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Medien
Lobbyarbeiter der Migranten?

Der Europarat zeigt sich besorgt über die Fremdenfeindlichkeit in Großbritannien. Der Hass gegen Migranten sei auch eine Folge der Berichterstattung in den Medien, heißt es in einer Studie. In Deutschland bewerten Experten die dortige Situation anders - machen aber andere Probleme aus.

Von Michael Borgers | 04.10.2016
    Journalisten bei einer Pressekonferenz mit Ursula von der Leyen. Klaus Bouillon und Thomas de Maizière
    Einseitige Berichterstattung zum Thema Flüchtlingspolitik? (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Der Ton macht die Musik, und in Großbritannien ist er bekanntlich immer ein bisschen schriller. Die britischen Medien sind für ihren seriösen Journalismus bekannt - genau wie für ihren Boulevard. Doch Migranten als "Kakerlaken" bezeichnen? Selbst auf der Insel geht das zu weit. Die Journalistin Katie Hopkins hatte diesen Vergleich im vergangenen Jahr gewählt. In ihrer Kolumne für die "Sun", die auflagenstärkste und einflussreichste Zeitung der Insel. Überschrieben hatte Hopkins ihren Beitrag mit "Rettungsboote? Ich würde Kanonenboote verwenden, um Flüchtlinge aufzuhalten" und rückte so selbst in den Fokus der Kritik: der sogenannten Sozialen Medien, ihrer Kollegen - und nun des Europarats.
    Bei der Vorstellung einer Studie der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), eines Organs des Europarats, wurde Hopkins als Beispiel angeführt. Als Negativbeispiel für eine negative Entwicklung: Britische Boulevardmedien schüren den Experten zufolge Hass gegen Migranten. Die Folge sei ein Anstieg von rassistischen Übergriffen. Beleidigende, diskriminierende und aggressive Begriffe gegenüber Migranten seien an der Tagesordnung in den erfolgreichsten Publikationen. Zugleich sei die Zahl von Übergriffen mit rassistischem, antisemitischen oder sexistischen Motiven in Großbritannien zeitweise stark gestiegen.
    "Verhältnisse in Deutschland differenziert betrachten"
    Auch in Deutschland hat die Zahl fremdenfeindlicher Angriffe zugenommen. Und ein Ende ist auch nicht in Sicht, warnte das Bundeskriminalamt jüngst mit Blick auf das Wahljahr 2017. Ist die Entwicklung auch in Deutschland eine Folge medialer Berichterstattung? Georg Ruhrmann macht für Deutschland unterschiedliche Entwicklungen aus. Der Jenaer Kommunikationswissenschaftler beschäftigt sich mit den Verhältnissen hierzulande, dem Zusammenspiel von Migration und Medien, insbesondere dem Fernsehen. Insgesamt beobachte er dort einen "unterschiedlichen Ton", wenn über das Flüchtlingsthema berichtet wird, sagt er im Gespräch mit dem Deutschlandfunk: hintergründig bei den Öffentlich-Rechtlichen, stärker personalisiert und zugespitzt im privaten Fernsehen. Letztendlich hänge es immer von den "Einstellungen der Zuschauer ab, wie Fernsehberichte jeweils wirken".
    Zwar werde mit einerseits "viel Negativität, sprachlichen Verzerrungen und Stereotypisierung" gearbeitet, "auch in und mit Bildern". Andererseits habe sich die Berichterstattung "differenziert, internationalisiert und professionalisiert". Ein Teil des öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus zeige - anders als früher noch - nicht nur Bilder der Gewalt, sondern beleuchte auch die zugrunde liegenden Konflikte, betont Ruhrmann: "Und: Menschen mit Migrationshintergrund kommen eher und leichter als früher in den Medien zu Wort."
    "Normative Wissenschaft"
    Die Historikerin Hedwig Richter macht für Deutschland eine weitgehend positive Berichterstattung aus. Gerade auch die "Bild"-Zeitung berichte sehr positiv über die Geflüchteten. Kritischer sieht sie hingegen die Wortmeldungen vieler Migrationsforscherinnen und -forscher, die teilweise zu einer tendenziösen Berichterstattung beitrügen. Vor allem in diesem Bereich wird laut Richter häufig "normativ" gearbeitet - nämlich "von der Vorstellung heraus, zu wissen, was gut und was schlecht ist". Grundregeln der Wissenschaft würden damit ausgesetzt. "Viele Wissenschaftler kümmern sich zu oft zu wenig um die Empirie, damit sie auf Ergebnisse kommen, die ihren politischen Vorstellungen entsprechen", kritisiert Richter im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
    Ähnlich hatte sich die Wissenschaftlerin vom Hamburger Institut für Sozialforschung vor gut vier Monaten in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geäußert - und in der Folge, wie sie uns sagt, zahlreiche Reaktionen auf ihre Worte erhalten: Kollegen aus der Migrationsforschung hätten ihr geschrieben und ihren Eindruck bestätigt, dass es kritische Stimmen, die dem Mainstream widersprächen, in der Migrationsforschung schwer hätten.
    Von Journalisten wünscht sich Richter, "dass man auch nach kritischen Wissenschaftlern sucht".