
Nicht nur enthemmte Reporter jubeln bei deutschen Erfolgen. Auch die Bevölkerung vermag sich dem Reiz eines Medaillenspiegels nicht entziehen. Das Internationale Olympische Komitee wertet zuerst die Anzahl der gewonnenen Goldmedaillen, gefolgt von der Anzahl der Silber- und Bronzemedaillen. Mit Interesse verfolgt auch die Politik diese Rangliste des Erfolges. 1997 gab der der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther im Deutschlandfunk das politische Credo zum Thema Medaillen vor:
"Sie sind in einem Teilaspekt Ausweis des Leistungsvermögens eines Volkes."
Kanther sprach damals aus, was heute noch seine Nachfolger denken. Der Bundesinnenminister als Sportminister zeichnet für die finanzielle Förderung verantwortlich, auf der Grundlage der Erfolge. Demokratien wie Deutschland wollen heute auf diese Weise ihre Leistungsstärke beweisen. Ausgeprägter ist dieses Verhalten noch in totalitären Systemen, sagt Professor Jürgen Mittag von der Deutschen Sporthochschule Köln:
"Das hat man schon 1936 gesehen, als die Idee des Medaillenspiegels eigentlich erst aufkam. Und wir haben es dann auch erlebt im Kalten Krieg, als nicht zuletzt die DDR in sehr starkem Maße auf die Leistungsfähigkeit des eigenen Landes verwiesen hat und dazu auch auf den Medaillenspiegel verwiesen hat. Und diese Entwicklung erlesenem wir in jüngster Zeit auf die chinesische Perspektive."
Politik mit Medaillen
Bei den Winterspielen in Sotschi spielen die Chinesen noch eine untergeordnete Rolle. Doch die Bewerbung Pekings für 2022 zeigt, dass die Chinesen auch in dieser Beziehung aufrüsten wollen. Der Sportpolitik-Professor Jürgen Mittag:
"Wir erleben und haben in der Vergangenheit erlebt, dass insbesondere die austragenden Nationen, die austragenden Städte in besonders starkem Maße darauf geachtet haben, erfolgreich zu sein und viele Medaillen zu gewinnen. Und dieser Zusammenhang besteht sicherlich."
Kanada hat zum Beispiel 2010 einen "Fluch“ beendet: Auf heimischen Boden hatten die Kanadier bis zu diesem Zeitpunkt noch nie eine Goldmedaille gewonnen. Weder bei den Sommerspielen 1976 in Montreal noch bei den Winterspielen 1988 in Calgary. Im Hinblick auf Olympia 2010 spielte Geld keine Rolle. Die Investitionen lohnten sich. Als der Freestyler Alexandre Bilodeau das erste Gold gewann, da wurde ein Traum wahr.
Medaillen machen Helden
Bilodeau wurde zum Nationalhelden. Am Ende der Spiele war Kanada mit 14 Goldenen die Nummer eins im Medaillenspiegel. Davon kann Gastgeber Russland in Sotschi nur träumen. Jedes Land hat seine Helden und bevorzugten Sportarten. In Deutschland verzeichneten die Rodler Traumquoten zur besten Sendezeit.Vier der acht Olympiasiege holten die Rodler. Bei anderen Nationen hängen Leistungsstärke und Popularität von geographischen Gegebenheiten ab. Professor Mittag:
"In den Winterspielen sind es natürlich die alpinen Nationen, die besonders privilegiert sind, und da auch entsprechende Chancen haben.“
Aber es sind nicht nur einzelne Wettkämpfe, die im Fokus der Nationen stehen.
"Interessanterweise erlebt man, dass zunächst die Masse zählt. Also möglichst viele Medaillen, und besonders natürlich die goldene Medaillen herangezogen werden. Und es gibt natürlich Länder wie China, die strategisch die Gesamtheit der Medaillen einsetzen und ihre Ressourcen in solche Bereiche einsetzen, wo mit relativ geringem Aufwand auf jeden Fall Medaillen zu erzielen sind.“
Im Sommer sind die Chinesen schon so erfolgreich, dass die Vereinigten Staaten von Amerika den in Nordamerika populären „alternativen Medaillenspiegel“ anwenden. Dabei zählt, wer die meisten Medaillen gewinnt, nicht die meisten goldenen. So geschehen beispielsweise bei den Sommerspielen 2008 in Peking. Die Gastgeber waren mit 51 Olympiasiegen gegenüber 36 Goldmedaillen der USA deutlich erfolgreicher. Da zählte für die US-Amerikaner die Summe aller Medaillen, da führten sie mit 110 zu 100.
Fazit: Das olympische Motto "Dabei sein ist alles“ zählt nur für kleine und arme Nationen.