Vor drei Jahrzehnten wurde das Judas-Evangelium in der ägyptischen Wüste ausgegraben.
Eine Gruppe um den Schweizer Koptologen Rodolphe Kasser hat es jetzt entziffert. Und sein Kollege Hans-Gebhard Bethge, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, hat den Text schon aus dem Koptischen übersetzt.
"Dieses Evangelium darf man sich nicht so vorstellen, wie wir uns Evangelien sonst vorstellen, also quasi wie bei Lukas: von der Geburt Jesu bis zu seinem Tod, Auferweckung und Himmelfahrt – oder bei Johannes, das irdische Wirken Jesu. Nein, dieses Evangelium berichtet vom irdischen Wirken Jesu fast gar nichts. Es wird im Eingang gesagt, dass er viele Wunder getan hat, die werden aber nicht beschrieben. Und das Evangelium, und das ist interessant, endet mit dem Satz: "Da übergab er, Judas, ihn, Jesus, ihnen, den Gegnern Jesu.""
Wie Bethge wissen auch die meisten seiner Kollegen in der neutestamentlichen Wissenschaft: Das Judas-Evangelium wird sie nicht dazu zwingen, die bekannten Evangelien neu zu deuten. Der Text enstand wahrscheinlich Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus – in einer Zeit, als es den Kanon noch nicht gab. Was zu den Heiligen Schriften der Christen gehörte, stand noch nicht fest. So produzierten die frühen Christen eine bunte Vielfalt von Texten. Da auch noch keine zentrale kirchliche Autorität existierte, fehlte auch der Zensor, der unpassende Blüten im Garten der Christenheit hätte abschneiden können.
"Es ist ein Evangelium, was rein äußerlich eine dialogische Form hat. Das heißt also: Jesus ist im Gespräch mit anderen, er ist im Gespräch mit seinen Jüngern, das sind die, die wir kennen. Die werden allerdings nicht im Einzelnen so mit Namen genannt. Und er ist außerdem im Gespräch mit Judas. Und das Interessante ist, dass Judas derjenige ist, der die Jünger alle übertrifft. "
Judas steht in der späteren christlichen Tradition – mit den Jahrhunderten immer eindeutiger –für das Böse schlechthin. Das Judas-Evangelium sieht ihn als den wichtigsten der Jünger Jesu. Denn ohne seinen Verrat hätte die Heilgeschichte nicht ihren Lauf nehmen können, wären Kreuzigung und Auferstehung gar nicht passiert. Aus der Sicht des Judas-Evangeliums hat der Jünger lediglich den Menschen geopfert, der den eigentlich göttlichen Jesus umhüllte.
Mit anderen Worten: Der Leib des Christus hatte aus der Sicht des Judas-Evangelisten keine Bedeutung. Entscheidend war allein der göttliche Funke, der in ihm steckte, und der war durch die Kreuzigung nicht zu zerstören. Dieses Verständnis von Jesu Kreuzestod ist typisch für die Gnosis, eine esoterische Lehre. Sie verband sich mit dem Christentum, lehnte den alttestamentlichen Schöpfergott und damit auch alles Leibliche ab.
Die gnostische Position des Judas-Evangeliums ist ganz und gar nicht neu. Seit Jahrhunderten arbeiten Neutestamentler und Kirchenhistoriker an der Entzifferung diverser gnostisch-christlicher Texte aus dem Umfeld der neutestamentlichen Schriften - wie etwa der Petrus-Apokalypse oder des Thomas-Evangeliums.
"Man darf sich den Begriff Evangelium nicht nur vorstellen anhand der kanonisierten Texte, die wir haben. Es gibt auch andere Texte, die wir kennen: Thomas zum Beispiel, ist ein Evangelium ganz eigener Art, hat nur Worte Jesu, Sprüche, und unten drunter steht auch: Das Evangelium nach Thomas."
Ob Thomas- oder Judas-Evangelium – die neu entdeckten und entzifferten Texte belegen, dass schon die ersten Christen nicht anders waren als die heutigen: die Variationsbreite ihrer Anschauungen war groß. Sie stritten gern um die Wahrheit, und sie stellten sich ihren Christus ganz unterschiedlich vor.
"Manche der apokryphen Evangelien versuchen, die Lücken, die die kanonisierten Texte haben, zu füllen, also etwa über die Kindheit Jesu: Was hat er gemacht? Darüber schreiben dann einige Autoren. Andere Texte bringen dann Traditionen, die in den kanonisierten Evangelien nicht enthalten sind, dazu gehört etwa Thomas. Die Hälfte vom Thomas-Evangelium sind Worte Jesu, die in den kanonisierten Texten nicht stehen."
Die neu entdeckten Evangelien haben weder das Christentum noch die neutestamentliche Wissenschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Aber sie erinnern daran, dass auch die biblischen Schriften von Menschen zusammengestellt wurden. Den Neutestamentler Hans-Gebhard Bethge stimmt der Fund des Judas-Evangeliums nachdenklich.
"Historisch gesehen wissen wir überhaupt nicht, welche Motive Judas gehabt hat bei seinem Tun, und ein solches Evangelium wie dieses ist da vielleicht auch Anlaß, ein bisschen innezuhalten und das gängige Klischee von diesem ganz bösen Mann vielleicht auch nicht weiter zu verbreiten. "
Eine Gruppe um den Schweizer Koptologen Rodolphe Kasser hat es jetzt entziffert. Und sein Kollege Hans-Gebhard Bethge, Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, hat den Text schon aus dem Koptischen übersetzt.
"Dieses Evangelium darf man sich nicht so vorstellen, wie wir uns Evangelien sonst vorstellen, also quasi wie bei Lukas: von der Geburt Jesu bis zu seinem Tod, Auferweckung und Himmelfahrt – oder bei Johannes, das irdische Wirken Jesu. Nein, dieses Evangelium berichtet vom irdischen Wirken Jesu fast gar nichts. Es wird im Eingang gesagt, dass er viele Wunder getan hat, die werden aber nicht beschrieben. Und das Evangelium, und das ist interessant, endet mit dem Satz: "Da übergab er, Judas, ihn, Jesus, ihnen, den Gegnern Jesu.""
Wie Bethge wissen auch die meisten seiner Kollegen in der neutestamentlichen Wissenschaft: Das Judas-Evangelium wird sie nicht dazu zwingen, die bekannten Evangelien neu zu deuten. Der Text enstand wahrscheinlich Ende des zweiten Jahrhunderts nach Christus – in einer Zeit, als es den Kanon noch nicht gab. Was zu den Heiligen Schriften der Christen gehörte, stand noch nicht fest. So produzierten die frühen Christen eine bunte Vielfalt von Texten. Da auch noch keine zentrale kirchliche Autorität existierte, fehlte auch der Zensor, der unpassende Blüten im Garten der Christenheit hätte abschneiden können.
"Es ist ein Evangelium, was rein äußerlich eine dialogische Form hat. Das heißt also: Jesus ist im Gespräch mit anderen, er ist im Gespräch mit seinen Jüngern, das sind die, die wir kennen. Die werden allerdings nicht im Einzelnen so mit Namen genannt. Und er ist außerdem im Gespräch mit Judas. Und das Interessante ist, dass Judas derjenige ist, der die Jünger alle übertrifft. "
Judas steht in der späteren christlichen Tradition – mit den Jahrhunderten immer eindeutiger –für das Böse schlechthin. Das Judas-Evangelium sieht ihn als den wichtigsten der Jünger Jesu. Denn ohne seinen Verrat hätte die Heilgeschichte nicht ihren Lauf nehmen können, wären Kreuzigung und Auferstehung gar nicht passiert. Aus der Sicht des Judas-Evangeliums hat der Jünger lediglich den Menschen geopfert, der den eigentlich göttlichen Jesus umhüllte.
Mit anderen Worten: Der Leib des Christus hatte aus der Sicht des Judas-Evangelisten keine Bedeutung. Entscheidend war allein der göttliche Funke, der in ihm steckte, und der war durch die Kreuzigung nicht zu zerstören. Dieses Verständnis von Jesu Kreuzestod ist typisch für die Gnosis, eine esoterische Lehre. Sie verband sich mit dem Christentum, lehnte den alttestamentlichen Schöpfergott und damit auch alles Leibliche ab.
Die gnostische Position des Judas-Evangeliums ist ganz und gar nicht neu. Seit Jahrhunderten arbeiten Neutestamentler und Kirchenhistoriker an der Entzifferung diverser gnostisch-christlicher Texte aus dem Umfeld der neutestamentlichen Schriften - wie etwa der Petrus-Apokalypse oder des Thomas-Evangeliums.
"Man darf sich den Begriff Evangelium nicht nur vorstellen anhand der kanonisierten Texte, die wir haben. Es gibt auch andere Texte, die wir kennen: Thomas zum Beispiel, ist ein Evangelium ganz eigener Art, hat nur Worte Jesu, Sprüche, und unten drunter steht auch: Das Evangelium nach Thomas."
Ob Thomas- oder Judas-Evangelium – die neu entdeckten und entzifferten Texte belegen, dass schon die ersten Christen nicht anders waren als die heutigen: die Variationsbreite ihrer Anschauungen war groß. Sie stritten gern um die Wahrheit, und sie stellten sich ihren Christus ganz unterschiedlich vor.
"Manche der apokryphen Evangelien versuchen, die Lücken, die die kanonisierten Texte haben, zu füllen, also etwa über die Kindheit Jesu: Was hat er gemacht? Darüber schreiben dann einige Autoren. Andere Texte bringen dann Traditionen, die in den kanonisierten Evangelien nicht enthalten sind, dazu gehört etwa Thomas. Die Hälfte vom Thomas-Evangelium sind Worte Jesu, die in den kanonisierten Texten nicht stehen."
Die neu entdeckten Evangelien haben weder das Christentum noch die neutestamentliche Wissenschaft in ihren Grundfesten erschüttert. Aber sie erinnern daran, dass auch die biblischen Schriften von Menschen zusammengestellt wurden. Den Neutestamentler Hans-Gebhard Bethge stimmt der Fund des Judas-Evangeliums nachdenklich.
"Historisch gesehen wissen wir überhaupt nicht, welche Motive Judas gehabt hat bei seinem Tun, und ein solches Evangelium wie dieses ist da vielleicht auch Anlaß, ein bisschen innezuhalten und das gängige Klischee von diesem ganz bösen Mann vielleicht auch nicht weiter zu verbreiten. "