Donnerstag, 16. Mai 2024

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Medien und demokratische Freiheit

Wichtiges Ziel der West-Alliierten im besetzten Deutschland war die Einrichtung unabhängiger Medien. Das galt insbesondere für die Presse und den Rundfunk, das Fernsehen spielte in der Frühzeit der Bundesrepublik keine besondere Rolle. Die Erziehung zur Demokratie sollte nach zwölf Jahren der faschistischen Propaganda durch unabhängige und kritische Information unterstützt werden. Man tat sich allerdings schwer, die autoritäre und obrigkeitshörige Tradition aus den Köpfen zu vertreiben, zumal man sich auf nicht eben viele Rückkehrer aus der Emigration oder im Land gebliebene Menschen ohne braune Flecken auf der Weste stützen konnte.

Beitrag Jochen Stöckmann. Redakteurin am Mikrofon: Karin Beindorff. | 13.02.2006
    Kritischer Umgang mit den Spitzen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft war zunächst auch in den westdeutschen Medien verpönt, und es bedurfte eines längeren Entwicklungsprozesses, bevor man tatsächlich von einer kritischen Medienöffentlichkeit sprechen konnte. Die Historikerin Christina von Hodenberg hat in einer umfangreichen Untersuchung die Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit von 1945 bis 1973, also bis in die Jahre nach der Protestbewegung, darzustellen versucht. Jochen Stöckmann hat ihr Buch, das gerade im Wallstein Verlag erschienen ist, für uns gelesen.

    Beitrag Jochen Stöckmann

    "Als sich die Träger von Zeitungslizenzen in der US-Zone im Mai 1946 zu einer Tagung in Rothenburg trafen, amüsierten sie sich über die Parodie eines Fragebogens "zur Erforschung einer Redakteurs-Seele", angeblich ausgearbeitet von Psychiatern der Harvard-Universität". Ein häufiger Ansatzpunkt der Kritik war auch die politisch motivierte Begünstigung der Berufsanfänger. Das Ansehen der westdeutschen Presse werde kompromittiert durch "den Typ unreifer Jünglinge, die mit Ringelsöckchen, achteckiger Hornbrille und wallender Mähne die Gegend unsicher machen und, von jeglicher Sachkenntnis ungetrübt, unter dem Motto 'es lebe die Meinungsfreiheit’ die Feder zücken", klagte der Vorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes."

    Auch Christina von Hodenberg kann nicht in Redakteursseelen schauen. Aber die Historikerin zeichnet Frontverläufe zwischen Generationen nach, die von 1945 bis 1973 die Medienöffentlichkeit in Westdeutschland geprägt haben sollen: Zuerst einmal hätten die Besatzungsmächte das journalistische Personal ausgewechselt, eine unbelastete Vergangenheit zählte mehr als jede berufliche Erfahrung – die ja nur aus dem Nazi-Propagandaapparat herrühren konnte. Junge Leute, auch Dilettanten, seien über Nacht in Führungspositionen gelangt. Zwei, drei Jahre später hätte sich das Lagebild bereits geändert. Ein nicht näher beschriebener "Integrationswille" in den Redaktionen und nachlassende Entnazifizierungsbemühungen der alliierten Kontrolloffiziere verschafften zahlreichen NS-Journalisten wieder eine Anstellung. Während aber die Geschichtsbeschreibung bislang parteipolitische Gründe, einen deutsch-amerikanischen Kulturkonflikt oder auch den Kalten Krieg als Ursache gesehen hat, führt Hodenberg die Generationenrivalität von sog. "Post-1945" und "Prä-1945-Medieneliten" ins Feld:

    "Im Journalismus mussten sich gegnerische Lager bilden, sobald sich alte und neue Eliten in annähernd gleicher Stärke gegenüberstanden. Persönliche Bekanntschaften waren in diesem Prozess entscheidend. Ehemalige Kollegen rehabilitierten und rekrutierten sich gegenseitig, Ex-Soldaten halfen ihren Kameraden und Ex-Staatsdiener ihren Amtskollegen. Und dann waren da jene Blätter am rechten Rand, die mit Vorliebe belastete Experten anwarben."

    Ein Auge auf ehemalige NS-"Experten" hatte sogar der vorgeblich linksliberale "Spiegel" geworfen, wie Historiker jüngst herausfanden. Diesen Studien zum Nachkriegsjournalismus wirft Hodenberg vor, sich allzu sehr auf das Skandalon der "personellen Kontinuitäten" kapriziert zu haben. Mit ihrem generationsgeschichtlichen Ansatz will sie nun statt dessen "unterbelichtete" Faktoren in den Blick nehmen, von der Untersuchung interner Auseinandersetzungen innerhalb der "Medieneliten" bis hin zur Analyse der "tatsächlichen Massenmedien", also die Illustrierten und das Fernsehen. Denn nicht nur vom "Spiegel", auch durch den "Stern" und sogar die "Hör zu!", vor allem aber durch Politmagazine wie "Panorama" sei bereits Ende der fünfziger Jahre ein Demokratisierungsschub angestoßen worden. Und zwar durch die "45er", durch eben jene jungen Leute, die dank alliierter "reeducation"- und Reform-Bemühungen an die Schalthebel der Medienmacht gelangt seien. Sie brauchten allerdings ihre Zeit, denn noch 1950 klagte der US-amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay:

    "Die deutsche Unfähigkeit, demokratische Freiheit wirklich zu erfassen, hat sich wohl auf keinem anderen Gebiet so deutlich gezeigt. Es schien unmöglich zu sein, zu einer Gesetzgebung zu gelangen, in der die Presse der regierenden Macht nicht auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war."

    Daran sei nicht nur die Adenauer-Regierung mit ihrem autoritären Kurs gegenüber der Presse und insbesondere dem als staatlichem Verlautbarungsorgan behandelten Rundfunk schuld gewesen. Die Phase des "Konsensjournalismus", in der sich die Medien im Zeichen nationaler Harmonie und eines strammen Antikommunismus hinter der Regierung scharten, führt Hodenberg auf die sog. Generation der "Wilhelminer" zurück: Aufgewachsen vor 1900, sei ihnen nach 1945 der Bruch mit dem Nationalsozialismus meist nur durch einen Rückgriff auf die Leitbilder des Kaiserreichs möglich gewesen. Unter diese Kategorie fallen allein aufgrund ihres Geburtsdatums fast sämtliche Protagonisten einer Debatte über den Begriff der 'Öffentlichkeit’, in der Hodenberg bis Mitte der fünfziger Jahre eine kulturpessimistische, in ihren Augen gar nicht "fortschrittliche" Kritik an den Massenmedien vorherrschen sieht: Ob Günther Anders oder Arnold Gehlen, Theodor W. Adorno oder Alexander Rüstow – alle landen in derselben Ecke. Begriffe und Ideen gehen in Hodenbergs Buch als beliebig zusammengeklaubte Steinchen im bunten Generationenmosaik der Namen und Geburtsdaten auf:

    "Die seit 1966/67 an Fahrt gewinnende Studentenbewegung beschäftigte sich intensiv mit Fragen der Massenmedien und der öffentlichen Meinung. Im Folgenden sollen Gedanken von Aktivisten und Theoretikern der Protestbewegung zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden. Die Zitierten sind in der Regel zwischen 1934 und 1945 geboren und wurden durch die außerparlamentarische Opposition Teil einer kleinen, aber tonangebenden Generationseinheit innerhalb ihres Generationszusammenhangs. Hinzugenommen werden die Texte einiger älterer Mentoren der "68er", etwa Peter Brückner (Jahrgang 1922), Hans Magnus Enzensberger (1929) und Wolfgang Abendroth (1906)."

    Abendroth, auch das geht in diesem "name dropping" völlig unter, war in der Rechtsstaat-Debatte um eine Ausweitung der vorgeblich nur "formalen" Nachkriegsdemokratie erbitterter Kontrahent von Ernst Forsthoff. Diesem Juristen galt "Öffentlichkeit" als Kampfplatz egoistischer Partikularinteressen, als Sphäre, in der von Staats wegen die Vorstöße gesellschaftlicher Kräfte einzudämmen, zumindest aber scharf zu kontrollieren seien. Ein Gedanke, den Forsthoffs Lehrer, der Rechtstheoretiker Carl Schmitt, im Bild der gelenkten Massenkundgebung als öffentlicher "Akklamation" des herrschenden Regimes verdeutlicht hatte. Darin enthalten war die radikale Kritik an der "nichtigen Formalität" liberaler Öffentlichkeit. Und eben dieser Aspekt – so behauptet Hodenberg – habe nach 1945 noch starken Einfluss ausgeübt, bis hin zur Öffentlichkeits-Theorie von Jürgen Habermas und anderer Linken:

    "Oskar Negts und Alexander Kluges Versuch, die Theorieansätze der späten sechziger Jahre 1972 in ein konsistentes Öffentlichkeitsmodell zu überführen, widerstand nicht der Verlockung, die Massenversammlung als Ort sinnlich fassbarer, physisch direkter Kommunikation und zentrales Moment einer idealen Öffentlichkeit zu feiern – die Parallele zu Schmitts Lob der Massenkundgebung ist deutlich. Zwar handelte es sich um unfreiwillige Analogien, doch zeigt die Verwendung Schmittscher Ideen, wie wenig bekannt die intellektuelle Tradition der extremen Rechten den meisten "68ern" war. Jener Gegner, gegen den sich die "45er" intellektuell formierten, war bereits in Vergessenheit geraten."

    Und heute erinnert sich vermutlich kaum jemand mehr daran, dass das Wochenblatt "Die Zeit" keineswegs als liberales Flaggschiff gestartet ist:

    "Doch rief der Rechtskurs des Chefredakteurs allmählich ein gegnerisches Lager auf den Plan. Erfolgreich war erst die Revolte, die Marion Gräfin Dönhoff im Juli 1954 anzettelte. Der Auslöser der Krise war ein Artikel von Carl Schmitt. Dönhoff protestierte gegen die Mitarbeit von 'Nazibonzen’: 'Ich weigere mich zuzugeben, dass wir Deutschland einen Dienst erweisen, wenn wir den Verrätern am Geist und den Nihilisten mit Bügelfalten wieder die Möglichkeit geben, politische Betrachtungen anzustellen."

    Die Gefährdung des Subjekts oder, im Sprachgebrauch der frühen Siebziger, die "Manipulation" tut Hodenberg als "Argument aus der Rumpelkammer" ab. Und was aus der "breiten Partizipation" geworden ist, das beliebige Geschwätz von "talking heads", taucht in dieser Geschichte nicht auf, der Beschränkung ihrer Studie bis zum Jahre 1973 sei Dank. Aber man braucht sich ja gar nicht vorstellen, man muss nur im Fernsehen anschauen, was der – ebenfalls ins Lager der längst ausgebremsten Generationen verwiesene – Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis ahnte, als er 1957 diese angebliche Teilhabe des Publikums per Meinungsumfrage kritisierte:

    "Auch in der freiheitlichen Demokratie entscheidet darüber, ob eine Meinungsäußerung ein Beitrag zur öffentlichen Meinung ist, nicht der Kopf, sondern das, was in ihm ist."

    Tatsächlich aber hielt in der beruflichen Praxis eine neue Form des "Konsensjournalismus" Einzug: Von Carola Stern immerhin weiß Hodenberg noch zu berichten, dass "APO-Stoßtrupps" die Politikredakteurin des WDR "auf Linie" bringen wollten. Ein Blick in das Buch "Mattscheibe" des Fernsehjournalisten Jürgen Bertram hätte die Medienhistorikerin zudem darüber belehren können, dass nach Aussagen eines ehemaligen Redakteurs auch in der "Panorama"-Redaktion eine starke Diskrepanz zwischen geforderter "Partizipation" und gruppendynamischen Prozessen bestand, die – so wörtlich – "in Richtung Stalinismus wiesen". Eine subjektive Wertung gewiss, aber sicher weniger fragwürdig als Hodenbergs Kennzeichnung von freien Schriftstellern als "Zuträger" der intellektuellen Nachtprogramme oder ihre verblüffende Einschätzung von Adorno und Max Horkheimer, die mit einigen Diskussionsrunden im Fernsehen "zu regelrechten Medienstars" aufgestiegen seien. Das zumindest muss den beiden aus der Generation der "Wilhelminer" erst mal einer nachmachen.

    Jochen Stöckmann besprach "Konsens und Krise - Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945 – 1973" von Christiane von Hodenberg. Das Buch ist erschienen im Wallstein Verlag in Göttingen, es hat 512 Seiten und kostet 46 Euro.

    Karin Beindorff:
    Wer aus erster Hand etwas über die Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien in der Bundesrepublik wissen wolle, müsse die Erinnerungen des streitbaren Friedrich-Wilhelm von Sell lesen, wirbt auf dem Buchumschlag Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert, der offenbar nicht nur Experte für Fragen der Ehrlichkeit und französischen Käse ist. Von Sell war neun Jahre Intendant des WDR, zuvor auch Justitiar des SFB und Verwaltungsdirektor dieses Senders, des Deutschlandfunks. Und 1991 wurde er, längst nach seiner Pensionierung, zum Gründungsintendanten des ORB. In seinen Erinnerungen schildert der aus einer preußischen Adelsfamilie stammende von Sell in verschiedenen Episoden seinen Lebensweg und seine berufliche Karriere, nicht immer ganz frei von den Medienmenschen eigenen Eitelkeiten und dem Hang auch zu eher privaten Anekdoten, die außerhalb des Medienzirkus nur bedingt interessieren dürften. Das Buch gibt allerdings einige auch für das Publikum aufschlussreiche Einblicke in die Verhältnisse hinter den Kulissen der Radio- und Fernsehwelt, in das oft von parteipolitischen Interessen motivierte Treiben von Verwaltungs- und sog. Kontrollgremien, die vor allem von Sells Intendanz beim WDR begleitet haben. Sein Buch "Mehr Öffentlichkeit" ist im Verlag zu Klampen erschienen, hat 254 Seiten mit zahlreichen Photos und kostet 19,80 Euro.

    Wer sich für die Welt der Adenauerzeit bis zum Ende der 50er Jahre interessiert, dem sei an dieser Stelle noch ein neues und quellenreiches Buch aus dem Klartext Verlag kurz empfohlen. Kirsten Petrak, Dietmar Petzina und Werner Plumpe haben ein Lesebuch zur Alltags- und Sozialgeschichte der frühen Republik zusammengestellt. In zehn Kapiteln wurden Quellentexte zu den Themen Raum, Arbeit, Wohnen, Ernährung und Bekleidung, zu Familie, Freizeit und Kultur, Religion, Devianz und Krankheit zusammengetragen, und im letzten Kapitel werden Auszüge aus sieben Lebensläufen vorgestellt. Im Wesentlichen wird das Material aus Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln gewonnen. Ein Kompendium, in dem man sich leicht festlesen kann, scheinen doch manche Probleme wie aus einer anderen Welt, etwa ob Körperpflege auch für Landwirte wichtig sei oder "Wie weit reichen Sie mit 5 DM fürs Wochenende?" - Probleme eben aus Adenauers Welt. Das Buch gleichnamigen Titels ist bei der Klartext Medienwerkstatt in Essen erschienen, hat 542 Seiten und ist mit einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis ausgestattet. Es kostet 34 Euro.