Wer heutzutage in Paris Charles de Gaulle landet, bei dem misst eine von zwölf Wärmebildkameras automatisch die Körpertemperatur. Ebenso an einigen spanischen Flughäfen. Auch London Heathrow testet solche Systeme bei den Abflug-Gates. Werden sich die deutschen Flughäfen daran ein Beispiel nehmen?
"Wir haben tatsächlich in einigen europäischen Ländern die Vorgabe, Temperatur Screenings durchzuführen. Das ist aber von Land zu Land höchst unterschiedlich. Insofern finden wir da auch noch kein Beispiel, was uns überzeugt."
Erklärt Ralph Beisel von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen. Der Verband hat einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, mit Abstandsregeln, Hinweisschildern und Hygienevorschriften, damit eine infizierte Person möglichst wenig andere Menschen ansteckt. Temperaturscreenings stehen nicht auf der Liste. Denn die hätten das Ziel, Infizierte ausfindig zu machen, um sie zu isolieren und ihre Reisefreiheit einzuschränken.
"Tatsächlich halten die Flughäfen in Deutschland Temperaturscreenings nicht für eine geeignete Maßnahme zum Gesundheitsschutz."
RKI bezweifelt Wirksamkeit von Temperaturkontrollen
Das sieht das Robert Koch-Institut auch so. Der Grund: SARS-CoV-2-Infizierte sind vermutlich schon während der Inkubationszeit ansteckend, also im Schnitt bereits fünf bis sechs Tage bevor sie Fieber bekommen. Fast 60 Prozent entwickeln auch später gar kein Fieber. Und die, die es tun, könnten es mit fiebersenkenden Mitteln verschleiern. In einer Bekanntmachung vom 14. Mai schreiben die RKI-Experten:
"All diese Personen würden durch eine Fiebermessung nicht erkannt werden." Dafür könnten die Systeme bei gesunden Menschen falschen Alarm schlagen.
"Umgekehrt haben wir ganz viele Reisende, die unter Flugangst leiden, die aber vielleicht auch, weil sie zu spät zum Flughafen kommen, durch das Terminal hetzen. Und dann haben diese Reisenden auch eine erhöhte Temperatur. Wir würden wahrscheinlich bis zu fünf Prozent aller Reisenden rausziehen, in Interviews rein nehmen und hätten hier Menschen verdächtig gemacht, die überhaupt nicht krank sind."
Diese Interviews sind ein entscheidender Punkt. Denn was tun mit den Passagieren, die bei den Screenings auffallen? Sie müssen genauer untersucht und befragt werden. Und zwar nicht von irgendwem, sondern von Gesundheitsexperten. Und auch nicht irgendwo, sondern in speziellen Kabinen, die nicht nur Viren-dicht abgeschottet sind, sondern auch Diskretion erlauben. Das alles schlägt die Europäische Behörde für Flugsicherheit EASA für den Fall vor, dass Staaten verpflichtende Temperaturscreenings einführen. Das RKI schreibt mit Blick auf diesen Aufwand:
"Das Screening bedarf in der Regel eines sehr hohen Personal- und Ressourceneinsatzes, der an keinem der nach den Internationalen Gesundheitsvorschriften benannten Flughäfen ausreichend vorhanden ist."
Unverhältnismäßiger Aufwand, ineffektiv und vernachlässigbar
Die vier größten Flughäfen Deutschlands wollten sich auf Anfrage nicht zu dem Thema äußern. Ralf Beisel vom Flughafenverband sagt zwar:
"Sollte es hier eine einheitliche europäische Anordnungslage geben, die uns dazu aufruft, Temperaturscreenings durchzuführen: Natürlich werden wir auch in Deutschland dafür vorbereitet als Flughäfen."
Er betont aber auch, dass letztlich nicht die Flughäfen für die Temperaturmessungen zuständig wären, sondern die Gesundheitsbehörden. Die EASA schlägt zumindest vor, Passagiere einen Zettel unterschreiben zu lassen, auf dem sie versichern, keine Symptome zu haben, keinen Kontakt zu Infizierten gehabt zu haben und nicht wissentlich an Covid-19 erkrankt zu sein. Flughäfen sollen sich also auf eine rasch unterschriebene Selbstauskunft verlassen und, wenn es nach der EASA, dem RKI und dem Verband geht, bei der Suche nach potentiell Infizierten blind bleiben. So unbefriedigend das klingen mag, es lässt sich laut RKI historisch begründen: 2003 führten Kanada, Australien, Singapur und Taiwan währen der SARS-Epidemie Fiebertests ein. Kein einziger Infizierter sei damals entdeckt worden, schreibt das RKI und resümiert für die Bundesrepublik:
"Screening-Maßnahmen in Deutschland würden erhebliche personelle Ressourcen an Grenzübergangsstellen erfordern, die der öffentliche Gesundheitsdienst in anderen Bereichen sinnvoller einsetzen könnte."