrauchten. Menschen werden verschleppt oder verschwinden spurlos. Eine juristische Aufklärung ist meist nicht in Sicht.Im Frühjahr vergangenen Jahres rief Thaksin dann überraschend eine Kommission ins Leben, die Konzepte für eine nationale Versöhnung ausarbeiten sollte. Vorsitzender dieser Kommission ist der ehemalige Premierminister Anand Panyarachun. Zu den Ursachen der Gewalt im Süden äußerte sich Anand einst so:
" Das eigentliche Thema ist nicht Separatismus oder Terrorismus. Natürlich erkennen wir den Ernst der separatistischen und terroristischen Akte. Aber nach meiner Auffassung und der Meinung der Kommissionsmitglieder sind diese nicht die Hauptprobleme. Vielmehr sind sie Begleiterscheinungen eines größeren Problems, und dieses beinhaltet wohl die Unfähigkeit beider Seiten, einander zu verstehen sowie die Ungerechtigkeiten, die in der Vergangenheit seitens der Regierungsautoritäten ausgegangen sind. Grundsätzlich ist es so, dass die Menschen diese Regierung nicht mögen, ihr nicht vertrauen und dass es keine Glaubwürdigkeit gibt."
In der jetzigen politischen Krise ist das buddhistische Königreich polarisierter als je zuvor. Während auf zentralen Plätzen in der Hauptstadt Bangkok mehrere tausend Mönche für Frieden und die Einheit des Landes beten, verhärten sich die Fronten zwischen Thaksins Gegnern und seinen Anhängern immer mehr. Offiziell weigert sich der angeschlagene Premier bislang, auf sein Amt zu verzichten. Politisch aber steht Thaksin mit dem Rücken zur Wand. Ob ihm die Neuwahlen die nötige Legitimität verschaffen, ist fraglich. Denn in mehreren Wahlbezirken mussten bereits Kandidaten disqualifiziert werden, weil diese sich nicht korrekt registriert hatten. Wegen des Wahlboykotts durch die Oppositionsparteien ist unklar, ob überhaupt genügend Repräsentanten für die 500 Sitze im Parlament zusammenkommen. Ansonsten wäre das Parlament nicht beschlussfähig.
Zudem warf die Opposition Thaksin und seiner Partei "Thais lieben Thais" vor, sie hätten versucht, Kandidaten kleinerer Parteien durch die Registrierung bei der Wahlkommission zu schleusen. Dies solle den Anschein erwecken, dass sich außer der Regierungspartei auch unabhängige Gruppierungen zur Wahl stellten. Die Wahlkommission soll die mutmaßlichen Manipulationen nun prüfen. Wobei der demokratische Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva davon überzeugt ist, dass es ohnehin keine fairen Wahlen geben wird:
" Wir finden, dass Mr. Thaksin bereits die Wahlgesetze verletzt hat und müssen nun abwarten, ob man sich damit befasst. Aber ich sehe nicht viele Anzeichen, dass das auch wirklich passiert. Es müsste viel mehr getan werden, damit wir sichergehen können, dass die Wahlen tatsächlich fair sind und dass sie nicht zur Schönfärberei für Thaksin geraten. "
Thaksin selbst hat den größeren Oppositionsparteien kürzlich angeboten, sie trotz Wahlboykotts an der künftigen Regierung zu beteiligen. Das aber lehnen sowohl die "Demokratische Partei" als auch die "Volksallianz für Demokratie" vehement ab. Vielmehr werden die Rufe nach einer Intervention durch den von allen Thais verehrten König Bhumipol immer drängender. Thaksins Gegner appellieren an den Monarchen, einen Interims-Premier zu berufen und anschließende Neuwahlen anzusetzen.
Der königliche Chefberater General Prem Tinsulanonda, zwischen 1980 und 1988 selbst thailändischer Premier, nahm zu den Forderungen keine Stellung. Stattdessen drängte er die Thais, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Für die Anti-Thaksin-Protestler heißt das, eine nach thailändischem Wahlrecht durchaus gängige Möglichkeit wahrzunehmen: "Vote for no vote" heißt ihre Devise, nämlich ihr Kreuzchen auf dem beim Wahlzettel angegeben Feld "Nichtwahl" zu machen.
"Raus mit dir, Thaksin, tritt zurück!": Schon seit Wochen schallt der gleiche Slogan durch die Straßen. Seit Anfang Februar protestierten mehrere hunderttausend Menschen in der Hauptstadt Bangkok gegen Premierminister Thaksin Shinawatra. Geduldig harren die Demonstranten in der Nachmittagshitze aus. An manchen Tagen klettert das Thermometer, wie so oft Ende März, auf über 35 Grad im Schatten. Eine der breiten Alleen im Herzen Bangkoks in der Nähe des Regierungssitzes ist überfüllt: Fast ausnahmslos tragen die Demonstranten gelbe T-Shirts, gelbe Stirnbänder, gelbe Halstücher: Ausdruck ihrer Loyalität zum thailändischen Königshaus. Und gleichzeitig Ausdruck ihres Nationalstolzes. Sie sind gekommen, um Regierungschef Thaksin zum Rücktritt zu zwingen. Ihr Premier, so sagen sie, habe die moralische Autorität verloren, um das Land zu regieren.
Hauptgrund für die Empörung: Thaksins Familie, genauer gesagt seine Kinder, hatte im Januar ihren Anteil von knapp 50 Prozent des einst von Thaksin gegründeten Kommunikationskonzerns "Shin Corp" an eine staatliche Investmentgesellschaft in Singapur verkauft - die Temasek. Für den Deal erhielten sie umgerechnet 1,6 Milliarden Euro. Die "Shin Corp" war bis dato Thailands größter Mobilfunkanbieter, dominierte das Satellitengeschäft sowie Funk- und Fernsehkanäle.
Die Kritiker werfen Thaksin den Ausverkauf wichtiger thailändischer Wirtschaftszweige an das Ausland vor. Erzürnt sind die Protestler vor allem darüber, dass der Clan des Premiers für das Milliardengeschäft keinerlei Steuern zahlen musste. Einige der Demonstranten sind sogar aus dem Süden Thailands in die rund 900 Kilometer entfernte Hauptstadt gereist, um ihrem Unmut Luft zu machen. Wie zum Beispiel Mana Panchalad aus Phuket, der mit Freunden per Bus angereist ist:
" Wir sind heute hierher gekommen, weil es Zeit ist, dass Premierminister Thaksin zurücktritt. Denn diese Regierung ist nur noch durch Korruption gekennzeichnet. "
" Es ist die Pflicht eines jeden Thailänders, der über all das Bescheid weiß, zu verdeutlichen, dass wir ihn nicht mehr in der Position belassen können, unser Volk zu führen. Denn er ist ein Betrüger, und er und sein Kabinett tun alles nur für sich selbst, aber nichts für das Land. Er zerstört unser Land und bereitet den Thais in naher Zukunft nur Probleme. "
" Man kann doch nicht von außen zusätzlich Wohlstand anhäufen, wenn man an der Macht ist und in einem Regierungsamt sitzt, das geht absolut nicht. Als erstes finde ich, sollte er zurücktreten, und zweitens sollte man ihn und seine ganze Clique vor Gericht stellen und herausfinden, wie viel Korruption es bislang während seiner Amtszeit gegeben hat."
Thaksin Shinawatra sah sich in den vergangenen Wochen zunehmend unter Druck. Am 24. Februar löste er schließlich das Parlament auf und setzte vorgezogene Neuwahlen für den 2. April an – drei Jahre vor Ablauf der jetzigen Legislaturperiode. Kürzlich drohte er gar damit, den Ausnahmezustand über das Land zu verhängen, sollten die Proteste seiner Kritiker in Gewalt ausarten. Führende Militärs erklärten jedoch, dass sie eine solch drakonische Maßnahme keineswegs unterstützen würden. Dies würde dem Ansehen Thailands schaden.
Die größeren oppositionellen Parteien, darunter auch die traditionsreiche "Demokratische Partei" haben indes angekündigt, die Neuwahlen zu boykottieren. Vor der Opposition kapitulieren will Thaksin jedoch nicht. Das machte er auf eine seiner Wahlkampftouren deutlich:
" Lasst uns fest zu den demokratischen Prinzipien und zur Verfassung stehen. Besonders wenn man eine der politischen Parteien repräsentiert, hat man die Verpflichtung, Kandidaten zu finden und aufzustellen. Man hat nicht die Verpflichtung, einen Boykott zu starten. "
"Thaksin, kämpfe, kämpfe!" riefen seine Anhänger auf einer Gegendemonstration Anfang März. Gerüchte machten die Runde, dass viele von ihnen dafür bezahlt worden seien, um aus den Provinzen nach Bangkok zu reisen und Thaksin zu hofieren. Auf Nachfrage verneinen sie dies jedoch. Sie erklären, dass sie von der Integrität ihres Regierungschefs überzeugt sind:
" Ich will hiermit meine Unterstützung für Thaksin Shinawatra zeigen. Ich finde, er ist ein fähiger Premierminister und unsere Landsleute sollten ihm eine Chance geben, zu erklären, was wirklich passiert ist. Aber die Oppositionsparteien und ihre Verbündeten hören ihm doch gar nicht zu. Ich aber vertraue auf Premier Thaksin Shinawatra. "
Mittlerweile ist ganz Thailand polarisiert: Bei der Landbevölkerung im Norden und Nordosten, welche die Mehrheit im Land ausmacht, ist Thaksin immer noch ziemlich populär. Doch in der Hauptstadt Bangkok sowie in den muslimisch dominierten Südprovinzen wollen ihn viele am liebsten sofort aus dem Amt gejagt sehen. Vor allem der Süden gilt traditionell als Hochburg der "Demokratischen Partei".
Dabei galt Thaksin bei seinem Amtsantritt vor mehr als fünf Jahren als Polit-Star, als "starker Mann" an der Spitze des Landes. Damals hatten viele Länder Südostasiens gerade erst begonnen, sich von den Auswirkungen der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997 zu erholen. Auch mit Thailands Wirtschaft, die seit den 80er Jahren teils Wachstumsraten zwischen acht und zehn Prozent aufwies, war es während der Asienkrise steil bergab gegangen. Thailand sicherte sich zwar einen Kredit des Internationalen Währungsfonds von mehr als 17 Milliarden US-Dollar. Dieser aber war an strikte wirtschaftliche Bedingungen gebunden – Sparen hieß die oberste Devise. Doch die harten, zudem von Ausländern diktierten Auflagen, ließen die Menschen bald murren. Vor allem, weil es keine sichtbaren Fortschritte bei der Bewältigung der Krise gab. Die "kleinen Leute", die bereits alles verloren hatten, wollten nicht noch mehr draufzahlen müssen.
Diese Stimmung im Lande mündete schließlich in einen politischen Wechsel: Die regierende "Demokratische Partei" wurde im Januar 2001 abgewählt und stattdessen kamen Thaksin und seine 1998 gegründete nationalistische Partei "Thai Rak Thai", auf deutsch: "Thais lieben Thais" – an die Macht. Von Thaksin, dem Milliardär und Ex-Unternehmer, erhoffte sich die Bevölkerung einen Ausweg aus der Misere. Thaksin war anfangs darauf bedacht, die Binnenwirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen – zunächst mit Erfolg. Im Juli 2003 war Thailand sogar in der Lage, die letzte Rate seiner Schulden beim Internationalen Währungsfonds zurückzuzahlen. Unter Thaksins Regierung galt Thailand auf einmal als wirtschaftliches Musterland in Südostasien. Dazu der britische Südostasienexperte Duncan McCargo:
" Thaksin ist derjenige, der ein Führungsmodell geboten hat, nicht unbedingt für alle hier in Thailand, aber für viele in der Region Südostasien. Das Problem aber ist, wenn Thailand - als zentral gelegenes Land in Südostasien, das relativ liberal war und die Menschenrechte gewahrt hatte - diesen Weg nicht mehr geht. Dann können auch andere sagen, so machen wir es ebenfalls, denn Thailand geht es ja gut unter Thaksin. "
Die Bedenken, die viele Intellektuelle, Journalisten und Akademiker mit Thaksins Amtsantritt verbanden, sollten sich bald als berechtigt erweisen. Denn unter seiner Regierung gerieten regierungskritische Medien verschärft unter Druck, und die Verquickung zwischen einflussreichen politischen Kreisen und der Geschäftswelt wurde immer enger. In den vergangenen fünf Jahren scheffelten vor allem diejenigen Geld, die dem Premierminister politisch nahe standen.
Auch Thaksin selbst wurde vorgeworfen, politische und familiäre Interessen miteinander zu vermengen. Bis zum Verkauf an die Temasek-Holding in Singapur hatte seine Familie den Telekommunikationskonzern "Shin Corp" kontrolliert, Thaksin selbst handelte sich den Titel "Asiens Berlusconi" ein. Die Amtsführung Thaksins war nicht nur durch Interessenskonflikte gekennzeichnet. Kritiker monieren, dass auch die Bürgerrechte immer weiter beschnitten wurden. Dabei hat sich Thailand, das seit der Nachkriegszeit bis 1992 wechselnde Militärherrschaften erlebt hatte, seine demokratischen Freiheiten mühsam erkämpft. Im Jahr 1997 war die Verfassung reformiert worden. Diese sah vor, die Menschenrechte zu stärken und unabhängige Institutionen zu schaffen, welche vor allem Korruption und Machtmissbrauch unter die Lupe nehmen sollten. Diese Verfassung galt damals als einzigartig in Südostasien.
Stück für Stück sei diese nun ausgehöhlt worden, sagt unter anderem der Medienmogul Sondhi Limthongkul Sondhi gilt in der Medienbranche als schillernde Figur. Einst war er ein enger Verbündeter des Premiers. Heute ist er einer von Thaksins schärfsten Kritikern und einer der Anführer der "Volksallianz für Demokratie", welche die Straßenproteste initiiert. Er hatte zur ersten Großdemonstration Anfang Februar aufgerufen:
" Nichts, aber auch gar nichts in der Vergangenheit hat mich jemals so in Sorge versetzt wie die heutige Lage, die in Verkleidung der Demokratie daherkommt. Zurückblickend auf die Militärdiktaturen hatten wir es mit einer Schwarz-Weiß-Situation zu tun, die Grenze war klar. Jetzt aber leben wir in einer demokratischen Gesellschaft, so heißt es jedenfalls. Die Verfassung von 1997 war die beste, die Thailand je hatte. Doch erfordert diese einen anständigen, einen moralischen Premier. Leider haben wir einen solchen Premierminister nicht. "
Längst hat der Medienmogul Verstärkung bekommen: Der Anti-Thaksin Fraktion traten auch Studentenvereinigungen, regierungskritische Senatoren und Menschenrechtler bei. Auch der Aktivist Pibob Thongchai gehört dazu:
" Als unabhängige Organisation finden wir, dass es den Mitgliedern des Parlaments und den Senatoren unter der derzeitigen Verfassung bis heute nicht gelungen ist, die Politik der Regierung zu kontrollieren. Vor allem nicht bei Themen wie Korruption und Interessenskonflikten. "
Das ist kein Wunder: Vor gut einem Jahr, im Februar 2005, wurden Thaksin und seine Partei "Thais lieben Thais" mit überwältigender Mehrheit wiedergewählt. Im Parlament brachten sie es auf 377 von insgesamt 500 Sitzen – faktisch ein politischer Blankoscheck. Thaksins Amtsführung der vergangenen fünf Jahre hatte viele Schattenseiten: Die Menschenrechtslage in Thailand verschlimmerte sich drastisch. Im von ihm initiierten, so genannten "Krieg gegen die Drogen" kamen vor drei Jahren mehr als 2.500 Menschen ums Leben. Dabei handelte es sich meistens um spontane Hinrichtungen durch die Polizei – Hinrichtungen ohne Gerichtverhandlungen wohlgemerkt! Wie viele Unschuldige dabei umkamen, ist bis heute nicht bekannt.
Eines der schwerwiegendsten Probleme von Thaksins Regierungszeit: die blutigen Unruhen in den thailändischen Südprovinzen nahe der Grenze zu Malaysia. Der hauptsächlich von Muslimen bewohnte Süden Thailands war vor allem in den 70er und 80er Jahren Schauplatz separatistischer Auseinandersetzungen. In den 90er Jahren folgte eine Zeit relativer Ruhe, bis die Gewalt am 4. Januar 2004 erneut ausgebrochen war: Mutmaßliche Rebellen hatten ein Armeecamp angegriffen, vier Soldaten getötet und mehrere hundert Gewehre erbeutet. Thaksin verhängte sofort das Kriegsrecht über die drei Provinzen Yala, Pattani und Narathiwat. Im vergangenen Jahr folgte dann eine Notstandsverordnung, um nachdrücklicher gegen mutmaßliche Separatisten vorgehen zu können. Fast täglich kommt es im Süden zu Anschlägen: Unter den Opfern sind sowohl Angestellte der Regierung und öffentlichen Verwaltung als auch muslimische Zivilisten und buddhistische Mönche.
Wer dahinter steckt, weiß bis heute niemand. Die Muslime der Region, eine Minderheit im buddhistischen Thailand, sind mehrheitlich moderat. Die von Thaksin verhängten drakonischen Maßnahmen schrecken sie jedoch zunehmend ab. Ohnehin fühlen sich die Muslime als Sündenböcke für Bangkoks verfehlte Politik. Immer wieder wurden Klagen laut, dass die von Bangkok eingesetzten Autoritäten ihre Macht vor Ort missbrauchten. Menschen werden verschleppt oder verschwinden spurlos. Eine juristische Aufklärung ist meist nicht in Sicht.Im Frühjahr vergangenen Jahres rief Thaksin dann überraschend eine Kommission ins Leben, die Konzepte für eine nationale Versöhnung ausarbeiten sollte. Vorsitzender dieser Kommission ist der ehemalige Premierminister Anand Panyarachun. Zu den Ursachen der Gewalt im Süden äußerte sich Anand einst so:
" Das eigentliche Thema ist nicht Separatismus oder Terrorismus. Natürlich erkennen wir den Ernst der separatistischen und terroristischen Akte. Aber nach meiner Auffassung und der Meinung der Kommissionsmitglieder sind diese nicht die Hauptprobleme. Vielmehr sind sie Begleiterscheinungen eines größeren Problems, und dieses beinhaltet wohl die Unfähigkeit beider Seiten, einander zu verstehen sowie die Ungerechtigkeiten, die in der Vergangenheit seitens der Regierungsautoritäten ausgegangen sind. Grundsätzlich ist es so, dass die Menschen diese Regierung nicht mögen, ihr nicht vertrauen und dass es keine Glaubwürdigkeit gibt."
In der jetzigen politischen Krise ist das buddhistische Königreich polarisierter als je zuvor. Während auf zentralen Plätzen in der Hauptstadt Bangkok mehrere tausend Mönche für Frieden und die Einheit des Landes beten, verhärten sich die Fronten zwischen Thaksins Gegnern und seinen Anhängern immer mehr. Offiziell weigert sich der angeschlagene Premier bislang, auf sein Amt zu verzichten. Politisch aber steht Thaksin mit dem Rücken zur Wand. Ob ihm die Neuwahlen die nötige Legitimität verschaffen, ist fraglich. Denn in mehreren Wahlbezirken mussten bereits Kandidaten disqualifiziert werden, weil diese sich nicht korrekt registriert hatten. Wegen des Wahlboykotts durch die Oppositionsparteien ist unklar, ob überhaupt genügend Repräsentanten für die 500 Sitze im Parlament zusammenkommen. Ansonsten wäre das Parlament nicht beschlussfähig.
Zudem warf die Opposition Thaksin und seiner Partei "Thais lieben Thais" vor, sie hätten versucht, Kandidaten kleinerer Parteien durch die Registrierung bei der Wahlkommission zu schleusen. Dies solle den Anschein erwecken, dass sich außer der Regierungspartei auch unabhängige Gruppierungen zur Wahl stellten. Die Wahlkommission soll die mutmaßlichen Manipulationen nun prüfen. Wobei der demokratische Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva davon überzeugt ist, dass es ohnehin keine fairen Wahlen geben wird:
" Wir finden, dass Mr. Thaksin bereits die Wahlgesetze verletzt hat und müssen nun abwarten, ob man sich damit befasst. Aber ich sehe nicht viele Anzeichen, dass das auch wirklich passiert. Es müsste viel mehr getan werden, damit wir sichergehen können, dass die Wahlen tatsächlich fair sind und dass sie nicht zur Schönfärberei für Thaksin geraten. "
Thaksin selbst hat den größeren Oppositionsparteien kürzlich angeboten, sie trotz Wahlboykotts an der künftigen Regierung zu beteiligen. Das aber lehnen sowohl die "Demokratische Partei" als auch die "Volksallianz für Demokratie" vehement ab. Vielmehr werden die Rufe nach einer Intervention durch den von allen Thais verehrten König Bhumipol immer drängender. Thaksins Gegner appellieren an den Monarchen, einen Interims-Premier zu berufen und anschließende Neuwahlen anzusetzen.
Der königliche Chefberater General Prem Tinsulanonda, zwischen 1980 und 1988 selbst thailändischer Premier, nahm zu den Forderungen keine Stellung. Stattdessen drängte er die Thais, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Für die Anti-Thaksin-Protestler heißt das, eine nach thailändischem Wahlrecht durchaus gängige Möglichkeit wahrzunehmen: "Vote for no vote" heißt ihre Devise, nämlich ihr Kreuzchen auf dem beim Wahlzettel angegeben Feld "Nichtwahl" zu machen.