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Mauerfall und Kunst

Welchen Anteil hatte die Kunst, hatten die Künstler am Fall der Mauer? Das fragt "Kultur heute" in loser Folge Dichter, Theatermacher und Maler wie den bildenden Künstler Via Lewandowsky. Er hat von 1982 bis '87 an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden studiert, '89 die DDR verlassen, wo er 1963 geboren wurde.

Mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Er war documenta-Teilnehmer und ist im Bereich von Performance, Szenografie, Skulptur und Malerei tätig. Wie homogen, Herr Lewandowsky, war die Ostkunst, oder besser, wie inhomogen war sie, denn gerade Sie sind ja auch jemand, der ein Beleg dafür ist, dass es nicht nur sozialistische Kunst gab?

    Via Lewandowsky: Na, das ist immer schwer zu sehen, weil man muss immer den Betrachtungswinkel einbeziehen. Also wenn man jetzt an die Antarktis geht oder irgendwie die Menschen da fragt, die sagen auch, also es gibt hundert verschiedene Weißtöne, und so ist das ein bisschen auch in der DDR gewesen, also von außen betrachtet, im Vergleich zur westlichen Kunst war das schon auch wirklich homogen. Und diese verschiedenen Formen, die sich ausgeprägt haben, die unterschieden sich erst bei näherer Betrachtung und auch beim Kontext. Also es konnte schon durchaus sein, dass offizielle Maler formal Ähnlichkeiten hatten auch wieder mit Inoffiziellen, ja, aus der mehr subversiven Szene, wenn man das mal so bezeichnen darf.

    Köhler: Er musste im Jahr '89 - helfen Sie mir, wann genau, ich weiß nicht, ob es erste oder zweite Jahreshälfte ist - ist ein Objekt, eine sogenannte Bildschaukel, habe ich gesehen, Acryl auf Leinwand, mit dem verheißungsvollen Titel "Gefrorene Glieder brechen leicht". War das noch vor der Wende oder schon nach der Wende?

    Lewandowsky: Also die Arbeit hat zwei Teile. Der eine Teil ist 1988 entstanden anlässlich eben der Bezirkskunstausstellung, zu der ich, warum auch immer, eingeladen gewesen war. Für die hatte ich dieses Bildobjekt konzipiert, "Gefrorene Glieder brechen leicht". Man sieht eine Figur, die zwei Köpfe hat, ein angewinkeltes Bein, das angebunden ist an das ausgestreckte Bein. Und das war sozusagen die Referenz auf die DDR und so weiter, das Janusköpfige und im Fortschreiten behindert, aber als gesamtdeutsches Phänomen, interessanterweise eben schon '88 prognostiziert, wie ein Stehaufmännchen wird es wieder nach oben kommen, also ist nicht zu kippen. Nach dem Weggang 1989 habe ich dann noch mal einen zweiten Teil hinzugefügt, die Rückwand. Und das ist eine abgeschnürte Hand auch aus einem medizinischen Buch und das ist der Gruß zum Abschied.

    Köhler: Ich frage das aus zwei Gründen: erstens weil es noch aus Ihrer DDR-Zeit stammt und andererseits, wenn man Sie ein wenig kennt, weiß man, dass das große Feld der Naturwissenschaften, des Menschen und der Kunst Sie sehr beschäftigt. Sie haben dem Magazin des Goethe-Instituts in Moskau, wenn ich das richtig nachgelesen habe, vor zwei Jahren mal auf die Frage geantwortet, worauf sich Ihre Kunst bezieht, da haben Sie gesagt, auf die Ästhetik des Scheiterns und die alltägliche Vergeblichkeit des Tuns. Und dann kommt was Schönes: Was bezweckt Ihre Kunst? Ihre Antwort in drei Worten: Reiz und Reaktion. Kann man die Wende vielleicht auch so beschreiben, auf einen Reiz, einen unwiderstehlichen politischen Juckreiz folgte das große Kratzen ohne blutige Wunden und ohne gebrochene Glieder?

    Lewandowsky: Also das große Jucken blieb bei mir aus. Ich glaube, das hat vielleicht andere betroffen, nicht mich. Ich war da schon weg, ich hatte ja meinen Anteil an der Wende weit davor geleistet und dachte so, also ich kann jetzt mal gehen. Ich habe getan, was ich tun konnte, und es war wirklich so. Zu dem Zeitpunkt, als ich weggegangen bin, war meine Zukunft mehr als düster in diesem Teil Deutschlands gewesen, und es war auch die richtige Entscheidung. Ich habe auch später in meinen Unterlagen gelesen, in dieser Stasiakte, die ich zwar nicht kenne, aber Auszüge daraus, dass man mich eben auch in der Zeit verhaften wollte und internieren wollte und wie auch immer, ist jetzt ein hartes Wort, aber gut. Und das war dann für mich irgendwie später auch kein Thema mehr. Also ich habe nie in diese Unterlagen geschaut, ich habe viele Dinge zurückgelassen und ich habe mich nicht umgedreht. Ich wollte auch mich nicht umdrehen. Und das ist natürlich jetzt in einer anderen Form 20 Jahre später dann doch wieder passiert.

    Köhler: Im Westen war die Stahlbetonleinwand Gegenstand für Mauerkunst. Wie war das im Ostteil? Sie haben gerade so beiläufig gesagt, ich habe meinen Anteil daran geleistet. Worin bestand der aus Ihrer Sicht?

    Lewandowsky: Der bestand darin, dass ich allen Unfug gemacht habe, dass man sich nicht immer alles gefallen lassen muss und dass man das tun sollte, was man glaubt, tun zu müssen und sollte dafür auch einstehen. Ich glaube, die, die um mich herum waren, haben das vielleicht auch in einer gewissen Art und Weise gesehen und vielleicht dann auch einmal gedacht, na, der ist verrückt oder was macht der, was traut er sich, warum tut er das. Aber ich war dann auch irgendwann nicht mal mehr der Einzige, also ich war dann auch sozusagen mit anderen zusammen, die ähnlich agiert haben dann im Studium. Und das, glaube ich, hat dann schon auch neben vielen anderen kleinen Tropfen zu diesem Strom geführt, der dann den Damm zum Brechen brachte.