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Mediale Machtkämpfe

Polen will sich zur Fußball-Europameisterschaft als modernes und weltoffenes Land präsentieren. Die Erwartungen an das mediale Großereignis sind hoch. Besonders mit Deutschland lieferte sich die heimische Presse gerne einen medialen Schlagabtausch.

Von Adalbert Siniawski | 19.05.2012
    Polen erwartet eine Million Besucher aus dem Ausland, unzählige Fans beim Public Viewing und natürlich mehrere Tausend Journalisten – allein 350 Medienvertreter kommen aus Deutschland. An das mediale Großereignis knüpft das Land große Hoffnungen, sagt Piotr Kraśko, Chefredakteur der Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVP:

    "Kein Zweifel: Die EM ist das größte Sportevent der letzten Jahrzehnte, vielleicht das größte überhaupt in unserer Geschichte. Das ist ein großes Intrastrukturprojekt für das Land. Und es wird auch das Ansehen Polens in der Welt verbessern. Besser, die Leute kommen her und bilden sich ihre eigene Meinung, als wenn sie nur irgendwelche Berichte lesen."

    Auch wenn nicht jede Autobahn rechtzeitig fertig wird, will sich Polen mit neuen Flughäfen, Hotels und restaurierten Bahnhöfen als modernes und weltoffenes Land präsentieren. Deshalb ärgert viele die Diskussion über einen möglichen Boykott der europäischen Staatslenker. Auch die Ukraine will sich mit der EM schmücken, während Ex-Regierungschefin Timoschenko unter fragwürdigen Bedingungen in Haft sitzt. Die Sportberichterstattung droht von PR und der Politik beeinflusst zu werden. ARD-Sportmoderator Gerhard Delling wird mit seinen Kollegen aus den beiden Ländern berichten. Sorge vor Vereinnahmung hat er nicht:

    "Wir sind als Sportjournalisten natürlich erst einmal dem Sport verpflichtet und was auf dem Rasenviereck passiert, aber da hört es ja nicht auf. Im Gegenteil: dadurch, dass wir alle da sind – Sportjournalisten, politische Journalisten und andere, aus der Wirtschaft – glaube ich schon, dass wir sehr genau hinschauen und das auch bewerten und uns nicht beim 1:0 festhalten lassen."

    Wie eng Sport, Politik und Medien miteinander verknüpft sind, zeigte sich auch bei der Fußball-EM 2008. Vor dem Spiel Deutschland gegen Polen druckt das polnische Boulevardblatt "Fakt" eine Fotomontage: Der polnische Nationaltrainer holt mit einem Säbel zum Schlag gegen Michael Ballack aus – in Anspielung auf die historische Schlacht bei Tannenberg. Die "Bild"-Zeitung steigt darauf ein und titelt: "EM-Krieg gegen uns." Politiker diesseits und jenseits der Oder üben scharfe Kritik. Rückblickend sagt Alfred Draxler, Vize-Chefredakteur der "Bild":

    "Ich glaube, man sollte davon auf jeden Fall Abstand nehmen. Ich will den Kollegen von "Fakt" jetzt nicht zu nahe treten. Wir beteiligen uns da nicht in solchem Maße – Gott sei Dank. Ich glaube aber das ist jetzt von den Polen, den Kollegen von "Fakt" diesmal nicht zu befürchten."

    Sowohl die "Bild" und auch die "Fakt" gehören zum deutschen Springer-Verlag. Kritiker mutmaßen: Die Zeitungen spielen sich grenzüberschreitend die Bälle zu, um ihre Auflagen zu steigern.

    "Nein, nein, das ist ganz sicherlich falsch. Gerade über "Bild" werden so viele Vorurteile in die Welt gesetzt, dieses gehörte dazu. Ja, will ich nichts zu sagen, stimmt einfach nicht."

    Der "EM-Krieg" ist nur ein Beispiel für die medialen Machtkämpfe zwischen Deutschland und Polen. Besonders knirschte es in den Amtsjahren der national-konservativen Kaczynski-Zwillinge. Das Nachrichtenmagazin "Wprost" sorgt mit seinen Titelgeschichten regelmäßig für Zündstoff. In einer Fotomontage von 2003 reitet Vertriebenenpräsidentin Steinbach in Naziuniform auf dem knienden Kanzler Schröder, 2007 hängen die Kaczynskis an der nackten Brust von Kanzlerin Merkel. Zwar schütteln seriöse Journalisten in Polen darüber den Kopf. Ungewöhnlich ist der raue Ton aber nicht: Die politischen Debatten und die mediale Berichterstattung in der jungen Demokratie sind deutlich provokanter als in Deutschland. Das zeigt eine Studie des Warschauer Medienwissenschaftlers Stanisław Mocek.

    "In Polen herrscht aus verschiedenen Gründen ein sogenannter engagierter Journalismus, während man sich in Deutschland am angelsächsischen Modell orientiert. Das heißt strikte Trennung von Nachricht und Kommentar. In Polen ist das oft gemischt, Medien und Politik überlagern sich. Ein weiterer Unterschied: Deutsche Qualitätsmedien berichten großflächig über das Ausland. In Polen dagegen konzentriert man sich auf inländische Themen."

    Die größte Aufmerksamkeit in den deutschen Medien erhalten oftmals Themen, die mit Stereotypen spielen, sagt Thomas Urban, langjähriger Polenkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung".

    "Vordergründig sind am meisten gefragt, die Geschichten, die irgendwelche Vorurteile und Klischees bestätigen – oder sich damit auseinandersetzen in anderer Weise. Also: Automafia ginge immer, aber genauso geht es, wenn ich sage, das mit der Automafia stimmt ja gar nicht, weil die Polen sehr erfolgreich dagegen vorgehen. Wir haben viele andere Beispiele: Lech Wałensa geht immer, meistens dann ist das in den letzten Jahren etwas Skurriles gewesen. Wenn es nichts Skurriles ist, dann ist es ein Überraschungseffekt, dann geht das auch."

    So manches Vorurteil weckt auch die Dominanz der deutschen Konzerne auf dem polnischen Printmarkt. 80 Prozent der Zeitschriften und Zeitungen sind in der Hand von ausländischen Investoren. Die deutschen Verlage Springer, Bauer, Gruner + Jahr und Passauer Neue Presse besitzen einen Marktanteil von insgesamt 50 Prozent. Die "Fakt" verdrängte die polnische Qualitätszeitung "Gazeta Wyborcza" aus dem Stand von Platz eins der Verkaufszahlen. Befürchtungen vom Ausverkauf der polnischen Medien werden immer wieder laut und besonders zu Wahlkampfzeiten von nationalistischen Politikern bedient. Doch einen tatsächlichen Einfluss der Verlage auf die Inhalte der polnischen Zeitungen gibt es nicht, meint Jarosław Gugała, leitender Redakteur beim privaten Rundfunksender Polsat.

    "Es geht rein ums Geschäft. Es ist einfach so: Als die Medien nach der Wende von der Zensur befreit und privatisiert wurden, haben die deutschen Konzerne kräftig investiert. Aber es gibt auch viele rein polnische Investoren. In der 20-jährigen Geschichte der freien Presse kenne ich keinen einzigen Fall von Manipulation. Es gibt hier keine Probleme."

    Mittlerweile dominieren positive Schlagzeilen über das deutsch-polnische Verhältnis: Regierungschef Tusk und Präsident Komorowski schlagen versöhnliche Töne an. 2011 stand die polnische EU-Ratspräsidentschaft im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die früher belächelte polnische Wirtschaft sorgte in Krisenzeiten mit einem Plus für den Überraschungseffekt. Und die erste Amtsreise des neuen deutschen Präsidenten Gauck nach Warschau und seine Bewunderung für die Freiheitsbewegung Solidarność stießen in Polen auf ein betont freundliches Echo – selbst bei der sonst so deutschlandkritischen Presse.