Sonntag, 14. April 2024

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Massentierhaltung
Einsatz für Tierwohl muss sich lohnen

Schinken, Schnitzel oder Salami von Tieren aus der Massentierhaltung sind für den Verbraucher erheblich günstiger - für die Umwelt und Tiere allerdings nicht. Um Zuchttiere, die in kürzester Zeit maximal an Gewicht zunehmen müssen, das Leben in der Mastanlage zu erleichtern, wurde vor anderthalb Jahren die Tierwohlinitiative gegründet.

Von Dietrich Mohaupt | 11.07.2016
    Ein wenige Stunden altes Küken sitzt im Brutkasten zwischen anderen und noch nicht geschlüpften Küken.
    Viel Arbeit, jede Menge Aufwand, höhere Kosten: Bessere Bedingungen in der Massentierhaltung müssen sich für die Landwirte auch lohnen. (picture-alliance / dpa-ZB / Waltraud Grubitzsch)
    Plantschen, baden, Gefiederpflege – Peking-Enten brauchen jederzeit freien Zugang zum Wasser, und bei Landwirt Wilhelm Kollmer-Heidkamp im Landkreis Cloppenburg bekommen sie den auch. In seinem Aufzuchtstall hat er regelrechte Entenbadeanstalten eingerichtet mit flachen Wasserbecken, die von den Enten intensiv genutzt werden. Bis Ende dieses Jahres müssen alle 800 Peking-Enten-Halter in Niedersachsen ihre Ställe mit solchen Becken ausstatten – einer von vielen Schritten hin zu mehr Tierschutz, betont der grüne Agrarminister des Landes, Christian Meyer.
    "Es ist im Sinne unserer sanften Agrarwende, die wir in Niedersachsen machen, wir wollen nicht mehr verbunden werden mit industrieller Massentierhaltung und Tierquälerei, sondern wir wollen das Land werden, was weiterhin große Tierhaltungen hat, wo man aber immer mehr – Schritt für Schritt – auf die Bedürfnisse der Tiere eingeht, und die Ställe an die Tiere anpasst und nicht mehr die Tiere an die Ställe."
    Angstwort Agrarwende
    Da war es wieder – das böse Wort von der Agrarwende, auf das ja gerade der Bauernverband äußerst allergisch reagiert. In der vergangenen Woche z.B., beim Deutschen Bauerntag in Hannover, hatte Bauernpräsident Joachim Rukwied noch laut geschimpft:
    "Wir brauchen keine Agrarwende!"
    Falsch, hält Agrarminister Meyer dagegen. Veränderungen sind dringend notwendig, und sie sind auch möglich – nicht gegen, sondern mit den Landwirten.
    "Ich glaube, sich auf den Standpunkt zu stellen: Es muss sich nichts ändern – nein, wir wollen einen langsamen Ausstieg aus dieser Form der industriellen Massentierhaltung, den gehen wir hier in Schritten. Das ist unser sanfter Weg, sanft deshalb, weil wir es eben mit den Landwirten machen."
    Die Wasserbecken für seine Peking-Enten und auch neue Tränken, sogen. Trichtertränken, hat nämlich der Entenhalter Wilhelm Kollmer-Heidkamp selber entwickelt. Lange hat er getüftelt und ausprobiert – bis endlich die aktuelle Form zustande kam:
    "Eine Schale, die nach unten spitz runter gezogen worden ist in Breite eines Entenschnabels. Und sobald die Ente ihren Schnabel da eintaucht, läuft automatisch Wasser von oben nach, so dass das Wasser auch frisch und sauber bleibt."
    Einsatz für Tierwohl muss sich rentieren
    Die Enten können aus diesen Tränken eben nicht nur trinken – sie spülen sich dabei auch ihre Nasenlöcher und Augen, ein ganz entscheidender Faktor für die Gesundheit der Tiere. Dieser Einsatz des Landwirts für das Tierwohl müsse sich für ihn auch rentieren, fordert Agrarminister Meyer.
    "Tierschutz hat seinen Preis, der Verbraucher muss dafür mehr bezahlen – aber ich bin überzeugt davon, dass, wenn er diese Entenhaltung sieht, dass er dann auch bereit ist, die Mehrkosten an der Ladentheke zu bezahlen. Aber – er muss es wissen! Und deshalb fordern wir als Land eben auch eine ehrliche und klare Kennzeichnung, gerade wenn Produkte aus dem Ausland kommen und nicht unseren hohen niedersächsischen Tierschutzstandards entsprechen."
    Üblicher Standard reicht nicht aus
    Und diese Kennzeichnungspflicht müsse auch für die Haltung von Legehennen bzw. für die Eier aus einheimischen Betrieben gelten, betont der Minister. Bisher wird Millionen Küken in ihren ersten Lebenstagen entweder mit einem heißen Messer oder per Infrarotstrahl der Schnabel gekürzt. Mit dieser schmerzhaften Prozedur soll verhindert werden, dass die gestressten Tiere sich später in den dicht besetzten Ställen gegenseitig blutig picken und sogar töten. Seit einem Jahr ist in Niedersachen der Ausstieg aus dem Schnabelkürzen bis Ende dieses Jahres verbindlich geregelt – rund 90 Prozent der Tiere haben schon jetzt unversehrte Schnäbel, in den Ställen müssen Legehennenhalter wie Heinz Lake aus dem Landkreis Emsland deshalb großen Aufwand betreiben, um die Tiere zu beschäftigen. Verschiedene Picksteine, getrocknete Luzerne, aufgehängt in Netzen, Muschelkalk – Heinz Lake hält so einiges für seine knapp 40.000 Legehennen in Freilandhaltung parat. Mit dem üblichen Standard ist es nicht getan, betont er.
    "Nein – Standard geht gar nicht, man muss immer viel Abwechslung machen. Die Tiere müssen beschäftig werden, und das geht nur durch Abwechslung. Z.B. diesen Muschelkalk, den haben wir bisher mit ins Futter gemischt – jetzt werfen wir ihn in das Stroh, um sie zusätzlich zu beschäftigen. Und genauso ist es mit der Luzerne – wir hängen mehr Luzerne auf. Also – man muss eben doppelt, dreifach, vierfach das Beschäftigungsmaterial verwenden."
    Viel Arbeit, jede Menge Aufwand, höhere Kosten, die sich natürlich im Preis der Eier widerspiegeln müssen. Rund 3 Cent mehr pro Ei müssten es schon sein, so Heinz Lake. Immerhin – auf seinem Betrieb scheint seine Arbeit sich auszuzahlen, nur selten ist das typische Federpicken bei den Hennen zu beobachten. Diese ersten positiven Erfahrungen in Niedersachsen haben dazu geführt, dass die Geflügelwirtschaft auf Bundesebene inzwischen nachgezogen und mit dem Agrarministerium ein Verbot des Schnabelkürzens ab dem 1. August vereinbart hat.