Samstag, 20. April 2024

Archiv

Mathematisches Risikomodell
Zu viele Mitwisser verderben die Verschwörung

Die Mondlandung - ein PR-Fake der NASA? Ein Mittel gegen Krebs existiert bereits und wird von der Pharmaindustrie zurückgehalten? Verschwörungstheorien in der Wissenschaft gibt es viele. Doch was ist dran an einer Verschwörung und wenn zigtausende Beteiligte daran festhalten? Eine Studie im Fachblatt "PLOS" geht dieser Frage wissenschaftlich nach.

Von Michael Gessat | 27.01.2016
    Symbolfoto zur Statistik, aufgenommen an der Universität Jena.
    Statistik eine Disziplin innerhalb der Mathematik, die die Wahrscheinlichkeit von Verschwörungstheorien analysiert (dpa / picture alliance / Universität Jena)
    Zu viele Köche verderben den Brei, und zu viele Mitwisser verderben die Verschwörung – das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Ein Geheimnis ist schließlich keines mehr, sobald auch nur ein einziger Eingeweihter, sei es absichtlich, versehentlich oder gezwungenermaßen plaudert. Wie groß das Risiko ist, dass eine Verschwörung auffliegt, lässt sich sogar beziffern, sagt David Robert Grimes. Er ist Krebsforscher an der Oxford University und gleichzeitig Wissenschaftsjournalist für den britischen Guardian und die BBC:
    "Das mathematische Modell ist sehr einfach. Die Grundannahme ist: Es gibt pro Jahr und pro beteiligte Person eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass jemand zum Whistleblower wird oder das Geheimnis versehentlich verrät. Die Fehlerrate einer Verschwörung ist sehr klein, aber sie existiert.
    Mathemathisches Modell wird an drei historischen Präzedenzfällen angewendet
    Und wie groß das Risiko pro Person und Jahr ist, lässt sich zumindest abschätzen – nämlich anhand der Daten von aufgeflogenen Verschwörungen. Grimes hat drei historische Präzedenzfälle analysiert, um seine Formel zu kalibrieren: Den von Edward Snowden aufgedeckten Überwachungsskandal von NSA und Konsorten, die unethischen Penicillin-Experimente an US-amerikanischen Syphilis-Patienten in den 1930er Jahren und den Forensik-Skandal des amerikanischen FBI, bei dem 1998 nur durch einen Whistleblower herauskam, dass die Behörde mit pseudowissenschaftlichen Gutachten dutzende Beschuldigte zu Unrecht ins Gefängnis oder gar auf den elektrischen Stuhl gebracht hatte.
    Wann wird die Anzahl der Mitwisser an der Verschwörung kleiner?
    In seinem Modell berücksichtigt David Robert Grimes auch den Faktor, dass die Mitwisser einer Verschwörung weniger werden können: Dies erfolgt auf die eine oder andere Weise:
    "Wenn ein paar Leute im durchschnittlichen Alter von 45 entscheiden, jemanden umzubringen, dann kann man einfach abwarten und die älteren Verschwörer werden nach und nach sterben und als Mitwisser verschwinden. Und dann gibt es ja auch die Option, Mitverschwörer zu eliminieren, um das Geheimnis zu bewahren. Das ist aber letztlich keine gute Idee. Weil das zu einer Panik unter den bis dahin Überlebenden führen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen würde, dass die Verschwörung aufgedeckt wird."
    Etliche Verschwörungstheorien in der Wissenschaft wären mit Mathematik nicht haltbar
    Nun hatte Grimes also ein kalibriertes statistisch-mathematisches Risikomodell – und überprüfte damit vier populäre Wissenschafts-Verschwörungstheorien. Das Ergebnis war eindeutig. Ob bei der angeblich gefälschten Mondlandung, ob bei der vermeintlichen Impflüge, ob beim mutmaßlich zurückgehaltenen Krebs-Wundermittel oder beim angeblich inszenierten Klimawandel. Sämtliche Verschwörungsszenarien wären statistisch gesehen längst aufgeflogen - aufgrund der riesigen Anzahl von notwendigerweise eingeweihten Personen und der verstrichenen Zeit.
    Wirklich eingefleischten Wissenschafts-Skeptikern kann man mit solch logischen Argumenten nicht mehr beikommen, darüber ist sich der Brite im Klaren.
    "Aber ich denke, bei der überwiegenden Mehrheit der Leute ist das anders. .... die haben vielleicht mal von einem Freund gehört, dass Impfungen gefährlich sind oder der Klimawandel nicht existiert. Die sind davon jetzt nicht fest überzeugt, sondern haben das mal gehört und glauben jetzt irgendwie dran. Für die könnte meine Arbeit hier tatsächlich nützlich sein – das sind ja letztlich ganz rationale Leute."