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Genome im Internet - Risiko oder Chance?

Genetische Daten, die für Studien erhoben wurden, stehen mittlerweile tausendfach und nahezu frei zugänglich im Internet. Daraus lassen sich immer mehr Informationen gewinnen - zum Beispiel über Krankheitsrisiken. Aber: Wem gehören eigentlich diese Daten? Darüber wird auf einer Konferenz in Kopenhagen diskutiert.

Von Michael Stang | 24.06.2014
    Einem Mann wird eine Speichelprobe mit einem Wattestäbchen entnommen.
    Personenbezogene genetische Daten werden nicht nur bei medizinischen Studien erhoben. Zunehmend lassen auch Privatpersonen bei Firmen Krankheitsrisiken per Speicheltest bestimmen. (picture alliance / dpa - Peter Kneffel)
    Bei dem Streit, wem eigentlich die genetischen Daten gehören, die für Studien erhoben wurden, gebe es bislang keine klare Lösung, so Jane Kaye.
    "Das ist sehr schwierig zu beantworten. Intuitiv würde jeder sagen, dass etwa Gewebeproben und Daten einem selbst gehören. In der Realität unterscheidet die Gesetzgebung hier aber und bewertet das je nach Gerichtsstand höchst unterschiedlich."
    Die Juristin leitet das Institut für Gesundheit, Gesetz und aufkommende Technologien an der Oxford University in England. Ob nun Wissenschaftlern die Daten gehören, die sie erhoben haben oder doch den Studienteilnehmern oder beiden, sei eine ungeklärte Streitfrage, die schon sehr alt ist.
    1951 hatte ein US-Gynäkologe seiner Patientin Henrietta Lacks einige Tumorzellen zur Untersuchung entfernt. Die Patientin verstarb acht Monate später an ihrer Erkrankung. Die Zellen überlebten sie aber und wurden für zahlreiche Forschungsprojekte eingesetzt, ohne dass es eine rechtliche Regelung existierte. Erst 2013 wurde in den USA ein Verfahren präsentiert, dass die Weitergabe und Nutzung der Genomdaten durch ein Gremium kontrolliert, in dem auch die Nachkommen von Henrietta Lacks repräsentiert sind. In Europa gibt es solche Regelungen kaum.
    Modell der "dynamischen Zustimmung" als Ausweg
    Das sei ein graues Feld, so Jane Kaye. Dabei sei der Klärungsbedarf solcher Streitfragen groß wie nie. Denn heute werden bei medizinischen Studien riesige Datenmengen erhoben und anschließend online zugänglich gemacht. Auch eine andere Streitfrage ist ungeklärt. Wenn ein Proband an einer Studie teilnimmt, kann er seine Bereitschaft zwar zurückziehen, dass seine Daten genutzt werden, aber eine teilweise Zustimmung ist nicht möglich. Probanden, deren Ergebnisse in mehrere Projekte fließen, haben bisher keine Wahlmöglichkeit. Das soll sich ändern.
    "Wir haben etwas entwickelt, was wir dynamische Zustimmung nennen. Studienteilenehmer können damit online jederzeit entscheiden, ob sie an einer Studie teilnehmen wollen oder nicht und diese Meinung auch wieder ändern. Das ist also eine Art interaktives Interface, wo Probanden flexibel zustimmen oder ablehnen können."
    Und was mit Forschungsprojekten passiert, denen die Probanden abspringen, sei auch nicht geklärt. Klar sei aber, dass dem Schutz der Privatsphäre juristisch mehr Bedeutung zugemessen werden muss.
    Personenbezoge genetische Daten werden aber nicht nur bei medizinischen Studien erhoben. Zunehmend lassen auch Privatpersonen bei Firmen Krankheitsrisiken oder die geografische Herkunft der Vorfahren per Speicheltest bestimmen. Diese Firmen horten immense Datenmengen. Was tatsächlich aus diesen Daten gelesen werden und vielleicht missbraucht werden kann, sei aber nicht das, was Science-Fiction-Filme oder die Öffentlichkeit mitunter behaupten, sagt der britische Biologe Ewan Birney vom Europäischen Bioinformatik-Institut in Hinxton.
    "Es gibt ein paar Sicherheitsrisiken, die Menschen den Genetikdaten zuschreiben, die aber heute noch nicht vorhanden sind. Persönliche Gesundheitsdaten von der Krankenversicherung etwa verraten wesentlich mehr als die genetischen Daten. Es gibt viele Dinge, etwa das Körpergewicht, die nicht in Genen stehen, sondern abhängig vom Lebenswandel sind."
    Von daher sei ein Großteil Panikmache, denn Einblicke in den Facebook-Account oder die Kreditkartenabrechnung verraten wesentlich mehr Details über eine Person als Teile des Genoms. Das bedeute nicht, dass man sich keine Gedanken über einen möglichen Missbrauch machen sollte, jedoch sei der Großteil der Bevölkerung nur unzureichend aufgeklärt. Eine rigorose Ablehnung dieser Techniken sei nicht der richtige Weg, schließlich hätten riesige Genomdaten geholfen, einige Frühtests für Krankheiten zu entwickeln, die – rechtzeitig erkannt – heilbar sind. Einen Vorschlag, wie sich diese Wissenslücken schließen lassen könnten, hat Ewan Birney auch schon.
    "Ein Weg, wie sich Menschen damit verfassen könnten, wäre über Telenovelas wie East Enders oder Lindenstraße. Das hat das Potenzial für dramatische Drehbücher über ungeklärte Vaterschaften oder ähnliches. Damit könnten wir den Menschen viel erklären, aber nicht im Sinne eines Belehrens, sondern im Sinne einer Aufklärung, also dass wir die Chancen, Risiken und Konsequenzen dieser Technik beleuchten."
    Ob die derart beleuchteten Vor- und Nachteile der Genomik in Soap-Operas tatsächlich für Aufklärung sorgen, bleibt abzuwarten, unterhaltsam wären sie aber sicherlich, so Ewan Birney.