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Medikamentenhandel in der Slowakei
Apothekentourismus führt zu bedrohlichen Engpässen

Seit der Einführung staatlich regulierter Preise sind Medikamente in der Slowakei deutlich billiger als fast überall in Europa. Ein gutes Geschäft für Medikamentenhändler - und nach europäischem Recht völlig legal. Doch in der Slowakei zahlen die Patienten dafür einen hohen Preis.

Von Stefan Heinlein | 05.11.2015
    Ein Arzt hält Tabletten in der Hand.
    Fast 600 unterschiedliche Medikamente wurden im vergangenen Jahr aus der Slowakei ins Ausland exportiert. (imago/STPP)
    Katarina Kafkova macht sich große Sorgen. Die Chefin des slowakischen Patientenverbandes kämpft für die Rechte der Kranken und Hilfsbedürftigen. Doch die Situation hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Viele Medikamente sind in der Slowakei mittlerweile Mangelware:
    "Das ist ein sehr großes Problem seit der Verschärfung der staatlichen Preisregulierung für Medikamente im Jahr 2011. Der akute Mangel kann die Gesundheit und das Leben von Patienten gefährden."
    Medikamente werden zur Mangelware
    Vor allem auf dem Land ist die Suche nach dem verschriebenen Heilmittel oft ein mühsamer Marathonlauf. Ausverkauft, heißt es immer häufiger. Rund 40 meist im Ausland hergestellte Präparate sind mittlerweile in der Slowakei nur schwer erhältlich, so der Präsident der slowakischen Apothekerkammer Ondrej Sukel:
    "Es fehlen nicht nur Medikamente für neurologische oder onkologische Erkrankungen, sondern oft auch die ganz einfachen Präparate. In der Slowakei gibt es über 100 kleine Vertriebsfirmen. Ihr einziger Job ist der Reexport von Medikamenten."
    Vor allem Deutschland und andere wohlhabende westeuropäische Länder sind das Ziel der Medikamentenhändler. Ihr glänzendes Geschäft ist im Rahmen des freien Warenverkehrs innerhalb der EU völlig legal. Ein Verbot des Reexports ist deshalb kaum möglich.
    "In der Slowakei sind Medikamente billiger als fast überall in Europa. Die Medikamente werden oft umgepackt und bekommen neue Beipackzettel. Wenn etwas in der Slowakei 10 Euro kostet und in Deutschland 50 Euro, ist das eine riesige Gewinnspanne und deckt alle Kosten."
    Slowakischen Behörden sind die Hände gebunden
    Die Aussicht auf satte Gewinne fördert zunehmend auch dubiose Geschäftsmethoden. Anders als in Deutschland darf in der Slowakei jeder Unternehmer eine Apotheke eröffnen. Voraussetzung ist lediglich die Anstellung eines Pharmazeuten. Viele der neu eröffneten Apotheken haben deshalb nur einen Zweck, so Kammerpräsident Sukel:
    "Diese Betreiber haben oft keine Ahnung von Medikamenten. Für sie ist es einfach nur eine Ware. Sie gründen eine Apotheke, um leichter an die Medikamente heranzukommen, um sie dann über ihre eigene Vertriebsfirma ins Ausland zu exportieren."
    Dem slowakischen Gesundheitsministerium sind weitgehend die Hände gebunden. Das europäische Recht verhindert ein generelles Verbot des Medikamentenhandels. Um den akuten Mangel zu bekämpfen, müssen die Vertriebsfirmen seit 2013 lediglich jeden geplanten Export der staatlichen Medikamentenkontrolle melden, so die Sprecherin der Behörde Diana Madaraszowa:
    "Unser Institut analysiert täglich die gemeldeten Ausfuhren. Wir vergleichen dann die Daten und verfügen ein Exportverbot wenn klar ist, das dadurch in der Slowakei ein Medikament nicht mehr verfügbar ist."
    Einschränkung des freien Warenverkehrs in der EU gefordert
    Fast 600 unterschiedliche Medikamente wurden im vergangenen Jahr aus der Slowakei ins Ausland exportiert. Lediglich 28 Präparate fielen für kurze Zeit unter das Exportverbot. Doch angesichts der hohen Gewinnspannen lassen sich die Vertriebsfirmen ohnehin nicht von möglichen Geldbußen von ihrem lukrativen Geschäft abbringen, ist die Chefin des Patientenverbandes überzeugt:
    "Die Slowakei hat mit diesem neuen Gesetz zwar auf den akuten Medikamentenmangel reagiert. Das Problem ist nur: Viele Firmen machen einfach weiter und halten sich nicht an die gesetzliche Meldepflicht."
    Die einzige wirksame Lösung sei deshalb eine Einschränkung des freien Warenverkehrs für Medikamente innerhalb der EU. Sollte Brüssel nicht reagieren, würden die Patienten in der Slowakei auch in Zukunft einen hohen Preis zulasten ihrer Gesundheit zahlen.