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Mausklicks für Menschenrechte

Ob aus Tunesien, Äypten, Syrien, Marokko oder Saudi-Arabien: Arabische Blogger werden zu Ikonen einer neuen Generation von Menschrechtskämpfern. Tatsächlich klickt sich kaum jemand häufiger als sie in das World-Wide-Web ein, um auf Unterdrückung aufmerksam zu machen. Und das mit großem Geschick.

Von Ibtissam Moure | 03.01.2009
    Ein Standbild zeigt den tunesischen Präsidentenpalast aus der Luft. Links von ihm ploppt plötzlich eine Sprechblase auf, aus der die Zeugenaussage eines ehemaligen Polithäftlings ertönt. Von Folter und Verfolgung ist die Rede. Kaum ist die Einspielung beendet, taucht eine zweite Sprechblase auf, dann eine dritte und vierte. Der tunesische Präsidentensitz scheint umzingelt von tunesischen Freiheitskämpfern.

    Seit Mai 2008 steht das fiktive Video im Netz. Der tunesische Blogger Sami Ben Gharbia hat es hineingestellt und damit für Aufsehen unter Arabiens Cyber-Dissidenten gesorgt. Weniger wegen der - allseits vertrauten - Inhalte, sondern weil Gharbia den Geheimdienst ausgetrickst hatte. Der hatte von der Aktion Wind bekommen und den landeseigenen Zugang zu "Youtube" und "Dailymotion" gesperrt. Doch Gharbia reagierte genauso schnell - und wich auf Google Earth aus.

    "Wir lernen voneinander. Ben Gharbia hat uns das gezeigt und die Ägypter haben im Frühjahr bewiesen, was man mit Facebook machen kann, als sie damit zu landesweiten Generalstreiks mobilisierten. Sie haben es über Facebook gemacht, nicht über herkömmliche Versammlungswege","

    sagt Mohammad Ali Abdallah, für den Bloggen mehr ist, als nur ein Hobby. Und das obwohl der 26-jährige Syrer die Risiken kennt, die das Posten der eigenen Meinung im Netz mit sich bringt. Sein Vater Ali, ein Journalist, sitzt seit 2007 seine dritte Haftstrafe ab, sein Bruder Omar, ein Blogger, wurde im März 2006 verhaftet. Beide hatten das Regime kritisiert. Mohammad selbst floh in den Libanon, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren - auf seinem Blog.

    ""Als der syrische Anwalt Abdallah al-Ali - der nicht mit meinem Vater, Ali Abdallah, zu verwechseln ist - verhaftet wurde, vergingen satte zwölf Tage, ehe die Welt darauf aufmerksam wurde. Als ich es in Beirut erfuhr, fand ich auf der Website seines Anti-Korruptions-Nachrichtenportals, Al-Nazaha, dessen Chefredakteur er war, die knappe Mitteilung vor, dass es geschlossen ist. Ich habe die Details auf meinem Blog dargelegt und alles an die Gesellschaft für Menschenrechte in Kairo weiter geleitet. Die verfasste infolge eine Presserklärung, auf die auch Reporter ohne Grenzen reagierten. Da habe ich erstmals gespürt, dass ich mit meinem Blog etwas bewirken kann."

    Im Libanon, in dem eine relativ große Pressefreiheit herrscht, ist Abdallahs Blog eher eine Einzelerscheinung. Ganz anders verhält sich die Situation in Ägypten. Rund 80.000 Blogs prangern dort laut Human Rights Watch Folter, Korruption, aber auch die sexuelle Belästigung von Frauen an. Weil der Staat diese Kritik unterbinden will, geht er mit hohen Haftstrafen massiv gegen die Blogger vor.

    Doch immer mehr ägyptische Journalisten nutzen das Internet als Ausweichmedium, aus dem sich wiederum große Sender wie Al-Jazeera oder Al-Arabiya bedienen. Der Schneeballeffekt, erzählt Abdallah, wird noch durch den technischen Fortschritt gesteigert.

    "Google Earth ermöglicht die sofortige Veröffentlichung von Fotos, die über Links oder SMS weiterverschickt werden. So kann man innerhalb von Minuten brandaktuell informieren, auch wenn man nur ein Handy dabei hat, mit dem man fotografieren kann."

    Angesichts der Vielzahl der Blogs haben die arabischen Geheimdienste alle Hände voll zu tun: Kaum haben sie eine Seite wegen einer Nachricht gesperrt, taucht die gleiche Information auf einer anderen auf. Doch die ständigen Blockaden der Regime, mögen sie auch technisch unvollkommen sein, haben durchaus Folgen. Und das ist für Mazen Darwisch vom Syrischen Zentrum für Presse- und Meinungsfreiheit das eigentlich Besorgniserregende.

    "Es ist den arabischen Diktaturen über Jahrzehnte gelungen, den Menschen eine Selbstzensur einzuimpfen, mit der sie sich selbst oft noch mehr verbieten, als es die Regime ohnedies tun."