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Matthew Herberts Schlachtplatte

Vor dem Erscheinen von "One Pig", dem neuen Album von Matthew Herbert, gab es Protest: Unter anderen forderte eine Gruppe auf Facebook, die Produktion der Platte einzustellen. Denn Herbert vertont auf dem Album das Leben eines Schlachtschweins.

Von Florian Werner | 18.10.2011
    In der Popmusik haben Schweine einen schweren Stand. Von Pink Floyds "Pigs", über "Piggies" von den Beatles, bis hin zu "Männer sind Schweine" von den Ärzten: Immer müssen die Tiere als Metaphern für schmierige Moralapostel, kapitalistische Ausbeuter oder übersexualisierte Machos herhalten. Und nicht nur in der Musik − in der gesamten westlichen Kultur bekommen Schweine, im wahrsten Sinne des Wortes, ‚ihr Fett weg’:

    "Wir haben so viele negative Ausdrücke für dieses Tier: ‚dreckiges Schwein’, ‚blöde Sau’, ‚so eine Ferkelei’, ‚dein Zimmer ist ein Saustall’, und so weiter. Gleichzeitig sind wir von diesen Tieren aber abhängig. Produkte vom Schwein finden sich buchstäblich in Tausenden von Dingen, die wir tagtäglich benutzen. Wir haben also eine merkwürdige Beziehung zu diesen Tieren: Einerseits verdankt unsere Gesellschaft ihnen sehr viel; andererseits behandeln wir sie gewissermaßen wie Dreck."

    Auf dem Konzeptalbum "One Pig" des englischen Musikers und Produzenten Matthew Herbert kommen die Schweine nun endlich einmal selbst zu Wort: Die Platte verfolgt den Lebensweg eines englischen Hausschweins, von der Geburt über die Mast bis zur Schlachtung.

    Fast alle Geräusche auf der Platte stammen aus dem Leben und Sterben des Schweins: Wir hören das schwere Atmen der Mutter bei der Geburt. Wir hören das Grunzen des neugeborenen Ferkels, seine Fressgeräusche, das Messerwetzen des Metzgers. Dazu erklingen Instrumente, die aus den sterblichen Überresten des Tiers gefertigt wurden: aus der Haut wurde eine Trommel gebaut − die Knochen wurden als Perkussionsinstrumente eingesetzt − und selbst das Blut fand noch Verwendung:

    "Ich wollte das Schwein durch die Musik gewissermaßen wieder zum Leben erwecken. Und wir hatten noch viel Blut übrig, also bat ich Henry Dagg, ein Instrument für mich zu entwerfen, mit dem man das Blut wieder zum ‚Singen’ bringen konnte."

    Der Instrumentenbauer Henry Dagg entwarf also für Herbert eine merkwürdige, viktorianisch anmutende Blut-Orgel:

    "Sie besteht aus riesigen Reagenzgläsern, in denen sich Kolben mit verschiedenen Rohrblättern befinden. Wenn man einen Kolben herunterdrückt, strömt zuerst einmal Luft durch das Rohrblatt − das klingt noch relativ normal. Aber dann kommt das Blut, und das ergibt dann so ein röchelndes Geräusch."

    Nachdem die Arbeit an "One Pig" beendet war, wurde das Fleisch des Tiers festlich zubereitet und vom Komponisten zusammen mit einer Handvoll ausgewählter Gäste verspeist. Die Platte beginnt also mit dem Grunzen von Schweinen und endet mit dem Schmatzen menschlicher Esser − und irritierender Weise kann man als Hörer kaum unterscheiden, wer da eigentlich gerade isst beziehungsweise frisst: Mensch oder Tier.

    "Ich glaube, die wichtigste Lektion, die ich gelernt habe, war, dass ich auch nicht besser bin als ein Schwein. Wir sagen, wenn wir von Schweinen sprechen, zwar ‚Tiere’ − aber eigentlich sollten wir besser ‚andere Tiere’ sagen, schließlich sind wir selber auch nur welche. Schweine haben einen besseren Geruchssinn als wir. Sie können Sachen fressen, die wir nicht verdauen können; und sie sind intelligente Tiere. Na ja, ich will damit nicht gerade behaupten, dass sie intelligenter sind als wir. Ich glaube zum Beispiel nicht, dass ein Schwein gerade irgendwo eine Platte aufnimmt, die von Menschen handelt."