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Meditation fürs Smartphone
Ommm per App

Innere Ruhe und fernöstliche Konzentrationstechniken, das wollen nicht nur Yoga-Kurse, sondern inzwischen auch viele App-Anbieter vermitteln. Sie versprechen Entspannung am Handy. Aber, taugt das was? Und wer verspricht zu viel? Ein Selbstversuch.

Von Mechthild Klein | 24.10.2018
    Eine Frau berührt mit dem Zeigefinger den Touchscreen ihres Smartphones.
    Meditations-Apps liegen im Trend (imago / Westend61)
    "Herzlich willkommen bei der Montagsmeditation. Hast Du es dir bequem gemacht? Und sitzt mit aufrechtem Rücken bequem und entspannt."
    So begrüßt mich die Meditationsapp eines kleinen Verlags namens "Start2dream". Vor einer Weile habe ich häufiger meditiert, jetzt komme ich kaum dazu. Eine App könnte eine Art Appetizer sein, dachte ich. Also habe ich mir ein paar Apps auf das Smartphone geladen, den Kopfhörer aufgesetzt und die Anleitungen auf dem Kissen ausprobiert.
    "Atme noch einmal tief ein und mit dem Ausatmen lass alle Anspannung aus Deinem Körper entweichen."
    Die Zielgruppe: Meditations-Anfänger
    Es geht ganz schnell, die Apps auf dem Handy zu installieren: einfach den Store öffnen, Suchbegriff "Meditation" oder "geführte Meditation" eingegeben und schon zeigt das Display eine Fülle an Apps für den Download an.
    "Im Folgenden gebe ich Dir hier einige Hinweise, damit Du die Meditationen in dieser App für Dich bestmöglich nutzen kannst und dabei wunderschöne tiefe Erlebnisse hast. Der richtige Tag und die richtige Uhrzeit – jeder Tag ist ein perfekter Tag zum Meditieren…"
    Die Apps sollen Ungeübte zur meditativen Versenkung oder Entspannung anleiten. Die Anbieter wecken hohe Erwartungen. Die Apps richten sich eigentlich nicht an Menschen mit Meditationshintergrund, sondern an Ungeübte, die dringend Entspannung lernen und Stress abbauen wollen. In manchen Apps kann man die Meditationsdauer einstellen – zwischen 5 und 20 Minuten. Ein paar Grundfunktionen sind bei den meisten Apps kostenlos. Wer die Übungen vertiefen will, muss zahlen. Durchschnittlich kostet ein Abo zehn bis 15 Euro im Monat, ein Jahresabo rund 50 Euro. Und für lebenslange Abos verlangen manche Anbieter um die 250 Euro.
    Eine Frau meditiert vor einem Sonnenuntergang.
    Erfahrene Meditierende nutzen Apps häufig nur noch als Gong-Ersatz (imago/stock&people/UIG)
    Wer schon jahrelang meditiert hat, braucht solche Anleitungen nicht. Im Gegenteil: Mich störte mancher allzu billige Synthesizer-Sound im Hintergrund, öfters auch die Stimme. Bei den englischen Apps rätselte ich über den Akzent. Einige Apps fand ich auch suggestiv. Andere hingegen gefielen mir, ganz unspektakuläre von Meditationslehrern. Die meisten Meditierenden, die Unterweisung noch face-to-face gelernt hatten, sagten mir, sie nutzten auf dem Smartphone oft nur einen Timer mit einem Gong, der das Ende der Meditation ankündigt. Damit sparen sie es sich, eine Klangschale mit sich herumzuschleppen.
    "Es wird schnell manipulativ und übergriffig"
    Der App-Verkauf ist ein lukratives Geschäft geworden. Es gibt Apps gegen Burnout, gegen Unglücklichsein und Grübelei. Eine App mit Namen "Cosmiq Energy" aus der Schweiz wirbt beispielsweise damit, für ihre Meditationen und Fantasiereisen die deutsche Synchron-Stimme von Schauspielern einzusetzen. Von Meryl Streep oder Julia Roberts beispielsweise.
    "Hallo! Mein Name ist Cosmiq und ich bin Deine persönliche Co-Pilotin. Suche Dir eine entspannte Position. Ich empfehle Dir, vorerst zu sitzen."
    Ich schwanke: Ist das noch skurril oder schon manipulativ? Der Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen und Religionspsychologe Michael Utsch sieht diese Apps grundsätzlich skeptisch. Sie könnten kein Ersatz für eine echte Meditation sein, sagt er. Die "Cosmiq Energy" hält er für grenzwertig:
    "Dass das Ganze jetzt noch mit seichter Musik unterlegt wird, einer geführten Fantasiereise, finde schwierig und es wird dann schnell manipulativ. Da würde ich mich gegen sträuben, das finde ich übergriffig und auch nicht günstig."
    "Du bist die Atmung"
    "Bitte achte immer darauf, dass Deine beiden Füße den Boden berühren. So bist Du geerdet. Bitte schließe jetzt Deine Augen. Du atmest ein. Du bist die Atmung."
    Diese App "Cosmiq Energy" bietet eine Fülle an geführten Meditationen - sie heißen: "Angst und Stressfrei", "Stopp Burnout" oder auch "Angst- und Panikattacken auflösen". Mit solchen Labels weckt man Hoffnungen, mittels einer Meditationsreise - ohne medizinische Begleitung - psychische Probleme in den Griff zu bekommen.
    Illustration: Ein Mann liegt auf einer Couch und spricht mit einer Therapeutin.
    Wenn Apps Hilfe bei Panikattacken versprechen, wird es problematisch (imago/Ikon Images)
    "Das finde ich äußerst problematisch, weil damit suggeriert wird, dass es eine effektive Behandlungsmethode ist zur Behandlung von Angst und Panik."
    Sagt der klinische Psychologe David Daniel Ebert von der Universität Erlangen. Er forscht über onlinebasiertes Gesundheitsmanagement und medizinische Apps.
    "Natürlich muss man da unterscheiden, dass Ängste etwas sind, was zum Leben dazu gehört. Jeder von uns hat Ängste und es ist sinnvoll, bestimmte Methoden zu erlernen, beispielsweise mit Sorgen oder bestimmten Ängsten, die in täglichen Situationen auftreten, in einem konstruktiven Weg umzugehen. Allerdings haben auch zahlreiche Betroffene, die mit Ängsten Schwierigkeiten haben, tatsächlich erfüllen die Kriterien für, man nennt das Angststörung - die lassen sich nicht ganz so einfach behandeln."
    Esoterisches Quantenjumping
    Der Psychologe David Daniel Ebert räumt zwar ein, dass bestimmte meditative Techniken sich als hilfreiches Element erwiesen hätten, aber dann seien sie eingebettet in eine umfangreiche therapeutische Behandlung mit Feedback. Krankheiten nur mit einer App zu händeln, würde falsche Hoffnung wecken, sei sogar gefährlich, sagt Ebert. Weil die Erkrankten es dadurch versäumen könnten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
    Zu kritisieren sei auch, dass solche App-Anbieter immer weitere Übungen anböten, um die Kunden an sich zu binden. Das sei kontraproduktiv, denn wirksam sei eine Übung erst, wenn sie über einen längeren Zeitraum wiederholt werde. Außerdem gäbe es keine Qualitätskontrolle für Apps. Die "Cosmiq Energy" App preist beispielsweise Methoden an, die es in der evidenzbasierten anerkannten Medizin gar nicht gibt, sie berufen sich zum Beispiel auf die Quantenheilung und auf Quantenjumping:
    "Mental Journeys sind ein Transformations-Tool der Tiefenentspannung, der Selbsthypnose und der Selbstsuggestion. Zusammengefasst: eine neuartige geführte Meditations-Technik. Es werden verschiedene Methoden aus der Quantenheilung, Techniken aus dem Quantenjumping, brandneue Mental Techniken aus den Neurowissenschaften und der Hirnforschung verwendet. Aber keine Sorge: Du bist und bleibst der 'Meister deiner Sinne'! Du bist es, der jederzeit darüber entscheidet, was Dir guttut und was nicht."
    Esoterik als Helfer in der Medizin? David Daniel Ebert sagt:
    "Eine Schwierigkeit ist, dass dieser Bereich momentan sehr unreguliert ist, da kann jeder alle möglichen Versprechungen machen und für Nutzer ist es extrem schwierig, Unterscheidungen zu treffen, wo handelt es sich um ein gutes Programm und wo werden irgendwelche Allheilsversprechen gemacht. Das ist ein Bereich, da investiert man nicht nur Geld, man investiert viel Zeit und auch viel Hoffnung. Und im schlimmsten Fall geht es einem hinterher schlechter als vorher."
    Hypnose als "Angebot auf Augenhöhe"
    Der Schweizer Hersteller der App "Cosmiq Energy" sagt in einer Stellungnahme (auf Anfrage), dass die Übungen kein Ersatz "für eine therapeutische Behandlung oder eine ärztliche Betreuung" bei psychischen oder psychiatrischen Problemen oder Erkrankungen sei. Ein entsprechender Hinweis sei auch in den FAQ der App enthalten. Er schreibt:
    "Die täglichen Mental Journeys sind ergänzend zur Entspannung und auch als Empowerment zur emotionalen Selbsthilfe gedacht."
    Dass Teile der App manipulativ oder suggestiv wirkten, wies der Hersteller der App indes zurück. Hypnose verstehe er "als ein Angebot auf Augenhöhe". Nicht die jeweilige Meditationsreise manipuliere oder suggeriere, sondern die Zuhörerinnen und Zuhörer ließen sich auf das Angebot ein oder eben nicht.
    Auf eine Kritik, ging der Hersteller nicht ausdrücklich ein: dass er sich auf Therapien berufe, die in der evidenzbasierten Medizin nicht anerkannt seien, wie zum Beispiel die sogenannte Quantenheilung. Stattdessen bezieht sich der App-Hersteller nun auf die Ergebnisse eines klinischen Hypnoseforschers.
    Die Fülle der Angebote diene so auch nicht der Kundenbindung, sondern solle "unterschiedlichsten Präferenzen" der Anwender gerecht werden. Der Kritik an einer mangelnden Vertiefung der Übungen wolle der Anbieter in einer Neuauflage der App in den nächsten Wochen nachkommen. Dann wolle der App-Anbieter auch Titel von Übungen überarbeiten - darunter auch die Anwendung "Angst und Panikattacken auflösen".
    "Unangenehme Gefühle sind wichtig"
    Soweit zur Stellungnahme des App-Anbieters "Cosmiq Energy". Besserung oder innere Abenteuer versprechen indes viele Apps, der Übergang zur Esoterik ist dabei fließend. Michael Utsch sagt:
    "Ich finde es schwierig, wenn eine gewisse Wellness-Spiritualität durch diese Apps transportiert wird. Im Hintergrund steht ja oft das Versprechen von Glück, von Zufriedenheit, von Ausgeglichenheit, von Sinnhaftigkeit. Dabei wird aber auch das Tragische, das Absurde und manchmal auch das Rätselhafte der menschlichen Existenz einfach ausgeblendet. Das will man einfach weghaben. Das soll sozusagen auch wegmeditiert werden. Dabei sind auch gerade unangenehme Gefühle wie Ärger oder Wut oder Angst ja ganz wichtig. Sie weisen mich ja darauf hin, da muss was gemacht werden. Ich muss mich diesen negativen Gefühlen stellen und sie verarbeiten, sie anschauen, mit ihnen umgehen, aber nicht vor ihnen weglaufen. Das fordert ein gewisses Maß an Auseinandersetzung. Aber durch Meditieren kann ich da nicht drüberbügeln, das ist nicht die angemessene Art und Weise der Verarbeitung."
    Michael Utsch auf einem Pressebild der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
    Michael Utsch sieht die Meditations-Apps kritisch (EZW )
    Nicht jeder Anbieter von Meditationsapps tritt generell als Helfer bei emotionalen oder psychischen Problemen auf. Inzwischen bieten auch viele hauptberufliche Meditationslehrer Übungen über eine App an. Sinnsucher können so recht unverbindlich erste Kontakte mit Meditation machen.
    Nach meinen Erfahrungen bleiben die meisten User nicht dauerhaft im Digitalen, sondern suchen dann doch die Stille im Analogen. Denn nur angeleitet durch eine App bei einer Meditation zu bleiben ist ziemlich anstrengend.