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Maxim Gorki Theater
"Salome" in Cross-Gender-Besetzung

Der Regisseur Ersan Mondtag treibt den Trubel um den "Schauspieler des Jahres" auf die Spitze: Er lässt Benny Claessens am Berliner Maxim Gorki Theater die orientalische Prinzessin Salome spielen. Mondtag hat sie entsexualisiert und zum puren Material konzeptioneller Spielereien gemacht.

Von Eberhard Spreng | 04.12.2018
    Benny Claessens im Theaterstück "Salome" am Maxim Gorki Theater
    Benny Claessens im Theaterstück "Salome" am Maxim Gorki Theater (Maxim Gorki Theater / Birgit Hupfeld)
    Ein Zauberschloss. Ein knall bunter Türsteher mit Hellebarde und davor ein Märchenonkel mit in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haaren. Der Eintritt in Ersan Mondtags "Salome" erfolgt mit einer neckischen, altmodischen Kindertheaterästhetik. Das ist eine Märchenwelt, die viel zu lustig ist, als dass man in ihr einen komplexen Mythos um Religion, Kulturschock und Geschlechterkampf vermuten könnte: Das jüdische Mädchen und ihr erotisches Verlangen und der religiöse Eremit, der sich der Gottesliebe verschreibt und die Fleischeslust verdammt. Orient und Okzident, Körper und Geist, Frau und Mann – hier liegt so einiges im Kampfe miteinander. Aber nachdem schon Salomes Mutter von einem Mann verkörpert wurde, tritt nun auch Salome selbst im Körper des Benny Claessens auf die Bühne, ebenfalls mit buntem Fantasiekostümchen und Fantasiefrisur.
    Cross-Gender-Besetzung
    Alle weiblichen Hauptfiguren werden in der von Thomaspeter Goergen neu verfassten "Salome" von männlichen Schauspielern verkörpert. Andererseits spielt den lüsternen Herodes die junge Lea Draeger. Nur Jochanaan, alias Johannes, spielt ein fünfköpfiger Chor von Männern und Frauen. Die Cross-Gender-Besetzung wirkt ein wenig schematisch, wäre da nicht Benny Claessens als Salome und der ironische Kult, den die Inszenierung um den "Schauspieler des Jahres" macht. Denn kaum hat sich der eiserne Vorhang hinter der Zauberschlosskulisse gehoben, wird, gerahmt von einem Säulenhain, eine circa vier Meter hohe Benny-Claessens-Plastik sichtbar: Sein nackter Körper, auf dem Boden hockend, der Blick zur Seite abgewandt, unbeteiligt. Und es ist einigermaßen komisch und hintersinnig, wenn der leibhaftige, nunmehr selbst auch entblößte Benny Claessens an seinem riesigen Ebenbild Schutz sucht und dessen Kunsthaut streichelt.
    "Du armer Leib, endloser Humor, muss mein Leib ihn haben, um zu ertragen, wo er jetzt ist?"
    Claessens Körperfülle hilft, für Momente die Erinnerung an den Mythos des Hermaphroditen aufleuchten zu lassen - und an die rundlich gebauten, sich selbst begattenden Fabelwesen aus grauer Vorzeit. Die sollen die Erde bevölkert haben, bevor der Sexus die Welt ins Männliche und Weibliche teilte und ein Eros die Herrschaft übernahm, der die glückliche Einsamkeit ein für allemal beendete. Salome ist hier nicht an Jochanaan interessiert, sondern so ganz eine Figur der narzisstischen Selbstliebe. Wenn dann Claessens Salome - übrigens nach einem albernen, minimalistischen Schleiertanz - den abgetrennten Kopf des Liebesverweigerers Johannes küsst, dann ist dies wiederum auch das eigene Antlitz, also ein drittes Mal Benny Claessens. Das Todesopfer seines Begehrens ist er selbst.
    In Fabulierlust verloren
    Eigentlich könnte es Sinn ergeben, über die hedonistische Selbstfeier und den narzisstischen Körperkult in der heutigen Zivilisation nachzudenken. Aber weil sich die Inszenierung nun in ihrer eigenen Fabulierlust und symbolischen Spielerei verliert, wird der Umgang mit dem Mythos der Salome hier nicht nur komplex, sondern regelrecht kompliziert und schließlich verworren.
    Die israelische Schauspielerin Orit Nahmias hat die Aufgabe, die Abläufe, nein ästhetischen Leerläufe der Inszenierung mit Gorki-Theater-typischer Ideologiekritik zu torpedieren. In einem goldenen Narrenkostüm samt Narrenkappe mit Glöckchen taucht sie unvermittelt auf und schimpft über das Team, das Publikum, die Christen und die Klischees.
    "Benny verkörpert hier die Prinzessin", sagt Orit Nahmias, "weil wir mit Genderfragen spielen und die Machtstrukturen verändern. Und was machen wir mit den ganzen Juden im Stück? Oh... Orit ist doch Jüdin, soll doch die Jüdin die Juden spielen. Scheiß Identitätspolitik!"
    Bunter Mummenschanz
    Theaterselbstkritik als letzter Rettungsanker einer Aufführung, die sich heillos in einem Mix aus altem Mythos, hippem Cross-Gender, ironischem Starkult, lauer Provokation und buntem Mummenschanz verirrt hat. Ersan Mondtag hat die Salome entsexualisiert und zum puren Material konzeptioneller Spielereien gemacht. Am Ende ergreift dann noch einmal der Chor das Wort, und der feiert das Ende der Menschheit.
    "Rettet das Universum und schafft uns Menschen ab. Wir werden eh alle sterben. Wen kümmert's! 'Endlösung' kriegt jetzt endlich 'nen Sinn. Wir werden eh alle sterben. Welch herrlicher Tod."