Archiv


Massenware als Sensation

Nach Blockbuster-Ausstellungen wie dem MoMA-Ausflug nach Berlin, der eine Million Menschen anzog, Cezanne in Essen oder Goya in Berlin steht mit einer Picasso-Ausstellung in Berlin das nächste Großereignis ins Haus. Veranstalter ist die Nationalgalerie Berlin, die sonst eher auf die eigene Gestaltungsfähigkeit vertraut. Jetzt lädt sie sich ein Ausstellungspaket aus Paris ein: das Musée Picasso.

Von Stefan Koldehoff |
    Vor anderthalb Jahren war Berlin ein Alptraum in Magenta. Als das MoMA aus New York sein sechsmonatiges Gastspiel in der Neuen Nationalgalerie gab, versank die Stadt in einer Flut von aufdringlich pinkfarbenen Fahnen und Plakaten. Der "Verein der Freunde der Nationalgalerie", der seit 21 Jahren die Ausstellungen im Mies van der Rohe-Bau nahe dem Potsdamer Platz finanziert, hatte damals zum ersten Mal die ganz große Werbemaschinerie angeworfen, um einen vollkommen banalen Vorgang zum gesellschaftlichen Großereignis hochstilisieren zu lassen: Bilder wechselten die Wände - sonst geschah nicht viel. Die Nationalgalerie wurde zur Abspielstelle für Kunstwerke degradiert, über deren Auswahl und Präsentation das ausleihende und dafür kassierende Museum nach eigenem Bekunden selbst entschied. Die hauseigenen Kuratoren durften bei der Hängung als bessere Handwerker assistieren - freiwilliger ließ sich selten ein Museum selbst entmachten. Provinzhäuser wie das Wuppertaler Von der Heydt-Museum oder die Kunsthalle in Emden versuchen zwar schon seit Jahren, das Fehlen eigener kuratorischer Ideen und Initiativen zu kaschieren, indem sie einfach komplette Ausstellungspakete in den Museen von Budapest und Bukarest und Oslo gegen hohe Leihgebühren einkaufen und dann in ihren eigenen Räumen als die Neuerfindung der Malerei feiern. Von der Nationalgalerie allerdings, die immerhin grandiose Ausstellungen wie "Picasso - Die Zeit nach Guernica" (1992) auf die Beine stellte, war man solche Rosstäuscherei bislang allerdings nicht gewohnt.

    Trotzdem findet das Berliner Kunsttheater in knapp drei Wochen seine Fortsetzung. Was der Verein der Freunde der Nationalgalerie nun allerdings veranstaltet, geht tatsächlich zu weit: Ausgerechnet Bilder aus dem Musée Picasso, einem der meistbesuchten Kunsthäuser in Paris, als den "privaten Picasso" verkaufen zu wollen, ist ein Hohn. Die Gemälde, Zeichnungen und Plastiken des Spaniers sind dort permanent einem Millionenpublikum zugänglich und werden in hervorragenden Wechselausstellungen auch vorzüglich aufbereitet. Man setzt in Berlin, nachdem das MoMA-Gastspiel vor einem Jahr einen Überschuss von 6,5 Millionen Euro erwirtschaftet hat, erneut marktschreierisch auf Nummer sicher, bietet statt dem angekündigten kunsthistorischen Privatissimum aber erneut qualitativ hochwertige Massenware - H&M für Kunstfreunde. Museen, die bereit wären, ihre Sammlungen nach Berlin auszuleihen, gibt es noch zahlreiche: Die Impressionisten des Moskauer Puschkin-Museums etwa oder die hervorragenden Bilder der Phillips Collection in Washington und dem Kunstmuseum Sao Paulo verbringen schon seit Jahren mehr Zeit in Frachtmaschinen als in ihren Stammhäusern. Dem Verein der Freunde der Nationalgalerie eröffnen sich also für die kommenden Jahre zahlreiche weitere Optionen für publikumswirksame Massenevents. Der Anspruch der Nationalgalerie aber bleibt auf der Strecke.