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Maßgeschneiderter Schall

Physik. - Wirksamere Schallschutzwände, bessere Stoßdämpfer, genauere Ultraschallgeräte – all das könnte in ein paar Jahren möglich sein, wenn kalifornische Forscher mit ihrem Projekt Erfolg haben: Die Fachleute experimentieren mit einer neuen Klasse von Kristallen, die außergewöhnliche akustischen Eigenschaften haben sollen. Sie können Schall beschleunigen, abbremsen – oder buchstäblich in kleine Stücke hauen.

Von Frank Grotelüschen |
    Wie sieht der ideale Stoßdämpfer aus, der perfekte Schock-Absorber? Nun, zum Beispiel würde er einen kräftigen Schlag verwandeln in eine Folge schmächtiger und harmloser Pulse. An den Materialien für genau solche Absorber bastelt Chiara Daraio, eine Italienerin, die am California Institute of Technology in Pasadena arbeitet. Um zu zeigen, wie so ein Absorbermaterial im Prinzip aussehen könnte, kramt Daraio in ihrer Handtasche und holt einen seltsam durchschimmernden Würfel hervor.

    "Das hier ist ein Spielzeugmodell. Wie Sie sehen, besteht der Würfel aus einem durchsichtigem Kunststoff. Und innen drin sieht man lauter winzige, straffe Ketten. Sie bestehen aus kleinen Metallkügelchen. Klopft man gegen diesen Würfel, verhalten sich diese Metall-Kettchen ganz ähnlich wie ein Newton-Pendel."

    Das Newtonpendel ist ein beliebtes Spielzeug für den Schreibtisch. Es besteht aus mehreren Kugeln, sie sind direkt nebeneinander aufgehängt. Hebt man die rechte Kugel an und lässt sie los, prallt sie auf ihren Nachbarn – und, oh Wunder, nicht dieser Nachbar wird abgestoßen, sondern die Kugel ganz links. Wenn diese linke Kugel dann zurück schwingt, geht wieder die rechte hoch, und so weiter und so fort. Die Kugeln in der Mitte verharren dabei still und starr an ihrem Platz. Das Newtonpendel ist eine gängige Demonstration des Impulserhaltungssatzes: Der Impuls der rechten Kugel wird von den mittleren Kugeln weitergegeben, bis er die linke Kugel erreicht. Ganz ähnlich reagieren auch die winzigen Kugelketten im Inneren von Daraios Spezialkristall.

    "Klopft man gegen den Kristall, entsteht ein Schallsignal, eine Stoßwelle. Dieser Schall wird von den Kugelketten auf eine besondere Art transportiert, und zwar in Form von gebündelten Wellenpaketen, wir nennen sie Solitonen. Da nun diese Wellenpakete ausgesprochen stabil sind, können wir sie gezielt manipulieren, zum Beispiel indem wir einige der Metallkügelchen in den Ketten durch Kügelchen aus Glas oder Plastik ersetzen. Dann laufen die Wellenpakete schneller oder langsamer oder sogar rückwärts durch den Kristall. Oder sie werden in viele kleine Wellenpäckchen aufgeteilt."

    "Haut man dann mit einem Hammer auf den Kristall, nimmt er den Stoß auf und wandelt ihn um in eine Serie aus vielen kleinen und sachten Stößen."

    Der ideale Stoßdämpfer ist nur eine mögliche Anwendung der neuen Akustikkristalle, sagt Chiara Daraio. Im Prinzip könnte man sie auch benutzen, um unerwünschte Vibrationen einzudämmen oder mit neuartigen Schallschutz-Wänden lästigen Lärm zu mindern. Und noch etwas kann sich Daraio vorstellen: Spezialkristalle, die den Schall bündeln wie eine Linse das Licht.

    "Denken Sie an den Ultraschall beim Arzt: Da gibt es zwar schon heute akustische Linsen für Ultraschallgeräte, sie dienen zur Diagnose, zur Krebsbehandlung oder zur Nierenstein-Zertrümmerung. Aber mit unseren neuen Materialien können wir diese Technologie vielleicht noch viel effektiver machen."