Straftaten im Zusammenhang mit Doping in der DDR sind längst verjährt. Seit dem 3. Oktober 2000 muss niemand mehr mit Anklagen, Gerichtsverfahren, gar einer Verurteilung rechnen, wer als Wissenschaftler, Trainer oder Sportmediziner an der Vergabe von Dopingmitteln an Hochleistungssportler beteiligt gewesen war - egal, ob die schon erwachsen waren oder erst 6 oder 7 Jahre alt wie Marie Katrin Kanitz.
Dennoch schweigen die meisten Täter und Täterinnen bis heute, wenn sie von ihren früheren Schutzbefohlenen darauf angesprochen werden, sagt die ehemalige Eiskunstläuferin in der Anhörung. Sie zum Beispiel wisse nicht, was genau sie als Kind geschluckt hatte, als ihre Trainerin ihr die ersten "Vitaminpillen" gab. Sicher sei nur, dass sie 1986 mit Oral-Turinabol gedopt worden war - mit nur 16 Jahren. Und: Dass sie seit einigen Jahren schwer krank ist.
Ihr bleibt bislang eine Dopingopfer-Entschädigungsrente versagt, weil sie angeblich nicht nachweisen könne, dass das Doping für ihre Krankheit verantwortlich ist. Es könnte helfen, mehr über die persönlich zugeschnittene Doping-Praxis zu erfahren, meint sie. Und das könnte vielleicht endlich funktionieren, wenn unabhängige Forscher versuchen würden, an Zeitzeugen, Vergabepläne und sonstige Aufzeichnungen zu gelangen, denn:
"Ich weiß zwar, in welchen Monaten ich 1986 Oral-Turinabol bekommen habe. Aber ich habe keine Vergabepläne. Also ich weiß nicht, wie sie das begründet haben, dass ich das bekommen habe. Also wenn man einmal den Schritt gegangen ist über die Schamgrenze hinweg zu gehen, sich mit dem Thema zu beschäftigen, das an sich heranzulassen, dann will man das wissen."
Bei der Anhörung im Schweriner Landtag hörten viele Parlamentarier zum ersten Mal, dass es ab 1974 eine geheimes, zentral gesteuertes System für die Entwicklung und passgenaue Vergabe verbotener leistungssteigernder Mittel gab. Mehr noch, so der NDR-Journalist André Keil: Hätten sich alle an die zentralen Vorgaben gehalten, gäbe es heute vermutlich deutlich weniger Dopingopfer. Doch viele Sektionsärzte hätten es den jeweiligen Trainern überlassen, die Mittel an ihre Schützlinge zu verteilen.
Es gibt keinen Extra-Forschungsbedarf für die drei Nordclubs, wie es der sportpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion meint? Im Gegenteil, so Thomas Götze von der Dopingopfer-Hilfe:
"Es kommt auf die regionalen Besonderheiten an, nämlich wie ist das System, das von oben vorgegeben wurde, tatsächlich umgesetzt worden und wo waren die Wildwüchse. Dass nämlich nicht der Arzt die Pillen vergeben hat, wo es möglicherweise gar nicht zu diesen Schädigungen gekommen wäre, sondern ehrgeizige Trainer. Und da muss man ja mal dazu sagen: Die haben ja auch etwas vom Medaillengewinn gehabt."
Der Landessportbund berichtete, dass 194 DDR-Dopingopfer eine finanzielle Entschädigung nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz bekommen haben. Weitere 116 Ex-Leistungssportler hätten sich bisher außergerichtlich mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) geeinigt. Reicht das? Nein, meinen vor allem die Vertreter der CDU und der Bündnisgrünen. Die Linkspartei kommentierte die Anhörung interessanterweise nicht.
Doch die ergab ein klares Bild: Die Zahl der Doping-Opfer nimmt auch in Mecklenburg-Vorpommern beständig zu, weil die Langzeitschäden bei vielen Ex-DDR-Sportlern erst jetzt auftreten. Eine unabhängige Erforschung von Systemstrukturen wie individuellem Missbrauch könnte ihnen helfen, endlich zu reden, Hilfe zu suchen und diese in größerem Maß als derzeit auch zu bekommen.