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Meditative Musik und a-capella-Kultur

Punica granatum, das ist die lateinische Bezeichnung für den Granatapfel. Barkeeper lieben ihn als Grenadinebasis für Cocktails, orientalische Teppichknüpfer schätzen ihn als Farbstoff für ihre Wolle, Hausfrauen fürchten ihn als hartnäckigen Fleckenmacher auf weißer Wäsche. Vor gut 2000 Jahren aber, im Römischen Reich, da galt der Granatapfel als Fruchtbarkeitssymbol, und genau darauf spielt das Coverbild der CD an, um die es hier geht: Denn darauf zu sehen ist ein Granatapfel - als Symbol für "Das Hohelied der Liebe".

Von Falk Häfner | 28.05.2007
    Vertonungen dieses Textes aus dem Alten Testament haben sich die Mitstreiter des a capella Ensembles "Singer Pur" für ihre jüngste CD vorgenommen. Diese Platte möchte ich Ihnen heute vorstellen. Am Mikrofon begrüßt Sie dazu Falk Häfner.

    Musikbeispiel: Leonhard Lechner, Surge, propera amica mea

    "Surge, propera amica mea”, eine Hoheliedvertonung von Leonhard Lechner, einem Schüler von Orlando di Lasso, gesungen von Singer Pur.

    Das Hohelied der Liebe ist eine Liedersammlung, die sich in der Bibel im Alten Testament, genauer gesagt unter den Büchern der Weisheitsliteratur, findet.

    Der Titel "Hohelied" geht auf Martin Luther zurück. Im Hebräischen wird der Text "Shir ha shirim" genannt, was soviel wie "Lied der Lieder" bedeutet.

    Zugeschrieben wird das Hohelied der Liebe König Salomo. Jüngere Forschungen allerdings besagen, dass der Zyklus in seiner heutigen Gestalt etwa 500 vor Cristus entstanden ist und damit nicht auf Salomo zurückgehen kann, da dieser bereits um 980 vor Christus lebte. Geschildert wird eine Liebesgeschichte zwischen einem Mann und einer Frau. Außerdem tritt ein kommentierender Chor auf. Der jüdische Glaube sieht in den Wechselgesängen die Beziehung Gottes zu seinem auserwählten Volk. Die christliche Exegese deutet das Geschehen zwischen den Liebenden als die Vereinigung des Bräutigams Jesus Christus mit seiner Braut, der Kirche. Danach wird hier die Seele geschildert, die Gott sucht, aber eben auch Gott, der auf der Suche nach der menschlichen Seele ist.

    ZITAT MANN: "Schön bist Du, meine Freundin, ja, Du bist schön. Zwei Tauben sind Deine Augen."

    ZITAT FRAU: "Schön bist Du, mein Geliebter, verlockend. Frisches Grün ist unser Lager; Zedern sind die Balken unseres Hauses, Zypressen die Wände."


    Worte voller Liebessehnsucht, Verlangen, Liebkosungen und emphatischer Steigerungen - und natürlich eine erotische Schilderung! - Dementsprechend umstritten ist die Deutung des Hoheliedes immer gewesen. (Zwischenzeitlich war es Männern unter 30 Jahren sogar verboten, darin zu lesen!)

    Dass die Dichter der Klassik und Romantik es in erster Linie als Liebeslyrik verstanden, ist angesichts der deutlichen Worte verständlich. Von Goethe selbst stammt nicht nur eine Übertragung des Hoheliedes, sondern auch der Ausspruch, das Hohelied sei "das Zarteste und Unnachahmlichste, was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmutiger Liebe zugekommen".

    Kein Wunder, dass es auch zu allen Zeiten immer wieder Vertonungen des Canticum canticorum gegeben hat. Das Vokalensemble Singer Pur hat einige von ihnen zusammengestellt und beginnt mit frühen Weisen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts von Guillaume Dufay und John Plummer. War ersterer wohl einer der wichtigsten Musiker seiner Zeit auf dem europäischen Festland, so gehört Plummer zu den wichtigen englischen Vertretern. Sein Stil ist weit lieblicher und figurativer als der Dufays. Besonders schön in "Tota pulchra es" ist die allmähliche Steigerung und Verdichtung des Satzes, die Singer Pur äußerst anmutig gelingt.

    Musikbeispiel: John Plummer, Tota pulchra es

    Singer Pur mit "Tota pulchra es" von John Plummer.

    Ähnlich wie beim Ensemble "Amarcord", das aus ehemaligen Thomanern besteht, haben auch 5 Jungs der Regensburger Domspatzen nach ihrer Chorzeit beschlossen, gemeinsam weiterzusingen. Dass dazu noch eine Frau kam, war Zufall, sagen die Sänger. Doch genau diese Mischung der Männerstimmen mit der von Claudia Reinhardt macht den besonderen Klang von Singer Pur aus: über der quantitativ vorherrschenden Mittellage der Herren schimmert ihr Sopran. Das allerdings, ohne die Homogenität der Gruppe zu stören oder gar darüber hinwegzustrahlen.

    Singer Pur hat in der Vergangenheit immer wieder mit Komponisten zusammen gearbeitet, die speziell für diese Besetzung komponiert oder Arrangements geschrieben haben. Das ist auch auf dem neuen Album wieder so. Der österreichische Komponist Wilhelm Keller hat für Singerpur komponiert. Und auch die amerikanische Komponistin Joanne Metcalf hat das Hohelied für Singer Pur vertont. Sie trennt in ihrer Komposition ganz bewusst die Frauenstimme und die 5 Männerstimmen. Während die Herren lange Melismen singen, erhebt sich darüber der Sopran von Claudia Reinhard mit einer frei klingenden Arabeske. Manche harmonische Reibungen entstehen in diesem feingewebten sechsstimmigen Geflecht, werden aber sofort wieder tonal "neutralisiert" und ergeben so einen bittersüßen, eigentümlich zwischen Tradition und Moderne changierenden Gesang.

    Musikbeispiel: Joanne Metcalf, Ego dilecto meo

    Singer Pur mit "Ego dilecto meo” von Joanne Metcalf.


    Auch eine Komposition von Ivan Moody ist auf der neuen CD "Das Hohelied der Liebe" vertreten: Der Zyklus "Canticum canticorum II". Schon vor 10 Jahren war im Auftrag des Hilliard Ensembles eine ähnlicher Zyklus entstanden. Doch während das erste Werk in lateinischer Sprache gehalten ist, entschied sich Moody bei seiner neuen Komposition für die englische Sprache. Aber auch musikalisch ist "Canticum canticorum II" in seinem Streben nach ausgewogenem Wohlklang und mit seiner aristokratischer Erhabenheit, seinem hymnischen Gestus und seinen minimalistisch wirkenden Einsprengseln ein überaus britisches Werk: Abwechselnd können sich die Sänger hier solistisch und im Verband präsentieren.

    Musikbeispiel: Ivan Moody, Canticum Canticorum II (Ausschnitt)

    Das Vokalensemble Singerpur mit einem Ausschnitt aus "Canticum Cantoricum II" von Ivan Moody.

    Etwa 800 Jahre liegen zwischen dem ältesten und dem jüngsten Stück auf dieser CD. Erstaunlich, dass diese Zusammenstellung dennoch wie aus einem Guss wirkt, auch wenn die einzelnen kompositorischen Ansätze unterschiedlich sind. "Vertonungen durch die Jahrhunderte", dieser Untertitel der CD ist jedoch nicht ganz berechtigt, denn zwischen den Werken des Mittelalters bzw. der Renaissance und den zeitgenössischen Kompositionen bleiben die Hohelied-Vertonungen des Barock, der Klassik und der Romantik unberücksichtigt. Doch gerade mit Werken aus diesen Epochen hätte sich beim Hören ein gewisser monotoner Gesamteindruck abschwächen lassen. Doch bleibt das der einzige Wermutstropfen bei dieser Produktion, der der Klangschönheit des Albums aus dem Hause Oehms classics keinen Abbruch tut: Das "Hohelied der Liebe" von Singer Pur, das ist meditative Musik und a capella-Kultur auf höchstem Niveau! - Meint Falk Häfner, der sich damit verabschiedet.

    Titel: "Das Hohelied der Liebe"
    Ausführende: Vokal-Ensemble "Singer Pur"
    Label: Oehms classics, LC 12424
    Bestell-Nr.: OC 803