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Mathelehrer aus Polen

In Bremerhaven fallen an den Haupt- und Realschulen immer mehr Mathematik- und Physikstunden aus. Der Grund: Es gibt schlicht keine Lehrer für diese Fächer. Deswegen geht die Bremerhavener Schulbehörde jetzt in Polen auf Bewerbersuche: Ein eher ungewöhnliches Vorgehen.

Von Folkert Lenz |
    Der Bremerhavener Oberschulrat Michael Porwoll hat die Nase voll. Er will den Unterrichtsausfall in Mathe, Chemie und Physik an den Haupt- und Realschulen in seiner Stadt endlich beiseitigen - doch er weiß nicht wie. Denn er findet einfach niemanden, den er vor die Tafel stellen kann.

    " Natürlich bekomme ich vielleicht ausreichend Lehrerinnen und Lehrer für Geschichte Gemeinschaftskunde oder viele andere Fächer auch. Aber für naturwissenschaftliche Fächer wie - präzise - Mathematik, Physik und Chemie für die Sekundarstufe 1 - also die Klassen fünf bis zehn - leider nicht. "

    Keine einzige Bewerbung hat er für das kommende Schuljahr für die Mangelfächer bislang auf dem Tisch. Dabei werden die Lehrerstellen in Bremerhaven bundesweit und auch über das Internet angeboten. In seiner Not blickt Porwoll jetzt gen Osten. Vor ein paar Tagen hat er in der Bremerhavener Partnerstadt Stettin Zeitungsanzeigen aufgegeben. Fachlehrer gesucht!

    " Sie müssen ein Lehramtsstudium absolviert haben. Sie müssen bereits vorzugsweise unterrichtet haben. Und sie müssen ein Deutschdiplom haben. Oder wenn wir im Interview feststellen, dass ihre Deutschkenntnisse so gut sind, dass sie unterrichten können, dann sehen wir die Möglichkeit, in einem kleinen, einstelligen Bereich einzustellen. "

    Die polnischen Nothelfer sollen vorerst kranke Kollegen ersetzen oder Schwangerschaftsvertretungen übernehmen. Eine Art Lehrerfeuerwehr also - als Ersatz für reguläre Kräfte, und auch zu regulärer Bezahlung. Und ähnlich wie zum Beispiel Ärzte aus Polen, die im Osten Deutschlands schon lange nicht mehr nur als Springer oder Ersatzkräfte arbeiten.

    Die Entscheidung, auch im Ausland nach Bewerbern Ausschau zu halten, kommt nicht von ungefähr. Denn gute Erfahrungen hat die Bremerhavener Schulaufsicht schon mit der Rekrutierung von Englischlehrern in Großbritannien gemacht: 40 Briten lehren in der Seestadt.

    Oberschulrat Porwoll hofft, dass nun künftig nicht mehr so viele Stunden in Naturwissenschaften ausfallen müssen. Woher das Dilemma rührt, kann er sich gut erklären:

    " Wir haben zu wenig Abgänger. Es hat eine Lehrerschwemme gegeben, die in vielen Fächern auch noch real existiert. Und dann haben sich junge Menschen überlegt: Wenn ich im Schuldienst nicht unterkomme, dann werde ich das nicht studieren. Und wenn ich das studiere, dann für die gymnasiale Oberstufe. Und nicht für die Mittelstufe, wo die Kinder ja zusätzlich noch Disziplinprobleme auf Grund der Pubertät erzeugen können. "

    Ähnlich sieht es auch der Erziehungswissenschaftler Christian Palentien von der Universität Bremen. Auch er schiebt nicht den Hochschulen den Schwarzen Peter für den Lehrermangel zu, sondern macht individuelle Entscheidungen des naturwissenschaftlichen Nachwuchses dafür verantwortlich.

    " Wenn man sich heute Pisa anschaut. Wenn man sich die empirischen Studien anschaut, dann sind die mathematischen Fähigkeiten nicht ganz so besonders ausgeprägt bei den Schülerinnen und Schülern. So dass, wenn man dann nach Neigung studiert, schnell ein Fach studiert, was nicht Mathematik, was nicht Naturwissenschaften ist. Obwohl das nur bestimmte Vorstellungen über die Fächer sind. Das heißt, die haben einfach andere Fächer studiert, die Studierenden. Und nicht die Fächer genommen, die jetzt die so genannten Mangelfächer ausmachen. "

    Ein weiteres Problem: Wer sich in den vergangenen Jahren für ein Physik- oder Chemiestudium entschieden hat, der wurde oft schon vor dem Ende der Ausbildung von der Privatwirtschaft abgeworben. Gute Bezahlung und vernünftige Arbeitsplätze in der Industrie auf der einen Seite - der Einstellungsstopp im Bildungsbereich auf der anderen Seite. Kein Wunder, dass da niemand Pauker werden wollte, sagen die Experten.

    Jetzt aber Lehrer aus Polen zu holen, hält Christian Palentien für falsch. Er verweist auf den Lehrernachwuchs von den heimischen Universitäten.

    " Warum greift man nicht auf die Studierenden unserer Universitäten zu? Die sammeln ein bisschen Praxiserfahrung. Die können sich ein bisschen professionalisieren und Unterrichtserfahrung sammeln. Und die Schulen profitieren, indem sie eben - in Anführungsstrichen - noch nicht ganz ausgebildete, aber eben doch professionalisierte Lehrerinnen und Lehrer hätten. "

    Ohnehin sieht der Bildungsexperte Palentien Licht am Ende des Tunnels. Die Studierendenzahlen bei den Naturwissenschaften steigen, auch bei den Lehramtsanwärtern, rechnet er vor.

    " Wir haben jetzt eine zunehmende Nachfrage im naturwissenschaftlichen und im mathematischen Bereich. Das dauert ein bisschen, bis wir die jetzt komplett ausgebildet haben, bis die durch ihr Referendariat durchmarschiert sind. Aber ich würde sagen, dass die großen Kohorten jetzt durchlaufen durch die Universität, so dass das Manko in zwei, drei Jahren behoben sein müsste. "

    Da außerdem in den meisten Bundesländern bald viele überalterte Kollegien ausgetauscht werden müssen, gebe es künftig beste Chancen für Bio-, Physik- oder Mathelehrer, glaubt Palentien.