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Maurice Ravel - Die Klavierkonzerte

Heute geht es um Musik von Maurice Ravel, genauer gesagt, um seine beiden Klavierkonzerte, die jetzt erschienen sind bei jener großen Schallplattenfirma, die im 100. Jahr ihres Bestehens uns davon überzeugen will, daß Gelb die Farbe der Klassik ist: bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft in Hamburg. Der in der Schweiz lebende Pole Krystian Zimerman ist der Solist, die Orchester kommen aus England und Amerika und am Dirigentenpult steht der Franzose Pierre Boulez. Doch seien Sie zunächst herzlich begrüßt von Ludwig Rink und mit einigen Takten aus Ravels Walzer-Paraphrasen "Valses nobles et sentimentales", die ein kluger Programmgestalter der Firma zwischen die beiden Klavierkonzerte eingeschoben hat. * Musikbeispiel: Maurice Ravel - aus "Valses nobles et sentimentales", Nr. 1 - Modéré Geld ist nicht alles, aber alles ist einfacher mit Geld. Das galt auch für den Bruder des Philosophen Ludwig Wittgenstein, den Pianisten Paul Wittgenstein, der im ersten Weltkrieg den rechten Arm verloren hatte, ein gerade für einen ausübenden Musiker niederschmetterndes Schicksal. Doch Paul Wittgenstein war zäh und gab nicht auf: Mit unermüdlicher Energie trainierte er die verbliebene linke Hand und erreichte ein unglaubliches Maß an Beweglichkeit und Virtuosität. Und bei der Lösung der Frage, was er nun spielen solle, half ihm der finanzielle Wohlstand seiner überaus kunstsinnigen Familie: Er erteilte Kompositionsaufträge, u.a. an Sergej Prokofjew, Benjamin Britten, Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Richard Strauss und an Maurice Ravel. Und bei dem französischen Komponisten, der in diesen frühen 30er Jahren gleichzeitig noch an einem völlig anders gearteten Klavierkonzert arbeitet, gerät das Konzert für die linke Hand zu einer überaus kraftvollen, geradezu bekenntnishaften Musik. Zunächst geht es ihm darum, den Eindruck eines für zwei Hände geschriebenen Klavierparts mit möglichst großer Klangfülle zu erzeugen. "Deshalb," so berichtet Ravel selber, "nahm ich meine Zuflucht zu einem Stil, der dem etwas imposanten Stil des traditionellen Konzertes nähersteht." Diese Vorspiegelung der Illusion eines zweihändigen Klavierspiels ist aber nur eine Seite des einsätzig angelegten Werkes. Die andere zeigt einen Komponisten, der offensichtlich tief berührt von dem Schicksal des Pianisten die ihm sonst nachgesagte vornehme Zurückhaltung hintanstellt und ein Bild schafft, das unheimliche Düsternis ebenso umfaßt wie gleißendes, farbenprächtiges Licht, das hier in wehmütiger Melancholie verharrt und bald darauf zu wilder, trotzig aufbrausender Dramatik findet. * Musikbeispiel: Maurice Ravel - aus "Klavierkonzert für die linke Hand D-Dur" Soweit ein Ausschnitt aus dem Klavierkonzert für die linke Hand D-Dur von Maurice Ravel, gespielt von Krystian Zimerman und dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Pierre Boulez. Die Deutsche Grammophon hat ihre neue Ravel-CD in der Aufmachung ganz auf den Dirigenten Pierre Boulez und den Solisten Krystian Zimerman abgestellt. Welches Orchester hier spielt - immerhin das Cleveland bzw. das London Symphony Orchestra - erfährt man erst auf der Rückseite, und auch im Booklet ist zwar in 5 Sprachen etwas über Ravel und in vier Sprachen eine ganze Menge über Solist und Dirigent zu erfahren, nichts aber über die zweimal etwa einhundert Musiker der beiden "Klangkörper". Das zumindest ist ein Schönheitsfehler einer Edition, die mit dem Motto "Kunst ohne Kompromisse" wirbt. Und daß die Aufnahmen schon ein bißchen älter sind, zum größeren Teil schon im November 1994 gemacht wurden, fällt dann unangenehm auf, wenn es in der Ankündigung der CD u.a. heißt: "Zum ersten Mal hat Zimerman mit Pierre Boulez zusammengearbeitet, und gemeinsam setzen die beiden kompromißlosen Künstler neue Standards in diesem Repertoire." Warum braucht es oft Jahre von der Aufnahme bis zur Veröffentlichung? Dauert der digitale Schnitt so lange, sind die Tonmeister überlastet, haben die Künstler keine Zeit, ihre Aufnahmen anzuhören und freizugeben oder waren es hier eher die Marketing-Strategen, die es für sinnvoll hielten, diese Aufnahmen bis zum Firmenjubiläum zurückzuhalten? Was die Werbung sonst verspricht, wird weitgehend gehalten: Es sind kristallklare Aufnahmen, und, was Zimerman betrifft, in der Tat "Dokumente seiner feinen Nuancierungskunst". Für die ist vor allem im Mittelsatz des G-Dur-Klavierkonzertes viel Raum, diesem von sehr lebendigen, eher mediterran heiteren, oft auch leicht jazzig angehauchten Sätzen umschlossenen Adagio assai. Es ist eine Art Nocturne, vielleicht auch die Erzählung eines Traums in verschiedenen Wach-Stadien, und von Variation zu Variation entwickelt das Soloklavier seine lang gewundenen, ein wenig entrückten Klanggirlanden, entführt uns in einen Zustand schwerelosen Schwebens und scheinbar unendlichen Dahinfließens... * Musikbeispiel: Maurice Ravel - aus "Klavierkonzert G-Dur", 2. Satz - Adagio assai Die neue Platte - heute mit einer Produktion der Deutschen Grammophon Gesellschaft: Sie ist den beiden Klavierkonzerten von Maurice Ravel gewidmet. Zuletzt hörten Sie mit Krystian Zimerman und dem Cleveland Orchestra unter der Leitung von Pierre Boulez einen Ausschnitt aus dem 2. Satz des Konzertes für Klavier und Orchester G-Dur.

Ludwig Rink |
    Hier im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.