In Hamburg schläft Mathilda zunächst ein paar Nächte in ihrem Auto. Durch das gläserne Schiebedach des Wagens sieht sie wieder ein rechteckiges Stück vom Himmel, als hätte sie es von zu Hause mitgenommen. Sie nimmt miese Jobs an, hat widerlichen Sex mit einem Kellner und verstößt einen Verehrer, der es wirklich ernst mit ihr meint. Es sind nicht die besten Erfahrungen, die Mathilda bei ihren ersten eigenen Schritten macht, aber es sind ihre eigenen. Zumutungen erträgt sie, als wären es Notwendigkeiten, vor Nähe hat sie Angst. Alles, was sie tut, scheint darauf angelegt zu sein, sich selbst Schmerz zuzufügen. Die stummen Protestaktionen gegen den falschen Vater richten sich gegen sie selbst.
Ich würde sagen, die Mathilda ist ein sehr störrischer Typ, eine, die offensichtlich nur wenig redet. Und in diesem Buch offensichtlich nur eine Figur hat, mit der sie sich wirklich austauscht. Ansonsten immer das Gefühl hat, sie muss ihre Probleme selbst verarbeiten. Störrisch und eigenwillig! Es ist wahrscheinlich schwierig, so jemanden zur Freundin zu haben.
Mathildas Freundin Julia ist der einzige Mensch, zu dem sie Vertrauen hat. Mit ihr reist sie schließlich in den Süden. Am Ende kommt es zu einer Annäherung zwischen Mathilda und ihrem Vater, der inzwischen einen Schlaganfall erlitten hat. Mathildas Himmel ist weiter geworden auf der Reise. Der Zorn des Aufbruchs ist eigenen Erfahrungen und einem daraus resultierenden Verständnis gewichen. Nicol Ljubić erzählt diese leise Geschichte vom Erwachsenwerden seiner unspektakulären Heldin in knappen, präzisen Sätzen mit einem erstaunlichen Gespür für Stimmungen und Zwischentöne. Seine Sprache wirkt weder künstlich, noch so, als hätte er sie der Generation Mathildas abgelauscht. Mit sparsamer Metaphorik und äußerster Klarheit gelingt es Ljubić, glaubhaft die Entwicklung seine jungen Hauptfigur zu beschreiben.
Es war nicht beabsichtigt und nicht bewusst, dass ich gesagt habe: Ich schreibe jetzt die Geschichte eines achtzehnjährigen Mädchens, weil ich so ein große Mädchenversteher bin. (...) Ich hab mir auch nie ernsthaft darüber Gedanken gemacht, was für eine Verantwortung ich damit übernehme, dass ich sage, ich weiß, wie eine Achtzehnjährige funktioniert. Ich merkte das dann, als ein paar professionelle Leser, also Lektoren, das gelesen haben, und als erstes immer die Frage kam: Warum hast du so ein junges Mädchen gewählt? Da habe ich erst einmal angefangen zu verstehen, dass es ja echt ein Problem war, weil ich bin kein Mädchen, keine Frau, bin und auch wesentlich älter als die Mathilda, die achtzehn ist. Ich war dann wahnsinnig glücklich, als Frauen in dem Alter das gelesen haben und keine gesagt hat: Aber so denkt keine Achtzehnjährige.
Nicol Ljubić wurde 1971 in Zagreb geboren. Als Sohn eines Lufthansangestellten wuchs er in Griechenland, Schweden und Russland auf, machte in Bremen sein Abitur und arbeitete danach als Journalist unter anderem für die Zeit, Geo, das Jetzt-Magazin und den Tagesspiegel. Die Arbeit an seinem ersten Roman empfand der mit dem Hansel-Mieth-Preis für engagierten Journalismus ausgezeichnete Autor als Befreiung von journalistischen Schreibzwängen.
Also journalistisches Schreiben ist für mich immer eine Qual gewesen, weil es mir unheimlich schwer fällt, über andere Menschen zu schreiben, so über real existierende andere Menschen, weil ich immer denke, ich werde denen nicht gerecht. (...) Dann hatte ich diese Idee mit dem Buch (...) Das war ein ganz anderes Schreiberlebnis, das hat so Spaß gemacht, das war wie ein Rausch, wo ich merkte, ich muss das nicht abgleichen mit irgend einer Realität, das entsteht und verselbständigt sich. Diese Erfahrung war eigentlich so schön, dass ich für mich gesagt habe, wenn es irgendwie geht, möchte ich das weiter machen.