Archiv

Maxim Gorki Theater Berlin
Sieben Ministücke über das Bargespräch

Junge Autoren trafen sich mit Zuschauern an der Theaterbar. Und 24 Stunden später präsentieren sie das künstlerische Ergebnis dieser Gespräche. Mit diesen sieben Ministücken gelingt dem Maxim Gorki Theater in Berlin eine erfolgreiche Premiere des Formats "stagediving".

Von Elisabeth Nehring |
    - "Dieses Jahr habe ich richtig Lust auf Konsum."
    - "Es ist eine Mauer in mir aus Menschenknochen."
    - "Wenn du keine Ahnung von meinem Leben hast, sprich nicht für mich." - Aber auch: "Mein Kind soll kein fremdes Blut in sich tragen."
    Diese und andere banale, poetische oder befremdliche Sätze müssen wohl Zuschauer am Vorabend an der Bar fallen gelassen haben. Aufgelesen wurden sie von den jungen Autoren des Studio Yahs und über Nacht verarbeitet zu Theatertexten, die ganz unterschiedlich mit ihrem Material umgehen.
    Die einen scheinen möglichst viele dieser Sätze unterbringen zu wollen – was den Text nicht immer sinnvoller oder zugänglicher macht, aber Sprachfeuerwerke erzeugt, die sichtlich die Spielfreude der Schauspieler anregen. Die anderen – und das sind die inhaltlich interessanteren Varianten – nehmen nur einen Satz zum Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Szene.
    So entwickelt der junge türkischstämmige, in Recklinghausen aufgewachsene Autor Necati Öziri aus dem Satz: "Mein Kind soll kein fremdes Blut in sich tragen" eine Zukunftsvision, in der Menschen Stellvertreterorgane kaufen können, die sie in Form anderer Menschen stets bei sich führen. Mit diesen Masken tragenden, entindividualisierten Körpersklaven sind sie per Schlauch verbunden. Deren Leber baut den getrunkenen Alkohol ab oder wäscht das eigene Blut. In Öziris etwa zehnminütiger Szene, die er schlicht "Fremdes Blut" nennt, sieht man ein Paar beim Versuch, Nachwuchs zu zeugen, während der Dritte unbeteiligt danebensteht – was schon ein bisschen unheimlich wirkt. Das findet die beteiligte Dame auch, denn plötzlich beginnt sie, Fragen zu stellen: wer der denn sei, welche Hautfarbe er habe, woher er komme. Schließlich gelange ja mit den Sekreten auch dessen DNA in den potenziellen Kindsvater, da wolle man schließlich wissen, mit wem man es eigentlich zu tun habe.
    Regisseur András Dömötör setzt die Paar-Diskussion samt drittem Mann rasant und absurd in Szene. Wir Zuschauer amüsieren uns angesichts des Slapsticks prima, während uns zugleich das Lachen im Halse stecken bleibt: Von den hier aufgeworfenen moralischen, ethischen und zwischenmenschlichen Fragen haben wir bislang noch gar nicht viel geahnt.
    Der deutsch-türkische Autor und Rapper Volkan T. geht dagegen in seinem Text "Die Gedanken eines Menschen sind sein Königreich" mit dem Konzept des Abends ganz anders um. Wie ein Sampling verschiedener Zuschauersätze klingt das, was ein deutscher Besserwisserschauspieler - grandios gespielt von Till Wonka - einem Musiker mit Migrationshintergrund da hinwirft.
    Immer wieder unterbrochen von so sinnvollen Aufforderungen wie "Hör doch mal zu", "Versteh doch mal". Aber der Musiker, mit ironischer Gutmütigkeit gegeben von Volkan T. selbst, versteht eigentlich nur Bahnhof – wie wir Zuschauer auch. Regisseur Lukas Langhoff macht aus der kleinen Szene einen der spontanen Spielhöhepunkte des Abends. Und zugleich eine feine Replik auf die Hierarchie der komplexen Sprache, die auch das postmigrantische Theater nicht so leicht abzuschaffen vermag.
    "Theater ist endlich ist Theater", dieses 24-Stunden-Projekt des Studio YAhs, der jungen Bühne des ohnehin schon jungen Maxim Gorki Theaters, erweist sich in seiner ersten Ausgabe als vieles zugleich: als Publikumsmagnet - immerhin musste man bisweilen Angst haben, dass die Schauspieler wegen des Zuschauerandrangs keinen Platz mehr im Studio finden -, als offenes Forum und Hort der Spielfreude und vor allem: als Ideenpool für neue Themen, quasi die Konflikte der Zukunft, die sich das Theater bislang so noch nicht erschlossen hat.