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Medienkritik mit Theo van Gogh

Ein Politikredakteur soll einen Fernseh-Soap-Star interviewen - so beginnt der medienkritische Film "Das Interview" von Theo van Gogh. Mit Birgit Minichmayr und Sebastian Blomberg in den Hauptrollen hat Regisseur Martin Kusej das Stück im Theater Neumarkt in Zürich auf die Bühne gebracht.

Von Christian Gamper |
    Der Regisseur Martin Kusej reduziert dieses Kammerspiel auf das Allernotwendigste. Eine Tür, ein leerer Raum mit Flokati-Teppich. Darin zwei Menschen, die sich in offizieller Mission begegnen: Politikredakteur soll Fernseh-Soap-Star interviewen. Beide haben eigentlich Besseres zu tun - der Reporter ist unvorbereitet, die Schauspielerin unwillig. Er war als Kriegsberichterstatter in Bosnien, sie ist angeblich nur Busenwunder. Sie ist jung, er ist schon in der Midlife-Crisis. Sie fummelt ständig am Handy, er am Aufnahmegerät.

    Mann und Frau in der Sartre-Dramaturgie der geschlossenen Türen, in der unterdrückt aggressiven Stimmung von Edward Albees "Zoogeschichte": Da muss doch was passieren. Der schöne Trick von Theo van Goghs Film besteht darin, dass hier die Widersprüche der Mediengesellschaft wie unterm Mikroskop vorgeführt werden. Das Publikum giert nach sogenannten Home-Storys, also Geschichten, in denen man angeblich das Privateste von Politikern oder Showstars erfährt; und alle wissen, dass man nur Inszeniertes bekommt, dass die Interviewten sich sehr genau überlegen, wie sie sich in der Öffentlichkeit darstellen. Wer tatsächlich Intimes erzählt, wer sich schutzlos macht, hat schon verloren.

    Auf dieser Grenze balancieren der Film und auch das Theaterstück. Dass der Showstar die Maske fallen lässt, etwas von sich preisgibt - das muss Ziel des Reporters sein. Den Journalisten, jenseits seiner Medienmacht, auf ein menschliches Maß zu reduzieren, ihn verletzlich zu sehen, ihn einzubinden, ihn möglicherweise - auch sexuell - zu verführen: Das ist die Strategie der interviewten Karrierefrau, die das Gesetz des Handelns in der Hand behalten will.

    Natürlich wird es einen Punkt geben, an dem die beiden sich nahekommen - und an dem dann auch der Flokati-Teppich zum Einsatz kommen könnte. Das zu verhindern, alles in der Spannung, in der Schwebe zu halten, das gelingt dem diesmal auch psychologisch ungeheuer präzisen Regisseur Martin Kusej vorzüglich, und zwar eindreiviertel Stunden lang. Kusej, der ansonsten das Dunkle und Mystische liebt, ist diesmal ganz hell und klar und entertainend. Freilich hat er auch zwei großartige Schauspieler aus der Ersten Bundesliga an der Hand: Birgit Minichmayr gibt mit sichtlicher Schadenfreude das dreiste, dralle, arrogante TV-Luder mit superkurzem Röckchen und sehr hohen Schaftstiefeln. Sebastian Blomberg ist zunächst ein cooler Regenmanteltyp à la Humphrey Bogart und lässt sich dann erweichen, seine Kriegsnarben zu zeigen und von seinem toten Kind zu erzählen - und noch einiges mehr. Aber Blomberg spielt den erotisch verführbaren Mann, der gleichzeitig investigativ in anderleuts Tagebuch liest, mit einem so sympathischen Looser-Understatement, dass man am Ende eher mit ihm fühlt als mit der strategisch überlegenen TV-Schlampe, die alle Register zieht.

    So probieren die beiden diverse Rollenmuster. Sie sind Vater und Tochter, Freier und Hure, Interviewer und Interviewte. Dass am Ende der Soapstar doch keinen Brustkrebs hat und der Journalist sich als ganz realer Mörder herausstellt, ist eher eine fade Pointe. Wichtiger scheint Theo van Goghs Obsession, den anderen die Maske herunterzureißen, sie kenntlich machen zu wollen - eine Manie, die ihn letztlich in seine Islamdebatten führte und das Leben kostete. Wichtig scheint aber auch sein Wunsch nach Nähe, Authentizität und Ehrlichkeit, der natürlich in den Medien nicht realisierbar ist: Hier sind alle Taktierer und Selbstvermarkter und alle wissen, dass sie Theater spielen. Sogar der Kritiker.