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Medienberichterstattung
Was der Presserat bewirken kann

Eine Rüge des 1956 gegründeten Deutschen Presserates galt lange als Höchststrafe für Journalisten. Doch angesichts der Spekulationen und teilweise fragwürdigen Berichterstattung rund um den Absturz der Germanwings-Maschine scheint das Instrument an Wirkung verloren zu haben.

Von Bettina Schmieding | 02.04.2015
    Auf einem Tisch liegen deutsche Tageszeitungen so versetzt, dass jeweils nur der Titel zu lesen ist, ganz vorne "Die Welt", "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und "Süddeutsche Zeitung"
    Tageszeitungen in Deutschland: Wie viel Einfluss auf die Qualität hat der Presserat? (dpa / Jan Woitas)
    "Deutlich mehr Zeitungen habe ich verkauft, das habe ich gemerkt. Manchmal sagen die Leute, ach die lügen viele, aber trotzdem kaufen sie und lesen."
    In den Tagen nach dem Flugzeugabsturz war die "Bild"-Zeitung im Kiosk von Hacer Yavoz schon frühmorgens ausverkauft und sie musste nachbestellen. Es ist seltsam, sagt Frau Yavoz, ihre Kunden wissen, dass manche Zeitungen spekulieren und manchmal auch lügen, und trotzdem geben sie Geld dafür aus.
    "Übertriebene Sachen ist immer interessant für die Leute. Das wollen die lesen."
    "Diesen Grundsatz, nicht zu berichten, wenn man nichts weiß, den hat es immer gegeben, aber er ist selten so wenig eingehalten worden wie in diesen Tagen."
    Und das hat Konsequenzen: Seit dem Absturz der Germanwings-Maschine in Frankreich sind über 400 Leser-Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen, wie er in einer kurzen Presseerklärung gestern mitteilte. Zu weiteren Äußerungen konnte unsere Redaktion das Kontrollgremium nicht bewegen, obwohl es zurzeit Beschwerden hagelt.
    Die Leute unterscheiden nicht
    Zum Vergleich: Die Berichterstattung über die Loveparade-Katastrophe hat nur 241 Beschwerden hervorgerufen. Peter Pauls, Chefredakteur des "Kölner Stadtanzeigers", hat in seiner Redaktion in den Tagen nach dem Absturz auf Zurückhaltung bestanden. Trotzdem: Eine Sache würde er gerne ungeschehen machen, wenn das ginge. Nämlich den Kommentar seines Chefkorrespondenten, der mit folgendem Satz begann:
    "Der Absturz des Fluges 4U9525 steht für den schlimmsten deutschen Massenmord seit 1945."
    Nach heftigen Protesten gegen diesen Nazi-Vergleich hat sich die Chefredaktion des "Kölner Stadtanzeigers" entschuldigt. Ob das zu einer Beschwerde beim Deutschen Presserat geführt hat? Peter Pauls weiß es noch nicht. Und ärgert sich darüber, dass manche Leser keinen Unterschied mehr machen zwischen Boulevardmedien und seinem Blatt. Dabei ist die Trennlinie seiner Meinung nach sehr scharf.
    "Ich kann Ihnen ganz genau sagen, an welcher Stelle wir uns von den Boulevardmedien unterscheiden. Wir haben kein Bild des Co-Piloten von Facebook runtergeladen, wir haben seinen Namen nicht genannt, wir haben nicht mit seiner ehemaligen Freundin gesprochen, wir haben nicht sein Umfeld abgeklopft."
    Als der Presserat 1956 gegründet wurde, also vor fast 60 Jahren, war die Medienwelt noch eine ganz andere. Konrad Adenauer war Bundeskanzler, und er war der Meinung, dass der Staat die Presse zu beaufsichtigen habe. Ein Bundespressegesetz sollte her, aber schon der Entwurf rief Erinnerungen wach und die Journalisten und Verleger auf den Plan.
    "Wir sagten, das ist nicht der Sinn der Pressefreiheit, dass uns der Staat vorschreibt, wie wir anständig uns verhalten sollten in der Presse. Wir müssen, weil wir eine freie Presse sind, auch frei darauf hinwirken, dass die Presse nicht mit Missbräuchen belastet wird."
    Rupert Gießler gehörte zu der verschworenen kleinen Runde aus zehn Verlegern und Journalisten, die sich entschloss, dem Adenauerplan etwas entgegenzusetzen. Der Verleger Gießler hatte noch gut die Gleichschaltung der Medien im Nazi-Deutschland in Erinnerung.
    Freiwillige Selbstkontrolle war für ihn und die anderen alternativlos. Der Deutsche Presserat wurde gegründet. Inzwischen wird der Verein von zwei Verleger- und zwei Journalistenverbänden getragen, bekommt einen Bundeszuschuss und ist für die Print- und Onlinemedien, nicht aber für den Rundfunk zuständig. Neben dem Hinweis und der Missbilligung ist die öffentliche Rüge das schärfste Schwert des Presserats. Sie muss von der betroffenen Redaktion veröffentlicht werden.
    "Ich finde, dass eine Rüge, die man vom Presserat erhält, eine der stärksten Bestrafungen ist, für das, was ein Journalist gemacht hat."
    Das sehen Vertreter von Boulevardmedien, im Unterschied zu Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung", eventuell ganz anders. Zu den Spitzenreitern unter den Pressecodex-Sündern gehört traditionell die "Bild"-Zeitung. Hier ein paar Schlagzeilen der letzten Tage:
    "Jetzt spricht die Ex-Freundin des Amok-Piloten"
    "Eltern versuchten, ihre toten Kinder anzurufen."
    "Video aus Todesflieger zeigt letzte Sekunden."
    Mangelnde Selbstkontrolle
    Mit der "Bild" und mit den anderen bunten Blättern der Republik schlägt sich der Medienrechtler Christian Schertz seit 20 Jahren vor Gericht herum. Er vertritt Prominente wie Herbert Grönemeyer und Günther Jauch in Persönlichkeitsrechtsverfahren. Eine funktionierende Selbstkontrolle der Medien sieht anders aus, sagt Schertz:
    "Wann immer Unglücksfälle passiert sind, sei es Loveparade, sei es Flugzeugabstürze, hat offen gesagt der Presserat die Medienmeute nicht aufhalten können, Opferbilder zu drucken oder sonstige Details zu veröffentlichen, ohne dass sie bereits hinreichend geprüft waren."
    Michael Konken, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbands, der zu den Trägern des Presserats gehört, verteidigt das Prinzip der Selbstkontrolle:
    "Wir können uns nur selbst kontrollieren. Es gibt keine Möglichkeit, einzugreifen in die Berichterstattung. Das lässt der Artikel 5 des Grundgesetzes überhaupt nicht zu und das ist auch richtig so. Also insofern hat dieser Presserat auch in der Vergangenheit funktioniert und er wird auch in Zukunft funktionieren."
    Und dort, wo es nicht funktioniert, tritt die Kanzlei von Anwalt Christian Schertz auf den Plan, sofern sich die Geschädigten seine Dienste leisten können. Für ihn und für seine Mandanten ist das schärfste Schwert des Deutschen Presserates, die öffentliche Rüge, in Wirklichkeit längst stumpf.
    "Das Einzige, was Medien interessiert, sind tatsächlich rechtliche Schritte, Unterlassungsverpflichtungen, Gegendarstellungen, die gedruckt werden müssen und, vor allem und entscheidend, so genannte Geldentschädigungen von Medienopfern, also Personen, die durch eine rechtswidrige Berichterstattung verletzt worden sind."
    Ein wertvolles Gut bewahren
    Hans Leyendecker ist bei der "Süddeutschen Zeitung" zuständig für die investigative Recherche. Wenn die Presse die Sache mit der Selbstkontrolle nicht in den Griff bekommt, ziehen die Gerichte andere Seiten auf, warnt Leyendecker.
    "Wenn die nicht mehr reicht, werden wir erleben, dass die Pressekammern einen anderen Takt anschlagen. Dass das, was bisher Verdachtsberichterstattung war, anders gewertet wird von den Pressekammern. Das was im Grundgesetz – Sicherung der Meinungsfreiheit – erkämpft wurde, kann verloren gehen, wenn wir mit diesem hohen Gut schlecht umgehen."