Jochen Heinloth: "Ihre Überlagerung, die heißt x geht nach y oder so etwas. Und jetzt haben sie ein Produkt von einem Topologischen Raum mit einem Intervall."
Diese mathematische Sprache, sagt Jochen Heinloth, Professor für algebraische Geometrie an der Universität Duisburg-Essen – schreckt viele zunächst ab, macht Angst. Sie besteht aus Symbolen, Buchstaben und erstaunlich wenig Zahlen. Jochen Heinloth:
"Das macht die Sprache schwierig - aber eben auch schön. Wenn man sich an die Sprache gewöhnt hat, stellt man fest, das ist Wahnsinn, dass diese Sorte Mathematik dazu geführt hat, das wir auf einmal Internetsuchmaschinen bauen können oder dass ihr Telefon auf einmal ihr Gesicht erkennen kann."
Um diese Sprache zu lernen muss man kein Mathegenie sein – da sind sich der Dozent und Daniel Sebastian, der gerade seine Masterarbeit in Mathematik geschrieben hat, einig: "Ob man in der Schule in Mathe gut ist oder schlecht, ist völlig egal."
Gewisse Frustrationstoleranz ist nötig
Denn es geht beim Mathematikstudium nicht wirklich ums Rechnen, sondern darum komplexe Probleme zu lösen. In der Schule lernt man hingegen Mathe anzuwenden – quasi wie ein Kochrezept. Jochen Heinloth:
"Aber im Studium geht es darum, die Neugier zu haben, den Dingen auf den Grund gehen zu wollen und es bis zum Ende zu verstehen, bis man ganz sicher ist. Und nicht einfach irgendwas glauben, weil jemand gesagt hat, das sei eben so."
Julian Alff nickt. Der 24-Jährige studiert im fünften Semester Mathematik an der Uni-Duisburg-Essen. "Und das ist wirklich das Schwierige und da scheitern einfach Leute dran, weil man ist die Art zu arbeiten nicht gewöhnt. Da braucht man einfach viel Zeit, bis man das so hinbekommen hat."
Überhaupt ist das Mathematikstudium zeit- und arbeitsintensiv, sagt Daniel Sebastian. Auch das unterschätzen viele Studienanfänger meint er. "Es ist total üblich, dass man sich montags um acht Uhr an so eine Aufgabe setzte und um 16 Uhr nicht einen Schritt weiter gekommen ist und muss sich am Dienstagmorgen um acht Uhr wieder dran setzten."
Da ist schon eine gewisse Frustrationstoleranz nötig, bestätigt sein Matheprofessor und eine große Lust am Denken. Jochen Heinloth: "Da muss man Neugier mitbringen, Spaß am Knobeln, am logischen Argumentieren und Durchhaltefähigkeit, dass man es aushält, dass man es nicht gleich rauskriegt."
"Es bietet auch einfach viel, viel Spaß"
"Satz 2.23, Homotopie Liftungseigenschaft: es seien xyz topolgische Räume, p eine Überlagerung vom x."
Julian Alff geht gerade seinen dicken Ordner zur Topologie-Vorlesung noch einmal durch. Bald steht die Prüfung dazu an. Das sei alles ganz schön knifflig findet er, aber genau das macht für ihn den besonderen Reiz des Mathematikstudiums aus.
"Es passiert ganz oft, dass man sich stundenlang Gedanken macht, naja die eigentlich nur darin münden, dass man einmal - wie im Comic – die Lampe überm Kopf hat – und dann plötzlich weiß, was passiert. Ich glaube, dass muss man so ein bisschen mitbringen. Man muss ein bisschen kämpfen wollen, aber es bietet auch einfach viel, viel Spaß."
Und der Zugang zu einem Mathematikstudium ist leicht, betont Jochen Heinloth: "An den meisten Unis in Deutschland gibt es keinen NC für Mathematik. Wir haben nicht das Problem, dass wir zu viele Studierende haben."
Mit guter Betreuung gegen Abbrecherquote
Im Gegenteil. Zudem ist die Abbrecherquote gerade am Studienbeginn sehr hoch, räumt er ein. "Im ersten Jahr verlieren wir die Hälfte. Das ist viel. Wir arbeiten hart daran, wie wir das besser machen können."
So versucht die Uni Duisburg-Essen die Studierenden von Anfang an sehr persönlich zu begleiten, erzählen Jochen Heinloth und Daniel Sebastian, der sich auch als Tutor um die Studierenden kümmert.
Jochen Heinloth: "Man hat von Anfang an Unterricht in Kleingruppen, wo man sehr schnell Mitstudierende kennenlernt und sich austauschen kann. Das ist ganz wichtig. Dafür haben wir hier auch ein Lern- und Diskussionszentrum, wo auch Tutoren anwesend sind. Man lernt Mathematik definitiv nicht im Alleingang, sondern da muss man drüber diskutieren und in der Gruppe geht das dann alles viel besser und schneller."
Gute Berufschancen für Mathematiker
Und Karolina Gliszczynska, die kurz vor ihrer Masterarbeit steht, empfiehlt obendrein die Vorbereitungskurse an den Unis zu besuchen. "Das ist so ein erster Einstieg in das abstraktere Denken, wo nochmal Vorkenntnisse aufgefrischt werden. Und so lernt man langsam an die Uni-Mathematik ranzukommen."
Sie hat es so gemacht und fand es genau richtig. "Das ist das Lemma von Cea: sei UH die Lösung von BH für einen abgeschlossenen Teilraum VH Teilmenge V und U aus V die Lösung von B – dann gilt…"
Wie sie hängen die meisten Mathematikstudierenden an das dreijährige Bachelor-Studium auch noch den zweijährigen Masterstudiengang dran.
Karolina Gliszczynska: "Also es ist schon intensiv. Man muss sehr viel nachdenken aber es ist ein unglaublich schönes Fach. Es ist schön, weil man den eignen Kopf benutzten muss. Ich würde es wieder studieren."
Und weil Mathematik eigentlich in jedem Ding oder Problem unseres Alltags steckt, können Mathematiker auch fast überall arbeiten, betont Jochen Heinloth. Klassische Berufsfelder sind Versicherungen, die Finanzbranche, Informationstechnologie, aber auch das produzierende Gewerbe und Aufsichtsräte: "Wann immer sie etwas optimieren oder ein komplexes Problem mit vielen Daten verstehen wollen, werden Mathematiker eingesetzt."
Und sie werden mit Kusshand genommen. Daniel Sebastian ist gerade auf Stellensuche und hat mehrere konkrete Angebote. "Die suchen nach Leuten, die sich an Probleme setzten, die nicht nach Schema F zu lösen sind und die eine Leidensfähigkeit mitbringen. Und da habe ich bisher nicht den Eindruck, dass man als Mathematiker groß Schwierigkeiten hat."