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Mechanische Präzision

Biomechanik. - Im Verhältnis zu ihrer Größe springen Insekten erstaunlich weit, und bislang war es Biologen völlig rätselhaft, wie die Tiere dabei dafür sorgen, dass beide Hinterbeine exakt gleichzeitig abstoßen, denn andernfalls gerät ihr Sprung völlig außer Kontrolle. Zumindest für die Jugendstadien von Käferzikaden ist die Frage jetzt geklärt, berichten Forscher heute im Fachmagazin "Science".

Von Katrin Zöfel |
    Käferzikaden sind kleine Insekten, gerade einmal fünf bis sieben Millimeter groß. Sie leben in Mitteleuropa fast überall, auf Bäumen, Sträuchern und Wiesen. Auffällig ist an ihnen vor allem eines: ihre Fähigkeit zu springen.

    "Diese Sprünge sind unglaublich schnell, zwischen Stillsitzen und Abheben vergeht weniger als eine Millisekunde. Und das Ganze läuft sehr kontrolliert, sehr zielgerichtet ab. Alle Versuche von Menschen so etwas nachzubauen, also springende Roboter zu konstruieren, die das genauso gut können, sind bisher gescheitert. Was die Roboter hinbekommen, ist bei weitem nicht so sauber gesteuert und so kraftvoll."

    Gregory Sutton ist Ingenieur an der Universität von Bristol in England.

    "Animals are machines of such an amazing complexity."

    Tiere, sagt er, seien Maschinen von unglaublicher Komplexität. Was er als Forscher herausfinden will, ist, wie es Tieren gelingt, Leistungen abzuliefern, an denen alles, was der Mensch bisher gebaut hat, kläglich scheitert. Im Fall der Käferzikaden und ihrer Sprünge nahm er sich zunächst die Jungtiere vor, die sogenannten Nymphen. Er filmte ihre Sprünge mit einer Hochgeschwindigkeitskamera. Nur einer von 206 gefilmten Sprüngen ging daneben, bei den restlichen 205 stießen sich die Tiere mit beiden Beinen kraftvoll ab, und zwar mit beiden Beinen genau gleichzeitig. Das ist offenbar das Entscheidende: Kommen die Beine aus dem Takt, geht der Sprung daneben. Sutton konnte beobachten, dass ein Sprung schon misslingt, wenn sich ein Bein nur 0,2 Millisekunden später als das andere abstößt.

    "Wir wussten also, dass die Tiere irgendwie dafür sorgen, dass sich beide Beine genau gleichzeitig in Bewegung setzen."

    Nur wie? Die Kontrolle über Nervenimpulse scheidet aus, denn selbst die kürzesten Nervensignale dauern immer noch eine ganze Millisekunde. Damit ist das Nervensystem zu langsam, um diese Vorgänge zu kontrollieren. - Gregory Sutton legte die Tiere als nächstes auf den Rücken und richtete wieder die Kamera auf sie.

    "Man kann die Tiere mit einem Pinsel ärgern, indem man sie anstupst. Dann treten sie nach dem Pinsel. Das ist genau dieselbe Bewegung der Hinterbeine wie beim Sprung, nur dass die Tiere diesmal etwas wegstoßen wollen, das sie stört."

    Während die Tiere nach dem Pinsel traten, filmte der Forscher die Bewegung ihrer Hüften. Was er sah, verblüffte ihn. Linker und rechter Hüftknochen bewegen sich kurz vor dem Sprung aufeinander zu, so dass winzige Fortsätze auf der Oberfläche der Hüftknochen ineinandergreifen. Beim Sprung rollen beide Hüftknochen dann gegeneinander ab, wie zwei Zahnräder in einem Uhrwerk.

    "Es ist also eine rein mechanische Lösung, die sicherstellt, dass sich beide Beine gleichzeitig bewegen."

    Bei jeder Häutung bilden die Zikadennymphen die Fortsätze auf den Hüftknochen neu. Das heißt, wenn ein Zahnradzahn abgebrochen ist, wird der Schaden ganz automatisch wenig später behoben. Allerdings gehen die Zahnradzähne bei der allerletzten Häutung hin zum erwachsenen Tier verloren. Erwachsene Käferzikaden können zwar genauso gut springen wie die Jungtiere, aber sie haben keine Zahnräder. Wie die erwachsenen Tiere das Sprung-Problem lösen, darüber kann Gregory Sutton bisher nur spekulieren, aber, da ist er sich sicher, er wird es herausfinden.