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Mathematik-Zeitschrift "Die Wurzel"
Komplexe Zusammenhänge verständlich erklären

"In Mathe war ich immer schlecht", gehört zu den Standardfloskeln in Gesprächen und Interviews. Der emeritierte Informatikprofessor Hansgeorg Meißner konnte diesen Satz schon in jungen Jahren nicht nachvollziehen - und gründete vor 50 Jahren die Mathematik-Spezialzeitschrift "Die Wurzel".

Von Henry Bernhard | 11.09.2017
    Mathe, Mathematik, Formel, Formeln
    "Die Wurzel" erscheint jeden Monat in einer 800er-Auflage. (dpa / pa / Constantini)
    "Die Mathematik ist eine ganz einfache Sache: Man braucht sie ja nur zu verstehen", zitiert der emeritierte Informatikprofessor Hansgeorg Meißner den Professor, bei dem er in den 60er-Jahren in Jena Mathematik studiert hat. Und wirklich halten wohl alle, die sich in Jena versammelt haben, um den 50. Geburtstag der Zeitschrift "Die Wurzel" zu feiern, Mathematik für eine im Prinzip einfache, auf jeden Fall aber schöne Sache. Elias Wegert, Mathematikprofessor an der Bergakademie Freiberg, zum Beispiel hielt einen Vortrag "Malen mit Zahlen" über die grafische Darstellung komplexer Funktionen, in dem sehr viele ästhetische Bilder vorkamen, aber fast keine Zahl.
    "Was besonders bedauerlich ist: Dass die Schönheit der Mathematik an den Schulen kaum sichtbar wird. Also, für viele Mathematiker ist Schönheit ein Wahrheitskriterium. Es gibt in der Mathematik Resultate, die schön sind, weil sie sehr elegant sind, weil sie sehr einfach sind, weil sie die Dinge auf den Punkt bringen."
    Eine Schönheit, die Wegert schlagend mit der Eulerschen Formel präsentiert: "Jedem Mathematik-Begeisterten fällt die Eleganz der Gleichung sofort ins Auge. Für alle anderen ist die Zeitschrift "Die Wurzel" auch nicht gemacht."
    Vor 50 Jahren hatte sich der Mathematikstudent Hansgeorg Meißner gemeinsam mit Kommilitonen Gedanken darüber gemacht, wie die Matheausbildung an den Schulen verbessert werden könnte, damit sie die Besten fit macht für das Mathestudium.
    10 DDR-Pfennige kostete die erste "Die Wurzel"
    "Wir hatten das Problem, dass die Schüler an die Universität kamen und die mathematische Vorbildung für ein gutes Studium nicht so richtig gegeben war. Und haben angefangen, Mathematikzirkel zu gründen, Mathematiklager, die besten Studenten einzuladen usw. Auf einmal hatten wir die Idee, wir müssten noch irgendwas machen, was noch eine breitere Wirksamkeit hat. Und da hatte ich die Idee mit der Zeitung. "
    10 DDR-Pfennige kostete "Die Wurzel" damals, ein dünnes Heft, einfach kopiert, mit dem Tacker geheftet. Und enthielt damals wie heute Erklärungen komplexer Zusammenhänge – etwa über die Raumwinkelsumme eines Tetraeders – und Aufgaben zu Fragen, die in der Schule nicht auftauchen – etwa, warum die pralle Wurst immer längs aufplatzt. Heute ist "Die Wurzel" mit 1,25 Euro immer noch preiswert, was daran liegt, dass ihre Redakteure komplett ehrenamtlich arbeiten. Man kann seine Lösungen auch einschicken und korrigieren lassen, kostenfrei.
    Langjährige Leser sind nun aus ganz Deutschland nach Jena gereist, unter anderem auch Eigbert Riewald aus Magdeburg, der, verschuldet durch "Die Wurzel", fast einmal die Sicherheit der DDR gefährdet hat.
    "Während meiner Armeezeit bei der NVA hatten wir so ein Studierzimmer. Da habe ich mich am Wochenende dann immer verkrümelt, um Aufgaben zu lösen. Und wenn man in Mathe sich mit einem Problem beschäftigt, ist man weg. Ich war zumindest geistig weg. Und da war einmal am Wochenende Gefechtsalarm. Ich habe das nicht gehört. Die anderen haben den Dritten Weltkrieg geprobt, ich habe mich mit Mathe beschäftigt."
    Für die "wirkliche Mathematik" begeistern
    Seit 20 Jahren leitet Riewald neben seiner Arbeit als Informatiker an der Uni Magdeburg einen Mathezirkel an einer Schule. Ehrenamtliche organisieren auch die Zirkel, die Speziallager in den Herbstferien, ausschließlich für junge Leute, die für Mathematik brennen. Leute wie Carla Brunner, die in die 11. Klasse eines Jenaer Spezialgymnasiums für Mathematik und Naturwissenschaften geht und dank all dieser über die Jahrzehnte entwickelte Förderung schon Vorlesungen an der Uni hört.
    "Was man an der Schule macht, ist halt überhaupt nicht das, was Mathe wirklich ist. Wenn man mal an der Uni sitzt in der Vorlesung, dann ist das was vollkommen anderes. Also, das nennt sich Juniorstudium, wollte ich mal ausprobieren. Ich habe auch die Klausur geschrieben und bestanden!"
    Und erfolgreich an der Bundesrunde der Mathematik-Olympiade teilgenommen, wie einige ihrer Mitschüler.
    Das Kokettieren damit, dass man in Mathe schon immer schlecht gewesen sei, gehört in Deutschland zum guten Ton. Beim "Wurzel"-Treffen in Jena kann das niemand verstehen, auch nicht Elias Wegert.
    "Wenn jemand sagt, 'In Mathe war ich immer schlecht.', dann sollte man dem sagen, 'Das hatte ich auch gar nicht anders erwartet'."