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Mecklenburg-Vorpommern
Dicke Luft über der Giftmülldeponie Ihlenberg

Die Mülldeponie Ihlenberg ist die einzige in ganz Norddeutschland, auf der auch sogenannte „gefährliche Stoffe“ entsorgt werden dürfen. Ein interner Prüfbericht nährt jetzt Zweifel daran, ob nicht deutlich mehr Sondermüll eingelagert wird als vereinbart, mit dramatischen Folgen für Umwelt und Mitarbeiter.

Von Silke Hasselmann | 16.11.2018
    Feuerwehrleute üben für den Notfall auf der Deponie Ihlenberg nach einem angenommenen Chemieunfall. 01.07.2017, Mecklenburg-Vorpommern, Schönberg.
    Von einer teils tausendfach höheren Umweltbelastung durch Giftmüll ist in dem internen Prüfbericht die Rede. Im Bild: Notfall-Training auf der Mülldeponie Ihlenberg (dpa / ZB / Jens Büttner)
    Im Westen Mecklenburgs zwischen Wismar und Lübeck betreibt die Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft mbH - kurz: IAG - eine riesige Sondermülldeponie. Sie ist die einzige in ganz Norddeutschland, auf der auch sogenannte "gefährliche Stoffe" entsorgt und gelagert werden dürfen. Unter dem Namen Schönberg holte diese
    Gleich drei Landesminister sitzen in der eilig anberaumten Pressekonferenz und haben bereits gesprochen, als Kerstin Weiß als Letzte das Wort ergreifen darf; Hierarchie muss sein. Frau Weiß ist Landrätin von Nordwestmecklenburg mit der Gemeinde Selmsdorf. Und dort liegt die Sondermülldeponie Ihlenberg:
    Eine zweifelhafte Ehre
    "Wir haben also die Ehre, die als größte Giftmülldeponie Europas verschrieene Deponie auf unserem Territorium zu haben, was uns nicht besonders glücklich macht."
    Außer Kernbrennstäben und Asbestschlacken darf hier alles verklappt werden. Tag für Tag laden Transporter rund 4.000 Tonnen belasteten Straßen- und Häuserabbruch, giftige Schlämme, Haus- und Industriemüll ab. Der kommt vor allem aus Niedersachsen, Schleswig- Holstein und Hamburg. fünf Prozent stammen aus Schweden und Italien.
    Doch derzeit ist Landrätin Weiß (SPD) noch unglücklicher über diese Deponie, die so groß ist wie 232 bundesligataugliche Fußballfelder und zu 100 Prozent dem Land Mecklenburg-Vorpommern gehört. Grund ist der 11seitige Bericht, den der damalige Innenrevisor und Compliance-Beauftragte im September an der Geschäftsleitung vorbei an das Schweriner Finanzministerium geschickt hat. Darin, so Minister Mathias Brodkorb, gebe es Hinweise darauf:
    "...dass vielleicht bei dem Müll, der angenommen wird, hin und wieder Grenzwertüberschreitungen auftreten, über die zu diskutieren wäre."
    Tatsächlich heißt es in dem Prüfbericht, der aus der Feder des Ehemannes von Ministerpräsidentin Schwesig stammt, auf der Deponie werde "mehr Sondermüll eingelagert als vertraglich mit den Müll-Lieferanten vereinbart". Die Kontrolle sei mangelhaft, weil sie zu selten und dann auch noch in vorhersehbaren Abständen durchgeführt würden. Das habe teils tausendfach höhere Umweltbelastungen durch giftige Stoffe wie Zink, Kadmium und Quecksilber zur Folg. Der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter sei gefährdet.
    Die Geschäftsleitung der Deponie Ihlenberg weist die Vorwürfe mit Verweis auf "zahlreiche fachliche Fehler" zurück. Der stellvertretende Betriebsrat erklärt, Arbeits- und Gesundheitsschutz seien nicht zu beanstanden. Höchste Irritation bei Landrätin Kerstin Weiß. Denn:
    "Ich möchte natürlich sichergehen, dass von der Deponie keine Gefahr ausgeht für meine Bevölkerung und schon gar nicht für die Mitarbeiter und für diejenigen, die im nahen Umfeld wohnen. Da ist jetzt erst mal ein mehr als kleines Fragezeichen dahinter gemacht."
    Umweltminister Backhaus verspricht "brutalstmögliche Aufklärung"
    Ein Fragezeichen versucht der für Boden- und Gewässerschutz zuständige Umweltminister Till Backhaus (SPD) auszuräumen. Man betreibe 34 Grundwasser-Messstellen auf der Deponie und acht Messstellen aus dem Sondermessnetz.
    "Die zeigen zurzeit keinerlei Auffälligkeiten."
    Dennoch verspricht auch Backhaus eine "brutalstmögliche Aufklärung". Der Prüfbericht weise nämlich vor allem darauf hin, dass die Landespolitik zwar eine Schließung der umstrittenen Giftmüllhalde für irgendwann zwischen 2025 und 2035 angekündigt hatte. Doch ein verbindliches Konzept? Fehlanzeige. Schlecht nicht zuletzt für die 130 Mitarbeiter, die jährlich 30 Mio Euro Umsatz erwirtschaften.
    Fachlich und politisch direkt verantwortlich für die Sondermülldeponie ist derweil Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU). Obgleich nun ein externes Gutachten erst noch klären wird, was an den Vorwürfen dran ist, beantwortet Glawe eine Frage schon jetzt:
    "Wir gehen davon aus, dass keine Rechtsverstöße festzustellen sind. Es wäre ja auch ein Unding, wenn sozusagen Rechtsverstöße festgestellt werden sollten. Andererseits will ich noch informieren, dass wir mit Bekanntwerden des Berichtes die Annahme von italienischem Müll als Monitoring ausgesetzt haben."
    Mülltourismus aus Südeuropa
    Es sei vom Bund gesetzlich vorgeschrieben, dass jeder 150. Transport überprüft werden muss. Auf dem Ihlenberg würde jeder 30. LKW beprobt, und aktuell sogar jeder, so Glawe. Der längst fällige Bericht zum Stand des Schließungskonzeptes komme nächstes Jahr, doch die Gifthalde werde seiner Meinung nach wohl eher 2025 als 2035 dicht gemacht. Bis dahin wolle man keinen neuen Mülltourismus aus Südeuropa mehr.
    Da hätte der nun öffentlich gewordene Bericht des damaligen Innenrevisors Schwesig schon mal ein Gutes, findet die Landrätin von Nordwestmecklenburg, Kerstin Weiß.
    "Egal jetzt, ob er den richtigen Weg gewählt hat und ob alles so stimmt, was da drin steht. Aber was er in jedem Fall geschafft hat, ist eine Debatte anzustoßen über die Frage: Was wird dort entsorgt und von wo wird dort entsorgt? Als Landrätin kann ich es nicht toll finden, wenn 1.300 Kubikmeter Müll gefahren wird aus Italien, der dann in Nordwestmecklenburg entsorgt wird. Da gibt's bestimmt andere Deponien auf dem Weg bis zu uns, auf dem man das hätte auch tun können."