Die Quellenliste ist beeindruckend: Die Forscher nutzen die Daten von Wetterstationen, Satelliten und von russisch-sowjetische Drift-Stationen, die im Eis eingefroren um den Pol treiben, die Beobachtungen von Atom-U-Booten und Ballons. Kurz: alle nur erreichbaren Informationen über Eis, Land, Atmosphäre und Meer. Die ältesten Aufzeichnungen reichen bis 1900 zurück. Sie belegen: Zweimal im vergangenen Jahrhundert hat sich das Klima in der Arktis stark erwärmt: Ola Johannesen, Leiter des Nansen-Forschungszentrums im norwegischen Bergen:
In den 20er Jahren begann in der Arktis eine starke Erwärmung, die zu Beginn des zweiten Weltkriegs ihre Höhepunkt erreichte, um dann in den 50er und 60er Jahren wieder abzufallen. Dieser Anstieg war so hoch wie der, den wir heute seit den 70er und 80er Jahren beobachten. Diese erste Erwärmung beruht auf der natürlichen Variabilität des Klimas, denn damals war der Anstieg des Kohlendioxids in der Atmosphäre noch zu gering, um diese Erwärmung in den 40er Jahren zu erklären.
In den derzeitigen Veränderungen sehen die Klimaforscher jedoch die Effekte des anthropogenen Treibhauseffekts. Die 19 evaluierten Klimasimulationen zeigen, dass mit dem steigendem Kohlendioxidgehalt die Erwärmung in der Arktis ansteigt - und zwar genau in dem beobachteten Maß.
Die Ausdehnung des Eises nimmt seit den 80er Jahren pro Jahrzehnt um drei Prozent ab, insgesamt also bislang um sechs Prozent oder eine Fläche so groß wie Frankreich.
Die Datenlage ist jedoch besonders in den Polregionen lückenhaft. Neue, kontinuierliche russische Datensätze, die früher nicht zur Verfügung standen, haben einige der bisherigen Annahmen über den Haufen geworfen:
Diese schwarze Kurve hier ist die Erwärmung der 40er Jahre betrachtet. Diese grüne Kurve hier ist der amerikanische Standard-Datensatz. Darin gibt es keine Antwort des Eises auf die Erwärmung in de 40er Jahren. Das hier sind die russisch-sowjetische Daten. Sie zeigen, dass es sie sehr wohl gegeben hat. Die Eisausdehnung ist auch damals sehr zurückgegangen. Es gibt also in den 40er Jahren und in den 70er Jahren eine starke Korrelation zwischen der Temperatur an der Wasseroberfläche und der Ausdehnung des Meereises.
Den Simulationen zugrunde liegt die Annahme, dass der Kohlendioxidausstoß durch den Menschen Folgen hat. Bei Regionen mit schlechter Datenlage wie den Polen, könnten Interpretationen so zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Damit das nicht passiert, muss man bei der Antwort auf die Frage Natur oder Mensch weiter greifen. Für Johannesen ist die derzeitige Erwärmung menschengemacht, weil sie messbar die gesamte Erdkugel erfasst. Es gilt: Das Geschehen in der Arktis ist nicht isoliert. Beispiel: Wind. Der treibt das Eis auseinander und öffnet so am Pol große Flächen mit relativ warmen Meerwasser, das seine Wärme in die eiskalte Luft abgibt, so den Wind und damit das Klimasystem weiter antreibt. Mehr offene Meeresflächen im Sommer bedeuten mehr Verdunstung und das wiederum mehr Niederschläge. Derzeit wachsen deshalb im Inneren Grönlands die Gletscher, während sie in den Randbereichen schneller schmelzen. Wird es noch wärmer, beginnt auch im Inselinneren das Schmelzen. Dann gelangt mehr Süßwasser ins Meer, was den ohnehin existierenden Trend verstärkt, denn auch die Flüsse Sibiriens leiten immer mehr Süßwasser in die Arktis:
Das hat sehr große Konsequenzen für die Tiefenwasserproduktion vor der Küste Grönlands, wo kaltes Wasser absinkt und in Richtung Äquator fließt. Aufgrund des größeren Süßwasserzuflusses ist die Produktion von Tiefenwasser seit zehn Jahren mehr oder weniger zum Erliegen gekommen. Dadurch wird der Golfstrom schwächer und transportiert weniger Wärme nach Norden. In unseren Simulationen nimmt der Golfstrom um 20 bis 30 Prozent ab.
Das könnte vorübergehend ein kälteres Klima im Norden bedeuten, bis die Erwärmung dieses Stadium überwindet. Bis zum Jahr 2100 zeigen die Simulationen jedoch eine eisfreie Barentssee, weshalb sich die Fischerei-Industrie erwartungsvoll nach den Berechnungen erkundigt. Auch andere Wirtschaftszweige frohlocken:
In der Zukunft wird die Nordpassage zwischen Europa und Japan wohl mindestens für die längere Zeit im Jahr offen bleiben. Wir werden dann sehr viel mehr Verkehr auf der Nordpassage sehen, denn so kommt man zehn Tage schneller von Hamburg nach Japan. Die Russen haben bereits angekündigt, dass sie über die dann offene Nordpassage ihre Gas- und Ölfelder besser ausbeuten können. Das Gas und Öl aus Sibirien kommt dann problemlos per Tanker auf den europäischen und japanischen Markt - und treibt den Treibhauseffekt weiter an.