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Mathias Bröckers: Verschwörungen, Verschwörungstheorien und das Geheimnis des 11.9.

Bereits wenige Wochen nach dem Angriff vom 11. September brachte Bertelsmann in seinem Chronik Verlag eine schnell gestrickte, mit Pressefotos bebilderte Dokumentation der Anschläge von New York und Washington auf den Markt. Wesentlich edler kommt ein bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienener Bildband daher, der Hochglanzfotos von Magnum-Fotografen versammelt. Natürlich haben die Leute vom Spiegel zusammengeschrieben, was sie über das Attentat wissen. "11. September - Geschichte eines Terrorangriffs" ist das bei der DVA erschienene Buch überschrieben, das sich wie eine zu lang geratene Spiegel-Serie liest und von Stefan Aust und Cord Schnibben herausgegeben wird. Bei Palmyra haben Georg Stein und Volkhard Windfuhr unter dem Titel "Ein Tag im September" eine Aufsatzsammlung herausgebracht, von der sie in ihrem Vorwort eitel behaupten, sie liefere eine "umfassende Gesamtdarstellung der Hintergründe und Auswirkungen der Anschläge."

Karin Beindorff | 16.09.2002
    All diese Werke können nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute niemand schlüssig erzählen kann, was am 11. September wirklich geschah, wer beteiligt war und wer wann was wusste. Darauf macht Mathias Bröckers bei Zweitausendeins aufmerksam. "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9." ist sein Buch überschrieben, in dem er die Widersprüche und Ungereimtheiten auflistet, die bis heute alle Lesarten des Anschlags kennzeichnen.

    Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terrorristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen.

    Vor der UN-Vollversammlung versuchte George Bush II im November 2001 jeden Zweifel im Keim zu ersticken: Es war das Netzwerk Al Quaida mit Osama bin Laden als Drahtzieher, basta. Wer etwas anderes zu denken wagt, dient nur der Achse des Bösen. Diese Verschwörungstheorie wurde und wird ebenso gebetsmühlenartig wiederholt wie ihr Pendant in der moslemischen Welt: Der israelische Mossad in Tateinheit mit der Ölindustrie hätten das World Trade Center zerstört, um dann das Verbrechen der islamischen Welt in die Schuhe schieben zu können.

    Schon einen Tag nach den verheerenden Anschlägen in New York und Washington, nach dem Absturz in Pennsylvania wussten die bis dahin noch im hochbezahlten Dämmerschlaf verharrenden Geheimdienste der USA, wer sie begangen hatte, und konnten sogar mit einer Liste der 19 Beteiligten aufwarten. Als sich kurze Zeit später herausstellte, dass mindestens fünf davon noch am Leben und keineswegs an Bord der Terrormaschinen gewesen waren, war das nur eine der ersten Ungereimtheiten, die schnell im Nebel der Kreuzzugs-Propaganda wieder verblassten. Und an Ungereimtheiten, Widersprüchen und Falschinformationen ist die Geschichte um die Aufklärung der September-Attentate wahrlich reich. So reich, dass sich die Kongressabgeordnete Cynthia McKinney im April dieses Jahres veranlasst sah, öffentliche Aufklärung zu verlangen:

    Die Ereignisse um den 11. September bedürfen ebenso dringend einer Untersuchung wie das Enron-Debakel, soviel ist klar... Dies ist nicht der Zeitpunkt für Sitzungen hinter verschlossenen Türen, und es ist nicht der Zeitpunkt für Heimlichtuerei... Die Welt steht an der Schwelle von bewaffneten Konflikten, und unsere Regierung betreibt eine vage, unentschlossene und undurchsichtige Politik. Etliche schwerwiegende finanzielle Interessenkonflikte wurden in jüngster Zeit aufgedeckt, und es kommen ständig neue ans Tageslicht. Davon betroffen sind der Präsident, der Justizminister, der Vizepräsident und andere Regierungsmitglieder.

    Die Forderung nach Transparenz und gründlicher Untersuchung, die Cynthia McKinney im Parlament zu erheben wagte, stießen selbst in der eigenen Partei, bei den Demokraten, auf wenig Zustimmung. Zu den wenigen Journalisten, die hierzulande schon unmittelbar nach den Anschlägen öffentlich Fragen stellten, die nicht ins offizielle Bild passten, gehörte der ehemalige taz-Redakteur Mathias Bröckers. Bezeichnend ist allerdings, dass er dies in einem Internet-Tagebuch tat, einem konspirologischen Tagebuch, wie er es nennt, in dem er die neuesten Meldungen auseinander pflückte, auf Quellen, Glaubwürdigkeit und Widersprüche hin untersuchte und dabei offen über mögliche Täter und Motive spekulierte. Keine der großen, sich im Titel so unabhängig rühmenden Zeitungen, keine Fernseh- oder Rundfunkanstalt nahm derartige Überlegungen damals ernsthaft auf. Mitmachen war angesagt. Hier und da tauchte zwar eine nicht ins Bild passende Meldung auf, wie etwa die, dass bin Laden noch im Sommer 2001 in Dubai im amerikanischen Hospital mit einem CIA Agenten zusammengetroffen sei oder dass die Familie Bush mit der Familie bin Laden geschäftliche Verbindungen gepflegt habe, doch diese Meldungen wurden nicht verfolgt und verschwanden, als hätte ein unausgesprochenes Denkverbot sie getilgt. Das gilt auch für all die anderen bizarren Widersprüche bei den Ermittlungen nach den Anschlägen.

    Bröckers ging es weder in seinen Internet-Kolumnen noch geht es in seinem jetzt erschienenen Buch darum, so zu tun, als wisse er, wie es wirklich war. Er weiß nur, wie es nicht gewesen sein kann, und das allein gibt schon reichlich zu denken. Bröckers war gerade damit beschäftigt, ein Buch über Verschwörungstheorien zu schreiben, als die Anschläge im September 2001 ihm einen unerwarteten Anschauungsunterricht zum Thema boten. Seine Informationsquelle ist das Internet, und diese Quelle nährt beständig massive Zweifel an der von Politikern und Geheimdienstlern verbreiteten Version über Täter und Tatumstände. Im weltweiten Netz haben Interessierte und kenntnisreiche Insider, fanatische Ideologen und fleißige Informationssammler, professionelle Desinformierer und Spinner allerhand zusammengetragen, was das Bild von der tapferen (christlichen) Zivilisation im Überlebenskampf gegen das islamische Böse zu zerstören geeignet ist. Bröckers geht allen Daten nach, denen über die geostrategischen Interessen der USA ebenso wie den Meldungen über die Versuche der Ölkonzerne, sich eine Pipeline in Afghanistan zu sichern, die den Energiefluss in den Westen sichern soll. Die milliardenschwere Aufrüstung der islamischen Fanatiker, Osama bin Laden eingeschlossen, gegen die UdSSR wird thematisiert, das Verbot der Bush-Administration vor dem 11. September, den bin Laden Clan genauer unter die Lupe zunehmen, die Treffen mit den später verteufelten Taliban, um sich bei ihnen die Pipeline durch ihr Land zu erkaufen - kurzum: das US-amerikanische Außenpolitik-Prinzip, die Schurken erst zu schaffen, die man anschließend beseitigen muss.

    Der merkwürdigste und am wenigsten bekannte Fall in diesem Buch dürfte der des zwielichtigen Undercover-Agenten Delmart ‚Mike’ Vreeland, sein, der im Dezember 2000 in Kanada verhaftet wurde und, nachdem man sein Ersuchen um ein Gespräch mit dem kanadischen Militärgeheimdienst ablehnte, in einer Notiz an seine Wärter im August 2001 vor den Anschlägen mit präzisen Hinweisen warnte. Auf seinem Zettel notierte der US-Amerikaner auch den Satz: "Let one happen, stop the rest" - also ‚Lass eins geschehen, stopp die anderen’. In einem späteren Verhör bestätigte Vreeland, dass dieser Satz bedeute, dass ein Geheimdienst die Terrorzelle unterwandert habe und dass er als Hinweis auf die Planungen, als eine Art Regieanweisung, gemeint sei.

    Manchmal schaffen bestimmte Regierungen Netzwerke wie Al Quaida, die in Afghanistan ja wirklich an der Regierung waren. Und diese Einrichtungen schaffen dann spezielle Probleme im Sinne der sie steuernden Regierung.

    Vreeland hielt es sogar für möglich, dass die Terrorzellen geführt wurden, ohne dass sie es selbst gemerkt haben. Zu weiteren Details verweigerte er die Aussage, weil er angeblich um sein Leben fürchtet. Boshafte Lügen? Verschwörungstheorie? Verfolgungswahn? Was wissen wir, was ist denn nun glaubwürdig, was sind die Kriterien, nach denen wir uns an die Wahrheit herantasten können? Bröckers schlägt als wichtigstes Mittel der Aufklärung die Frage vor: "Wem nützt das?", doch nicht ohne gleich wieder darauf hinzuweisen, dass derjenige, der am meisten von den Anschlägen profitiert, nicht auch zwangsläufig der Täter sein muss. Eine funktionierende Verschwörungstheorie, eine bessere als die der Bushs und Co und ihrer willigen Medienhelfer, arbeitet immer auch mit dem Verdacht gegen sich selbst. Ob nun Politiker immer wieder Beweise versprechen, die wir dann doch wieder nicht zu sehen kriegen, ob in irgendwelchen Hinterzimmern Karatschis vor wackliger Kamera und rauschendem Mikrophon Bekenntnisse abgegeben werden:

    Die kriminalistische Untersuchung des Falls, die von der Bush-Administration Ende Januar gestoppt wurde, wird im Internet weitergehen, und die teilweise jetzt schon himmelschreiende Evidenz offizieller Lügen und Vertuschungsversuche wird weiter zunehmen und den Druck verstärken. Der öffentliche ... Druck wird über kurz oder lang die Mainstream-Medien zwingen, aus ihrer Trance zu erwachen.

    Das Erfreuliche an diesem detailreichen, manchmal verwirrenden und vielleicht auch etwas zusammengestoppelten Buch ist, dass man nach der Lektüre zwar immer noch nicht weiß, was hinter den Attacken vom 11. September steckt, dass man sich aber den medialen Propaganda-Angriffen auf den gesunden Menschenverstand, den "Verschwörungstheorien und boshaften Lügen", besser gewachsen fühlt.

    Mathias Bröckers: "Verschwörungen, Verschwörungstheorien und das Geheimnis des 11.9." - Der Band ist im Verlag Zweitausendeins erschienen, 359 Seiten, 12 Euro 75.