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Medizin
Die Gene der Isländer

Im Winter 1998/99 wollte ein Unternehmen namens Decode Genetics das Erbgut aller 300.000 Isländer erfassen, um nach der Bedeutung einzelner Gene zu suchen. Ein Gericht stoppte damals das Unterfangen. Nun meldet sich Decode zurück und präsentiert gleich mehrere Gene, die das Risiko für bestimmte Krankheiten erhöhen.

Von Michael Lange | 26.03.2015
    Foto eines Modells des menschlichen DNA-Stranges mit der doppelten Helix-Struktur
    Decode Genetics hat mittlerweile über 2.600 menschliche Genome vollständig sequenziert – Buchstabe für Buchstabe. (dpa / picture alliance / Matthew Fearn)
    Die Isländer sind genetisch extrem einheitlich. Jahrhundertelang lebten sie allein auf ihrer Insel - ohne Zuwanderung von außen. Fast jeder dort kennt seine Vorfahren über mehrere Generationen, und das Gesundheitssystem ist auf dem neuesten Stand - und alles wird akribisch dokumentiert. Wer die Bedeutung einzelner Gene verstehen will, findet deshalb in Island ideale Bedingungen vor. Das weiß Kari Stefansson, der Chef des isländischen Biotechnologie-Unternehmens Decode Genetics. Und er nennt noch einen Grund für seinen Optimismus bei der Suche nach Genen, die die Gesundheit beeinflussen können.
    "Wir sind die besten, und deshalb entdecken wir diese Dinge. Ist das klar?"
    An Selbstbewusstsein hat es dem Zweimetermann aus Island noch nie gemangelt. Das brauchte er auch, denn wirtschaftlich brachten die letzten 15 Jahre seiner Firma ein ständiges Auf und Ab.* Die Forschung lief unterdessen weiter und trägt jetzt Früchte. Decode Genetics hat mittlerweile über 2.600 menschliche Genome vollständig sequenziert - Buchstabe für Buchstabe. Und nun präsentiert das Unternehmen gleich mehrere Gene, die das Risiko für bestimmte Krankheiten erhöhen. Das wichtigste ist ein Gen, das die Wahrscheinlichkeit, an Alzheimer zu erkranken verdoppelt. Überraschender jedoch ist ein anderes Ergebnis:
    "Etwa acht Prozent der Bevölkerung haben eine genetische Funktionsstörung. Das bedeutet: Im Erbgut dieser Personen sind beide Versionen eines Gens defekt. Normalerweise übernimmt ein zweites Gen die Funktion, wenn eines nicht funktioniert. Sind jedoch beide defekt, kann das zu schweren Erbkrankheiten führen, muss es aber nicht. Indem wir nun die betroffenen Menschen kennen und untersuchen, lernen wir die Funktion der Gene kennen, die bei ihnen gestört sind."
    Gezielte Vorbeugung bei Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes
    Seit 16 Jahren untersucht Decode Genetics die Funktion einzelner Gene. Aber das Interesse der Pharmafirmen an diesem Wissen blieb gering. Die Konzerne mussten feststellen: Wer ein mutmaßlich krankmachendes Gen kennt, hat lange noch kein Mittel gefunden, um es gezielt zu beeinflussen und die Krankheit zu heilen. Die Medikamentenentwicklung wird dadurch nicht unbedingt einfacher. Deshalb will Kari Stefansson das isländische Gesundheitssystem oder die Patienten selbst zu seinen Kunden machen.
    "Wir sind in Island schon jetzt in der Lage das umzusetzen, was US-Präsident Obama mit seiner Medizin-Initiative in den USA langfristig erreichen will. Denn wir haben das dazu nötige Wissen bereits."
    In der Obama-Initiative geht es insbesondere um gezielte Vorbeugung - bei Volkskrankheiten wie Krebs oder Diabetes. Und in diesem Bereich könnte Island zum Vorreiter werden, verspricht Kari Stefansson. Dazu müssten die Genomdaten der über 100.000 Isländer, die bei Decode Genetics gespeichert sind, freigegeben werden. Um die persönlichen genetischen Informationen anzuwenden, müssten Patienten und Ärzte direkt auf sie zugreifen können. Bisher dürfen die genetischen Daten aber ausschließlich Forschungszwecken dienen. Kari Stefansson zufolge darf das nicht so bleiben.
    "Es wäre geradezu kriminell, die genetischen Informationen nicht zu nutzen. Ich bin überzeugt, dass meine Landsleute schon bald damit beginnen. Wir verwirklichen dann eine Medizin, wie es sie noch nie gegeben hat."
    Kari Stefansson und seiner Firma Decode Genetics kämen dabei eine Schlüsselrolle zu - als Verwalter der Erbgut-Informationen. Auch finanziell wäre eine solche Aufgabe für das Unternehmen sicher von Nutzen.
    *Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Fassung hieß es an dieser Stelle im Beitrag:
    "Nach einem Konkurs 2009 gehörte Decode Genetics zunächst dem US-Konzern Amgen und inzwischen einem chinesischen Unternehmen namens WuXi PharmaTech."
    Das ist jedoch nicht korrekt. Decode Genetics gehört weiterhin zum US-Konzern Amgen.