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Medienguru im Blick

Der Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan gilt als Prophet des Digitalzeitalters. Kritische Einführungen in sein Werk gibt es zuhauf. Nun legt Douglas Coupland, Autor von "Generation X", eine Biografie vor, die den Menschen und Theorieproduzenten McLuhan in den Mittelpunkt rückt.

Von Michael Köhler |
    "Wir schreiben das Jahr 1980, es ist Frühling. Ein Mann liegt auf einer Couch im kühlen, dunklen Büro eines Tudor Hauses in einer ruhigen Wohngegend am Stadtrand von Toronto, Ontario. Er ist fast 70 Jahre alt. Er ist Linkshänder und heterosexuell. Er starrt an die Decke. Er ist weiß. Er trägt einen Pullover über einem Hemd mit Button-down-Kragen. Sein Name ist Marshall.( ... )

    Er kann nicht mehr sprechen. Er kann nicht mehr lesen. Er kann nicht mehr schreiben. Das geht jetzt seit einem halben Jahr so, seit seinem Schlaganfall."


    So beginnt die Biografie Marshall McLuhans aus der Feder des kanadischen Schriftstellers Douglas Coupland. Der Verfasser beginnt mit dem Lebensende des berühmten Medientheoretikers. Einen Moment lang weiß man nicht, wird das die Geschichte einer fiktiven Person, ist das der Beginn eines Romans, die Geschichte einer Maschine, eines Automaten oder jener Person, die heute vor 100 Jahren in Edmonton geboren wurde und auf jenen Namen hört, der auch der Name elektrischer Verstärker ist: Marshall.

    Die Elektrik hatte längst als Kurzschluss Einzug in Marshall McLuhans Körper gehalten. Von einem Hirntumor, der ihm entfernt wurde und einem Schlaganfall hat er sich nicht wieder erholt und stirbt am Silvestertag des Jahres 1980, nachdem ein Geistlicher ihm die Beichte abgenommen hatte.
    Wer war dieser Mann der mittelalterliche Rhetorik und Elektrik, Inkunabel und Informatik, Buchdruck und digitales Zeitalter zusammen denken konnte?

    Um es gleich zu sagen, Douglas Coupland liefert keine Detail versessene Biografie. Da gibt es bereits die maßgebliche von McLuhans Schüler Philip Marchand. Coupland arrangiert die bekannten Daten zu einer tollen Lebensgeschichte um einen schrulligen, konservativen, hoch sensiblen Denker und Künstler. Das ist das Neue und Lesenswerte an dieser Biografie. Sie bringt uns McLuhan weniger als ersten Medientheoretiker nahe, der er fraglos in den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts war, sondern als "Performancekünstler", wie Coupland schreibt.

    Die massenmedien liebten ihn, weil seine komplizierten Theorien, sie sowohl umschmeichelten und mystifizierten.

    Mc Luhan zog die Menschen an, seine Vorträge waren beliebt, Universitäten rissen sich um ihn. Andy Warhol gab zu, von ihm beeinflusst zu sein und Woody Allen gab ihm im "Stadtneurotiker" einen kurzen Auftritt. Er war im besten Sinne ein Medienguru, der Slogans produzierte. Sein berühmtester lautet:

    "Das Medium ist die Botschaft."

    "'Das Medium ist die Botschaft' bedeutet, dass der augenscheinliche Inhalt sämtlicher elektronischer Medien unerheblich ist und das Medium selbst die größte Auswirkung auf die Umwelt hat. ( ... .) Vergessen wir zum Beispiel mal den augenscheinlichen Inhalt einer Fernsehsendung. Was zählt, ist vor allem, dass man fernsieht, statt ein anderes Medium – wahrscheinlich Bücher oder das Internet – zu nutzen. Je nachdem, mit welchen Medien wir unsere Zeit verbringen, verlagern wir das Gewicht auf einen anderen Sinn."

    McLuhan tut in den späten und frühen 60ern etwas, was heute gepredigt wird. Er geht kunstvoll fremd, missachtet akademische Grenzen, lässt Fakultätshürden außer Acht, denkt interdisziplinär. Er promoviert in Cambridge über englische Literatur, kommt nach Hause und soll in St Louis, Wisconsin unterrichten. Er trifft auf studentische Trottel der Massenkultur, erlebt eine Art amerikanischen Pisaschock und fragt sich, wie kommt das.

    "One of the alarm situations in North America is the great decline of literacy."

    Der Niedergang der amerikanischen Lesefähigkeit alarmiert ihn. Er fragt, wie haben welche medialen Umgebungen Einfluss auf die Organisationsform einer Gesellschaft. Denn sie sind nicht passive Umgebungen, sondern aktive Hüllen.

    Coupland legt einen Vergleich nahe und sagt, es ist so, als würde jemand mittelalterliche Osterriten in Frankreich studieren, um anschließend Raketentechniker zu werden. McLuhan macht so was. Er kennt sich mit Rhetorik im 16. Jahrhundert aus und analysiert die technischen Umgebungen seiner Zeit und erkennt: Das Medium ist die Botschaft.

    Man muss bedenken, dass McLuhan weder in der NASA noch bei IBM saß, als er zu diesem Schluss kam, sondern indem er sich mit den Verfassern geheimer Reformationsflugschriften aus dem 16. Jahrhundert, dem Werk von James Joyce und den perspektivischen Zeichnungen der Renaissance, beschäftigte. Er war ein Meister der Mustererkennung, ein Mann, der eine Trommel rührte, so groß, dass sie nur alle hundert Jahre gerührt wird.

    1962 etwa erscheint sein Buch über die "Gutenberg Galaxis", in dem er die Staffelmalerei und den Buchdruck für den modernen Individualismus verantwortlich macht. Er ist, das spürt man schnell, ein Verächter moderner, technischer Medien. Könner der Verachtung sind scharfzüngig und analysieren gut.

    Coupland hat kein trockenes Sachbuch über McLuhan geschrieben, sondern seiner Begeisterung für einen Paradiesvogel des akademischen Betriebs empathisch Ausdruck gegeben. Die 200 Seiten lesen sich leicht weg.

    Aus dem Namen Marshall McLuhan etwa macht er schon mal mehrere Seiten lange Anagramme. Rund 170 davon enthalten so schöne Exemplare wie "shaman larch mul" oder "Llama harms Lunch" oder "calm shall ham run". Zitate von Alfred North Whitehead, James Joyce oder Marshall Mc Luhan stehen gelegentlich frei im Text.

    "Vielleicht wurde uns die Welt als eine Art Anti-Umgebung geschenkt um uns Gottes Wort näher zu bringen." (Marshall McLuhan )

    Coupland arbeitet mit den Mitteln des Schriftstellers und geht gern Umwege, weicht vom Weg ab, verstärkt oder vernachlässigt etwas, überrascht. Über zwei Seiten beschreibt er etwa die Fahrtroute McLuhans von der Arbeit nach Hause. Das liest sich wie Befehle eines Computerprogramms. Aus diesem Datengeflecht und der sozialen Skulptur McLuhan ergibt sich das, was wir als Poptheoretiker der neuen Medien kennen.

    "Ich bin nicht unbedingt mit allem einverstanden, was ich sage." (Marshall McLuhan)

    "'Das Medium ist die Botschaft', das ist buchstäblich zu jeder Zeit wahr, egal ob es sich um Sprache, Druck, Telefon oder Fernsehen handelt. Das Druckmedium erzeugt ganz eigene große Umwelten, Dienste und Einstellungen, unabhängig davon, was gedruckt wird. Das habe ich beiläufig auf einer Radiokonferenz 1957 gesagt."

    Freilich knüpften sich Marshall McLuhans Hoffnungen auch an eine vortechnische tribale Stammeskultur der Oralität. Wo nicht-apparativ gesprochen wird, fallen Aktion und Reaktion noch zusammen und die Macht geoffenbarter Worte verliert ihre Wirkung nicht, löst sich nicht von den Körpern. Coupland und McLuhan teilen übrigens eine sehr hohe Lärmempfindlichkeit und Hör-Sensibilität. Coupland legt mit seiner Biografie McLuhan als Künstler frei, lässt ihn als Sprechkunstwerk im alten, tonlosen Medium Buch erklingen.

    "Und wenn er vor seinen Studenten stand oder vor ratlosen AT&T Angestellten oder irgendwelchen LSD Freaks in San Francisco, dann war das immer auch Performancekunst allerhöchsten Kalibers."

    Douglas Coupland: "Marshall McLuhan". Eine Biographie.
    Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner.
    Tropen Verlag/Klett Cotta, Stuttgart 2011. 222 Seiten, 18,95 Euro.