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Medien-Kunst
Der Mensch, das Web und das Dazwischen

In ihrer Kunst setzt sich Britta Thie damit auseinander, wie die Digitalisierung unsere Lebenswelt verändert hat. Derzeit sucht sie auf der Bühne nach dem "SUPERHOST" - und karikiert so das Bewertungshickhack bei der privaten Vermietung von Unterkünften. Geprägt ist die Medienkünstlerin von ihrer digitalen Pubertät.

Von Andi Hörmann | 24.04.2017
    Medienkünstlerin Britta Thiemann schützt ihr Gesicht mit einer Hand vor der Sonne. Foto: Andi Hörmann
    Medienkünstlerin Britta Thie ist im "Dazwischen" groß geworden (Andi Hörmann)
    "Als meine erste Periode kam, habe ich den ersten Chatroom besucht."
    Ein Satz von frappierender Offenheit, beiläufig wie ein Emoticon: Smiley - erstaunt und zwinkernd. "Millenials" nehmen kein Blatt vor den Mund und finden doch die richtigen Worte für ihre Identitätsfindung - damals, zur Zeit des Internet-Hypes.
    "Ich nenne das halt 'digitale Pubertät'. Und es geht so um diese Generation, der ich angehöre, die so in den 1990ern, ja die Pubertät parallel mit der Pubertät der westlichen Gesellschaft von analog zu digital mitgemacht hat."
    Im "Dazwischen" groß geworden
    Berlin-Neukölln. Ein stillgelegtes Industriegelände. Im Hinterhof zwitschern die Vögel. Vierter Stock: Das Atelier von Britta Thie. 30 Quadratmeter, weiße Wände. Links ein hüfthohes Regal mit Film- und Foto-Equipment, rechts ein großer Spiegel. Am geöffneten Fenster der Schreibtisch mit Computer-High-Tech. Die 1987 geborene Medien-Künstlerin Britta Thie ist also im "Dazwischen" groß geworden - zwischen digital und analog. Welt am Draht, der Sound des Modems. Britta Thie sagt:
    "Da konnte man eben noch nicht den Nachbarn googeln und gucken, ob der Dreck am Stecken hat, oder den nächsten Date-Partner - was der so macht - bevor man sich datet. Also man war irgendwie noch so … innocent."
    Unbedarft war gestern, heute stecken wir in der Zwickmühle: Analoges Leben versus Laster der Digitalität. Twitter und Instagram, Selfie und Social-Media werden immer mehr zu Prothesen unserer Identitäten. Britta Thie setzt sie mit ihrer Kunst in Bewegung. Fiktion sticht Realität: Die Inszenierung des Alltags wie ein gezinktes Kartenspiel. Das Ass im Ärmel ist die lebhafte Fantasie des Konsumenten.
    "I don't think that's true, you suck, that's not right - und dann fängt man plötzlich an, so zu sprechen wie diese Schauspieler, dass es sich so anfühlt, als ob man Dialoge aus Netflix-Shows in sein Leben copy-pasted", erklärt Britta Thie.
    "Toxische Dynamik"
    Mit ihrem jüngsten Projekt "The SUPERHOST" hat Britta Thie 2016 an den Münchner Kammerspielen eine sechsteilige Performance als Airbnb-Soap inszeniert. Nun erscheint dieses Hickhack in der Parallelwelt der privaten Vermietung von Unterkünften als Kurzfilm auf "ARTE Creative", dem Web-Channel des Kultursenders.
    "Du bist besonders einfühlsam, wenn ein Gast irgendwie gerade Liebeskummer hat und dir davon erzählt, weil du denkst: 'Ja, wenn ich jetzt da bin, dann bekomme ich auch eine gute Bewertung.' Und das erzeugt natürlich eine unglaublich toxische Dynamik, also man geht so auf Eierschalen und macht alles für diese Ratings."
    In der Web-Serie "Translantics" inszeniert sich Britta Thie 2015 als multimediale Selbstdarstellerin: Ein zeitgeistig eitles Abbild der Generation-Smartphone. Klick, Like, Follower. Das Generieren von Selbstwert im virtuellen Nirwana. Aber es ist vielleicht auch eine Abrechnung mit ihrem Model-Job als sie Anfang 20 war. Doch eins möchte Britta Thie gleich mal klar stellen:
    "Ich habe keine narzisstische Störung, auf gar keinen Fall. Nein."
    Verlorene Kindheitsträume
    Hohe Stirn, blasser Teint, rotblonde Mähne. Britta Thie ist keine klassische Schönheit, aber hat eine enorme Ausstrahlung. Je nach Inszenierung, von androgyn bis androidenhaft. Die ersten Filme produziert sie schon als Kind in ihrem Elternhaus in der Kleinstadt Minden in Nordrhein-Westfalen - noch vor der Pubertät spielt sie sich durch das deutsche Formatfernsehen der 1990er Jahre. Reenactments des Reality-TV, aufgenommen mit einer Hi8-Kamera.
    Britta Thie: "Wo ich meine Freunde gefragt habe, ob sie Gast in meiner Talkshow sein wollen."
    Andi Hörmann: "Zeigst Du mir was aus deiner Kindheit?"
    Thie: "Ja, ich hab hier so … Ich kann mal gucken, auf meinem Vimeo hab ich so ein kleines Video-Essay …"
    Hörmann: "Das ist schon erstaunlich: Mit nicht mal zehn Jahren, dass Du da so performst, dann dieses Imitieren."
    Thie: "Ich wollte ja auch immer gerne Moderator oder Reporter werden, das war halt …"
    Wie Britta Thie so ihre verlorenen Kindheitsträume ins Mikrofon flüstert, das ist schon vereinnahmend - und anrührend. Eine charmante Person, eine smarte Künstlerin, die das Gestern, Heute und Morgen mit dem Internet in ihrer Kunst reflektiert. Denn sind wir nicht alle ein wenig "Lost in Translation"?
    "Keine Ahnung! Das Internet hat halt mittlerweile so viele Fenster ins Außen … jetzt habe ich den Faden verloren."
    Ab 25. April ist ihr Kurzfilm "The SUPERHOST" auf "ARTE Creative" zu sehen. Am Mittwoch den 26. April zeigen die Münchner Kammerspiele um 21:30 Uhr den Kurzfilm "The SUPERHOST" in der Kammer 3. Nach der Ausstrahlung gibt es noch ein Gespräch mit Britta Thie.