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Maus-Genomkarte, die Zweite

Biologie. - Ein Deja-vu-Erlebnis hatte heute, wer die Online-Ticker auf der Suche nach Neuigkeiten in den Naturwissenschaften abgraste: Wie die Online-Ausgabe des Fachblattes "Nature" meldete, erstellte ein internationales Forscherteam jetzt eine nahezu vollständige Karte des Mausgenoms. Doch bereits vor einem Jahr - am 31. April 2001 - hatte kein geringerer als der berühmt-berüchtigte US-Genforscher Craig Venter genau diese Pioniertat für sich in Anspruch genommen. Dennoch bestehen eklatante Unterschied in beiden Arbeiten

    Weder vor einem Jahr, noch heute darf das Erbgut der Maus als wirklich vollständig kartografiert gelten. Was Craig Venters Unternehmen Celera Genomics vor einem Jahr der Weltöffentlichkeit stattdessen vorgelegt hatte, waren vielmehr unzählige einzelne Teile des Mausgenoms, die jeweils einzeln entziffert worden waren und zusammen insgesamt rund 90 Prozent des Erbschatzes abdeckten. Doch der Hauptnachteil dieser unzusammenhängenden Daten: Da die Reihenfolge der Teilabschnitte weitgehend ungeklärt war, ähnelten die Informationen Seiten eines Buches, bei denen aber die Seitenzahlen fehlen. Die jetzt von dem durch öffentliche Mittel finanzierten Team vorgelegten Gencodes stellen dagegen tatsächlich eine zusammenhängende Genkarte dar ? somit kann im Erbbuch der Maus erstmals wirklich geblättert werden.

    Dazu untersuchten die Biologen einzelne Abschnitte des Erbgutes, so genannte Mikrosatelliten, die quasi Landmarken auf dem Erbgut darstellen. Aus der Rekonstruktion ihrer Position auf den 19 Chromosomen der Maus machten die Wissenschaftler schließlich verschiedene Orte aus, an die jeweils bestimmte Teile des DNS-Puzzles angeheftet werden konnten. Erst dann machte sich das Team daran, wie zuvor die privatwirtschaftliche Konkurrenz, die Erbfäden stückchenweise abzulesen und diese "Gen-Seiten" an die richtigen Stellen auf der sich so langsam füllenden Karte korrekt zu platzieren.

    In Bälde soll so erstmals ein wirklich vollständiges "Buch" des Mausgenoms verfügbar sein. Damit aber wird auch ein Traum der Genetik wahr: Die Genkarte erlaubt dann direkte Vergleiche mit entsprechenden Genabschnitten beim Menschen und liefert dann Hinweise auf Ähnlichkeiten und Unterschiede. So könnte etwa die gemeinsame Evolution von Mensch und Maus genauer verfolgt werden. Überdies versprechen sich Experten daraus wichtige Fortschritte bei der Medikamentenentwicklung, gilt die Maus doch als das Parademodell der Pharmazie. Zukünftig könnte genauer unterschieden werden, welche Wirkmechanismen möglicherweise auf den Menschen übertragen werden können und welche nicht.

    Dennoch waren Venters Bemühungen durchaus nicht für die "Katz": So konnten Pharmaunternehmen bereits vor einem Jahr gegen lukratives Entgeld Blicke auf besonders interessante Genabschnitte werfen und ihre Forschungen damit vorantreiben. Mit dem Erscheinen der öffentlich frei zugänglichen, neuen Genkarte dürfte der Wert des Celera-Mauspuzzles allerdings rapide verfallen.

    [Quelle: Michael Lange]