Donnerstag, 28. März 2024

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Matthias Dell
Schelte der „Kollegenschelte“

Kritik gehört zum Journalismus wie das Amen zur Kirche – solange Politiker oder andere Menschen des öffentlichen Lebens betroffen sind. Journalistinnen und Journalisten die andere Medienschaffende kritisieren, werden hingegen nicht sonderlich gerne gesehen, meint unser Kolumnist Matthias Dell.

Von Matthias Dell | 20.03.2019
Ein Mann trägt ein Hemd mit Sakko, um den Hals hängt ihm ein Schild, auf dem steht: "A Watschn 2.-". Watschn ist ein österreichisches Wort für Ohrfeige.
Kritik ist unter Journalisten gerne gesehen - wenn es andere trifft. (imago/viennaslide)
Wer Medienkritik übt wie in den Betrugsfällen Claas Relotius und Dirk Gieselmann, dem begegnet dann und wann der Begriff der Kollegenschelte. Irgendwie logisch: Wer sich als Journalist kritisch mit Journalismus befasst, der kritisiert auch mal andere Journalisten, also Kollegen. Das kann unangenehm sein. Und ist einer der Gründe, warum Medienkritik nicht zu den Traumberufen einer jeden Teenagerin gehört: Einerseits interessiert Medienkritik eigentlich nur Leute, die in Medien arbeiten. Und dann macht man sich bei diesem kleinen Publikum auch noch unbeliebt.
Kritik gehört zum Journalismus
Kritisiert Medium A etwa Medium B könnte Medium B natürlich die Größe haben zu sagen: Ach, wie interessant und lehrreich, wer ist schon frei von Fehlern und außerdem wächst man doch an den richtigen Hinweisen auf die eigenen Unzulänglichkeiten. Aber andererseits ist das mit der Größe nicht so leicht, weshalb Medium B dann womöglich eher denkt, jetzt reicht's, das Maß ist voll, jetzt schauen wir mal, was sich Medium A so vorhalten lässt. Und weil Medium A das alles selbst schon vorher weiß, weil es auf eine Kritik von Medium B ja vielleicht auch nicht zwingend mit Größe reagieren würde, überlegt es sich also gut, wann es Medium B überhaupt kritisiert. Sagen wir es so: Die große Ära der Medienkritik steht immer noch unmittelbar bevor.
Der Begriff "Kollegenschelte" hat ausgedient
Bis es so weit ist, könnte der Begriff der Kollegenschelte verschwinden. Was heißt könnte, er müsste verschwinden. So richtig weiß man umgekehrt nämlich gar nicht, wo die Kollegenschelte eigentlich herkommt. Der Begriff steht plötzlich im Raum und verbreitet Zweifel: Wenn wir jetzt Journalistin Soundso kritisieren – wäre das nicht Kollegenschelte?
Auf diese Weise ist die Kollegenschelte vor allem ein Hindernis. Sie kommt aus dem Nichts und dann muss man sich vor ihr rechtfertigen. Und das vor einem Begriff, der sich ungerechterweise selbst nicht erklärt. Das Wort Kollegenschelte suggeriert nur, dass das etwas Ungehöriges ist, etwas, das man nicht tut. Warum begründete Kritik an Kollegen gleich Schelte sein soll und damit unqualifiziert – das sagt einem dieses Wort nicht.
"Politikerschelte" oder "Regisseurschelte"? Undenkbar.
Man stelle sich vor, es gäbe den Begriff der "Politikerschelte" – die ganzen Leitartiklerinnen und Politikbetriebsbeobachter wären arbeitslos. Oder es existierte ein Begriff wie "Regisseurschelte", der ebenfalls ohne sich selbst zu erklären, irgendwie das Gefühl vermitteln würde – man kann mit Filmemacherinnen und Theaterregisseuren sicherlich vieles anfangen, aber sie zu kritisieren, das geht nicht. Oder nur sehr schwer.
Das Problem mit der Kollegenschelte ist: Sie fasst den Bereich des Internen zu weit. Natürlich redet man in der eigenen Familie anders als in der Öffentlichkeit über sie. Aber wenn alle Kollegen plötzlich Familie sind, dann stimmt irgendetwas nicht. Dann hat man Angst oder ist eitel oder ignorant oder was weiß ich. Man hat jedenfalls weder Lust auf Kritik. Noch auf Öffentlichkeit. Das allerdings ist für den Journalismus und seine populäre Rolle als vierte Gewalt keine gute Voraussetzung.