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Mathematische Hilfe für die Medizin

Medizin. - In Ulm treffen sich seit gestern Mediziner, Ingenieure und Mathematiker, um über eine Methode der Computersimulation zu diskutieren, die immer wichtiger wird. Es geht um die so genannten "Finiten Elemente". Man zerlegt dabei einen komplexes Gebilde in viele kleine Einheiten, deren Eigenschaften man leichter berechnen kann als die des gesamten Objektes. Nur so können Ingenieure zum Beispiel das aerodynamische Verhalten eines ICE-Zuges simulieren, oder Chirurgen eine komplizierte Operation planen.

19.07.2002
    Von Hellmuth Nordwig

    Inmitten der medizinischen Abteilungen des Klinikums rechts der Isar weist ein Schild den Weg zum so genannten Hightech-Forschungszentrum der TU München. Hightech in der Medizin, das ist zum Beispiel die Computersimulation von Operationen. Horst Wawrzyn hat am Rechner das Profil eines Patienten vor sich, der wegen eines extrem weit vorstehenden Unterkiefers schon bald unters Messer muss.

    Das ist der Patient, wir sehen hier den vorstehenden Unterkiefer, und ich schiebe jetzt den Unterkiefer und den Oberkiefer gegeneinander und kann dann schauen, wo das einigermaßen zusammenpasst. Ich kann das dann von allen Seiten betrachten. Man kann den Kiefer auch wieder schließen und so sehen, wo dann der Lippenschluss eintreten würde.

    Dank dieser Simulation können die Chirurgen die Operation schon im Voraus auf den Millimeter genau planen. Gerade im Gesicht kommt es ja nicht nur darauf an, dass Knochen und Gelenke optimal zusammengefügt werden, sondern auch das spätere Aussehen spielt eine Rolle, sagt der Kieferchirurg Hans-Florian Zeilhofer.

    Wir können den Schädel komplett modellieren, Implantate einbringen oder Transplantate und das Verhalten des Körpers des Patienten schon vor der Operation testen am mathematischen Modell.

    Grundlage dieses Modells sind Röntgen-Schichtbilder. Die Daten dieses Computertomogramms liefern die Gewebedichte an jeder Stelle im Schädel des Patienten. Bevor man allerdings Mimik und Kaubewegungen am Rechner verfolgen kann, sind Mathematiker gefragt. Oder Mathematikerinnen wie Cornelia Kober.

    Das globale Problem zerlegt man in viele sehr kleine Bereiche, und nur so kann man das ganze numerisch überhaupt in den Griff bekommen.

    Die "sehr kleinen Bereiche" heißen in der Fachsprache "finite Elemente". Die Mathematiker betrachten dabei nicht den ganzen Schädel auf einmal, sondern winzigste Würfelchen des Kopfes. Für jedes dieser Elemente lässt sich problemlos ausrechnen, was für den gesamten Schädel nicht möglich wäre: nämlich welche Kräfte auf so ein Volumenelement wirken und wie es sich dabei verformt. Die einzelnen Würfel werden dann wieder zum gesamten Bild "zusammengerechnet". Soweit die stark vereinfachte Darstellung der Methode. Zu einfach für den Geschmack von Cornelia Kober, die lieber von parziellen Differenzialgleichungen spricht und von Funktionen, die nur an einer ganz bestimmten Stelle ungleich Null sind.

    Die Hälfte ist Mathematik, die andere bessere Hard- und Software. Aber die eine Hälfte wird wirklich mit Papier und Bleistift erdacht und öffnet so den Weg.

    Den Weg hin zur Planung von Operationen, was anders nicht möglich wäre. Die Belastung von Knochen und Gelenken lässt sich mit diesem Verfahren ebenfalls zutreffend berechnen. Und auch für Fragestellungen jenseits der Medizin ist die Finite-Elemente-Methode wichtig geworden.

    Man kann damit auch Populationsdynamik berechnen, und in den Ingenieurwissenschaften das Belastungsverhalten von Bauteilen, oder auch das Temperaturprofil, und zunehmend beides gekoppelt.

    Noch rechnen die Münchner Hightech-Forscher auf einer Workstation, die so groß ist wie zwei übereinander gestellte Waschmaschinen. Doch schon die nächste Prozessorgeneration soll es möglich machen, dass Simulationsprogramme für die Chirurgie auf einem gewöhnlichen PC laufen.