Am Ende ist dann da eine große gedeckte Tafel auf der Bühne. Weißes Tischtuch, noch leere Teller, mit Wasser gefüllte Gläser. Doch niemand nimmt Platz. 33 Frauen und Männer stehen drumherum, man hört Kindergemurmel von weither, ein Lachen, das abbricht mittendrin. Die Menschen in ihren sandfarbenen, schlichten Kostümen weichen Schritt für Schritt zurück: Sie werden nicht mehr gemeinsam dort sitzen, essen und reden, so, wie sie es bisher immer getan haben. Und den Rest sieht man nicht mehr, aber man weiß, es wird jetzt alles anders: Sie werden abgeholt, in Waggons verladen, auf eine endlose Reise geschickt, an deren Ziel das Nichts auf sie wartet. Dort ist kein Tisch bereitet, dort schließen sich nur schwere Türen hinter ihnen und statt Fröhlichkeit wird man Hilfeschreie hören.
Dieses letzte Bild des Tanzprojektes "Mayim Mayim" entwickelt sich freilich nur im Kopf des Zuschauers, der die wahre Begebenheit aus dem Jahr 1942 kennt, als 33 jüdische Kinder aus dem Fürther Waisenhaus von den Nazis in die Vernichtung transportiert wurden. Im Theater dagegen, nach dem Blackout, kommen die Tänzer an den Bühnenrand und feiern das Leben. Und die gedeckte Tafel hinter ihnen ist auf einmal das Symbol für eine Einladung: Drei Stunden haben sie tanzend erzählt von Ängsten und Fluchten, Verzweiflung und Mut, Untergang und Einsamkeit - jetzt soll all diesen Geschichten etwas entgegengesetzt werden, was die Waisen damals nicht hatten: Hoffnung. Und in dem hebräischen Lied "Mayim" ist davon die Rede.
Jutta Czurda, die künstlerische Leiterin des ehrgeizigen Projektes, hatte nicht vor eine authentische Geschichte zu erzählen, als sie Tanzcompagnien auf der ganzen Welt bat, einen Künstler mit einer eigenen Choreografie nach Fürth zu schicken. Sie wollte nur "Miniaturen des Erinnerns" an diese Waisenkinder, in Szene gesetzte Gefühle, Bruchstücke einer fernen Beziehung zwischen Lebenden und Ermordeten.
" Ich denke, dass es jedem Tänzer auch klar ist, dass er nicht ein Kind tanzt oder gar darstellt, sondern anstelle eines Kindes auf der Bühne steht und für dieses Kind tanzt. Das ist glaube ich der große Unterschied. Und dieses Hineinversetzen in das Schicksal der Kinder hat auch stattgefunden beispielsweise über den Besuch des ehemaligen jüdischen Waisenhauses in Fürth, wo wir gleich am zweiten Tag gemeinsam eingeladen worden waren, und dort in der Synagoge miteinander gesessen sind, wo auch die Kinder mit Dr. Hallemann sich täglich zum Gottesdienst versammelt haben. Wir waren auch direkt, auch hautnah an den historischen Orten. Das hat sehr viel Nähe und Wärme zum Schicksal der Kinder schaffen können. "
Zu spüren war von eben jener Nähe und Wärme im Theater jedoch nur selten etwas. In dem Schlussbild gerade noch oder in den wenigen Szenen, in denen die Dramaturgie ein Zusammentreffen der Tänzer, eine Begegnung der verstreuten Biografien zuließ, wenn sich die Schicksale öffneten und vermischten: Einmal begleiten die Umstehenden mit aufgerissenen, stummen Mündern die qualvollen Lebensschreie und verzweifelten Bewegungen einer Figur mitten unter ihnen. Sie lassen etwas ahnen von der angstvollen Atmosphäre, in der sich die Kinder damals bewegt haben müssen und sind doch fern von einer Rekonstruktion dieses Alltags.
Ansonsten aber macht das Mosaikhafte, dieser Verzicht auf eine narrative Struktur zugunsten einzelner sehr persönlicher, zum Teil hermetischer, mitunter fremd und archaisch anmutender, poetischer, kraftvoll-trotziger Gedankenbilder- und -splitter aus "Mayim Mayim" dann doch etwas, was das Stück eigentlich nicht sein wollte: einen zwischen Kunst und Betroffenheit, Folklore und Anspruch frei schwebenden traurigen Tanzabend, der sich in Wiederholungen erschöpft.
Die exzellent arrangierte Kompositions-Collage von Gregor Hübner tut ein Übriges dazu und reiht die Anklänge aus den unterschiedlichen Kulturen zu einem irritierend sprunghaften weltmusikalischen Potpourri.
Der Werkstatt-Charakter haftet "Mayim Mayim" bis zum Schluss an. Nach ihren Parts treten die Tänzer zurück ins Dunkel der leeren Bühne, setzen sich auf Holzkisten und verfolgen den nächsten Auftritt. Bis dann endlich eine ganze große Familie auf dem Tanzboden versammelt ist, und da erfährt man, in welche Richtung sich dieses Projekt mit der Zeit, über Grenzen und Entfernungen hinweg und ganz automatisch entwickelt hat: Zu einem Treffen internationaler junger Künstler, die der Tanz und ein ganz gegenwärtiger Versöhnungsgedanke zusammenführte. Und aus dem Leiden ihrer "Patenkinder" von 1942, dem sie nachspürten, schöpften sie dann also doch noch diesen Funken Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dass sie dieses Gefühl weitergeben konnten an ein volles Theater, ist freilich kein geringes Verdienst.
Dieses letzte Bild des Tanzprojektes "Mayim Mayim" entwickelt sich freilich nur im Kopf des Zuschauers, der die wahre Begebenheit aus dem Jahr 1942 kennt, als 33 jüdische Kinder aus dem Fürther Waisenhaus von den Nazis in die Vernichtung transportiert wurden. Im Theater dagegen, nach dem Blackout, kommen die Tänzer an den Bühnenrand und feiern das Leben. Und die gedeckte Tafel hinter ihnen ist auf einmal das Symbol für eine Einladung: Drei Stunden haben sie tanzend erzählt von Ängsten und Fluchten, Verzweiflung und Mut, Untergang und Einsamkeit - jetzt soll all diesen Geschichten etwas entgegengesetzt werden, was die Waisen damals nicht hatten: Hoffnung. Und in dem hebräischen Lied "Mayim" ist davon die Rede.
Jutta Czurda, die künstlerische Leiterin des ehrgeizigen Projektes, hatte nicht vor eine authentische Geschichte zu erzählen, als sie Tanzcompagnien auf der ganzen Welt bat, einen Künstler mit einer eigenen Choreografie nach Fürth zu schicken. Sie wollte nur "Miniaturen des Erinnerns" an diese Waisenkinder, in Szene gesetzte Gefühle, Bruchstücke einer fernen Beziehung zwischen Lebenden und Ermordeten.
" Ich denke, dass es jedem Tänzer auch klar ist, dass er nicht ein Kind tanzt oder gar darstellt, sondern anstelle eines Kindes auf der Bühne steht und für dieses Kind tanzt. Das ist glaube ich der große Unterschied. Und dieses Hineinversetzen in das Schicksal der Kinder hat auch stattgefunden beispielsweise über den Besuch des ehemaligen jüdischen Waisenhauses in Fürth, wo wir gleich am zweiten Tag gemeinsam eingeladen worden waren, und dort in der Synagoge miteinander gesessen sind, wo auch die Kinder mit Dr. Hallemann sich täglich zum Gottesdienst versammelt haben. Wir waren auch direkt, auch hautnah an den historischen Orten. Das hat sehr viel Nähe und Wärme zum Schicksal der Kinder schaffen können. "
Zu spüren war von eben jener Nähe und Wärme im Theater jedoch nur selten etwas. In dem Schlussbild gerade noch oder in den wenigen Szenen, in denen die Dramaturgie ein Zusammentreffen der Tänzer, eine Begegnung der verstreuten Biografien zuließ, wenn sich die Schicksale öffneten und vermischten: Einmal begleiten die Umstehenden mit aufgerissenen, stummen Mündern die qualvollen Lebensschreie und verzweifelten Bewegungen einer Figur mitten unter ihnen. Sie lassen etwas ahnen von der angstvollen Atmosphäre, in der sich die Kinder damals bewegt haben müssen und sind doch fern von einer Rekonstruktion dieses Alltags.
Ansonsten aber macht das Mosaikhafte, dieser Verzicht auf eine narrative Struktur zugunsten einzelner sehr persönlicher, zum Teil hermetischer, mitunter fremd und archaisch anmutender, poetischer, kraftvoll-trotziger Gedankenbilder- und -splitter aus "Mayim Mayim" dann doch etwas, was das Stück eigentlich nicht sein wollte: einen zwischen Kunst und Betroffenheit, Folklore und Anspruch frei schwebenden traurigen Tanzabend, der sich in Wiederholungen erschöpft.
Die exzellent arrangierte Kompositions-Collage von Gregor Hübner tut ein Übriges dazu und reiht die Anklänge aus den unterschiedlichen Kulturen zu einem irritierend sprunghaften weltmusikalischen Potpourri.
Der Werkstatt-Charakter haftet "Mayim Mayim" bis zum Schluss an. Nach ihren Parts treten die Tänzer zurück ins Dunkel der leeren Bühne, setzen sich auf Holzkisten und verfolgen den nächsten Auftritt. Bis dann endlich eine ganze große Familie auf dem Tanzboden versammelt ist, und da erfährt man, in welche Richtung sich dieses Projekt mit der Zeit, über Grenzen und Entfernungen hinweg und ganz automatisch entwickelt hat: Zu einem Treffen internationaler junger Künstler, die der Tanz und ein ganz gegenwärtiger Versöhnungsgedanke zusammenführte. Und aus dem Leiden ihrer "Patenkinder" von 1942, dem sie nachspürten, schöpften sie dann also doch noch diesen Funken Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dass sie dieses Gefühl weitergeben konnten an ein volles Theater, ist freilich kein geringes Verdienst.