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Medizin in Entwicklungsländern
Themenwoche: Afrikas vergessene Krankheiten

17 Krankheiten führt die Weltgesundheitsorganisation WHO auf der Liste "Vernachlässigte Tropenkrankheiten". Sie reicht von Chagas bis Kala Azar, von der Schlafkrankheit bis zur Flussblindheit. Alle sind Infektionskrankheiten, und ihre Erreger kommen nur in den Tropen vor. Entscheidend ist aber weniger das Klima als vielmehr der Entwicklungsstatus des Landes. "Wissenschaft im Brennpunkt" und "Forschung aktuell" befassen sich vom 3. bis zum 10. August mit diesen "vergessenen" Krankheiten Afrikas.

Von Franziska Badenschier | 03.08.2014
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    Deutschlandfunk-Autorin Franziska Badenschier in Kibera, einem Slum der kenianischen Hauptstadt Nairobi. (Franziska Badenschier)
    Wilson Kipkorir sitzt auf einem Plastikstuhl vor einem kleinen Haus irgendwo im Norden Kenias. Er ist gesund. Wieder. Denn er hatte Viszerale Leishmaniose, eine Tropenkrankheit, an der fast jeder stirbt, der Symptome wie eine vergrößerte Milz entwickelt und nicht behandelt wird. Aber der junge Mann hatte Glück – weil in dem nächstgelegenen Dorfkrankenhaus eine neue Therapie zur Verfügung stand. Zu verdanken hatte Wilson Kipkorir das der Non-Profit-Organisation "Drugs for Neglected Diseases initiative", die neue Medikamente gegen vernachlässigte Krankheiten entwickelt.
    Afrikas vergessene Krankheiten from Deutschlandfunk ForschungAktuell on Vimeo
    In Entwicklungsländern ist der nächste Arzt, das nächste Krankenhaus mitunter weit entfernt, eine gute Kühlkette für bestimmte Medikamente nicht immer möglich und arme Menschen können Medikamente oft nicht bezahlen. Da ist es für die Pharmaindustrie nicht lukrativ, bekannte Medikamente weiterzuentwickeln oder gar neue Wirkstoffe zu suchen. Stattdessen tun dies Menschen und Organisationen, die sich auf neue Wege einlassen – mit Produktentwicklungspartnerschaften und gerechteren Patentierungsmodellen zum Beispiel.

    Es sind aber nicht nur Infektionskrankheiten, an denen die Menschen in den ärmeren Ländern leiden. Auch psychiatrische Probleme machen ihnen zu schaffen – oder etwas Mysteriöses wie das Kopfnick-Syndrom im Norden Ugandas, dessen Ursache noch nicht annähernd geklärt ist. Diese medizinischen Probleme sind dermaßen vernachlässigt, dass sie nicht einmal auf der WHO-Liste auftauchen: Sie sind also gewissermaßen doppelt vernachlässigt.

    Reporterin reiste sechs Wochen durch Afrika

    "Wissenschaft im Brennpunkt" und "Forschung aktuell" befassen sich Anfang August in Reportagen und Features mit „Afrikas vergessenen Krankheiten". Die Wissenschaftsjournalistin Franziska Badenschier war dafür sechs Wochen lang in Afrika unterwegs, unterstützt mit einem Stipendium des European Journalism Centre.
    Es geht nach Kibera, in den größten Slum der kenianischen Hauptstadt, zu einem Hotspot für Typhus. Es geht in den Hinterhof von Kenias Nationalem Referenzlabor für Tuberkulose, denn nur hier, unter freiem Himmel, kann ein Mann mit einer multiresistenten Tuberkulose seinen Mundschutz abnehmen und über sein Leben mit Antibiotika-Resistenzen erzählen. Es geht zu einer Teufelsaustreibung in einer Kirche in Madagaskar sowie in das einzige psychiatrische Krankenhaus dieses Landes, das immerhin größer ist als Frankreich.
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    Kibera, der größte Slum Nairobis: Waschstelle direkt neben einem öffentlichen Toilettenhaus - ein Hotspot für Typhus (Franziska Badenschier)
    Und es geht zu einer Familie im Norden von Uganda. Fünf der 24 Kindern haben das Kopfnick-Syndrom. Dieses Leiden ist vor ein paar Jahren im Süden des heutigen Südsudan aufgetaucht und auf der anderen Seite der Landesgrenze, im Norden Ugandas, dort, wo lange Bürgerkrieg herrschte. Mehrere Male am Tag plagen die betroffenen Kinder Nick-Attacken: Bis zu zwanzigmal in der Minute fällt der Kopf nach vorne und wird wieder angehoben. Wissenschaftler aus aller Welt haben versucht herauszufinden, was hinter dem Nicken steckt – bis heute ohne Erfolg. Und so halten sich Gerüchte bis hin zu Verschwörungstheorien.

    Sendetermine

    Sonntag, 3. August, 16:30 Uhr: Heilung für alle
    An Chagas, Kala Azar und Co. leiden weltweit eine Milliarde Menschen. Medikamente wurden meist vor langer Zeit entwickelt, oft für andere Erkrankungen. Sie haben Nebenwirkungen oder brauchen eine Kühlkette. Neue, eigens entwickelte Wirkstoffe könnten sich die Betroffenen nicht leisten, heißt es. Und so investiert die Pharma-Industrie lieber in Zivilisationskrankheiten und in Lifestyle-Mittel. Dabei könne man der Pharma-Industrie nur bedingt einen Vorwurf machen, sondern eher dem Patentrechte-System, sagt "Ärzte ohne Grenzen".
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    Wilson Kipkorir aus Kimalel/Kimorok. (Franziska Badenschier)
    Montag, 4. August, 16:35 Uhr: Typhus: Die Slum-Krankheit
    Typhus wird von Salmonellen hervorgerufen – aber nicht von jener Salmonellen-Art, die eine herkömmliche Lebensmittelvergiftung auslösen kann. Die Bakterien werden über verunreinigte Lebensmittel und Wasser übertragen. Deswegen sind vor allem Menschen in Entwicklungsländern betroffen, und zwar in Gebieten, wo Wasser mit Fäkalien verschmutzt wird und das dann zum Waschen oder gar zum Kochen genutzt wird. Eigentlich gibt es Impfungen, um Typhus vorzubeugen, aber in Entwicklungsländern werden diese nicht flächendeckend genutzt.
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    Fußweg in Kibera (Franziska Badenschier)
    Dienstag, 5. August, 16:35 Uhr: Epilepsie: Zu viele Schweinebandwürmer, zu wenig Neurologen
    Die einen haben schlimme Krampfanfälle. Die anderen sind "nur" für einen Moment abwesend und zucken auch nicht: Ein epileptischer Anfall kann ganz unterschiedlich aussehen. In Deutschland lässt sich eine Epilepsie recht einfach diagnostizieren und auch gut behandeln, so dass die Betroffenen ein relativ normales Leben führen können. Anders in Entwicklungsländern. Das Fachgebiet Neurologie ist dort kaum verbreitet. Außerdem gibt es dort eine Ursache für Epilepsie, die in Deutschland nur in Einzelfällen vorkommt: der Schweinebandwurm.
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    Richard (rechts), Epileptiker, und sein Onkel Evarist. (Franziska Badenschier)
    Mittwoch, 6. August, 16:35 Uhr: Antibiotika-Resistenzen: Eine Gefahr, nicht nur für Tuberkulose-Kranke
    "Post-antibiotische Ära" – ein kompliziertes Wort für eine noch kompliziertere Gefahr: Es geht um das Zeitalter nach den Antibiotika. Und dieses Zeitalter bricht nicht etwa in ferner Zukunft an, sondern gerade jetzt. Experten prophezeien das seit Jahren, in diesem Frühjahr hat die Weltgesundheitsorganisation Alarm geschlagen – mit einem so umfassenden wie erschreckenden Bericht veröffentlicht. Bericht über einen Patienten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, dem kein Mittel mehr helfen will.
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    O'tenge, ein Tuberkulose-Patient mit multiresistenter Antibiotika-Resistenz. (Franziska Badenschier)
    Do., 07. August, 16:35: Psychiatrie: Ein Land, eine Anstalt – und viele Teufelsaustreibungen
    Das Thema Psychiatrie ist ebenso vernachlässigt wie die 17 Infektionskrankheiten auf der WHO-Liste der vernachlässigten Erkrankungen. Dabei gibt es sie durchaus – Krankheiten eben, die die geistige Gesundheit stören. Doch Einheimischen wissen kaum etwas und Außenstehende sehen bekannte Krankheiten wie Malaria als wichtiger an. Wie psychisch Kranke also behandelt werden, das hat sich unsere Autorin Franziska Badenschier in Madagaskar angesehen – bei einer Teufelsaustreibung und im einzigen psychiatrischen Krankenhaus von ganz Madagaskar.
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    José, Patient im einzigen psychiatrischen Krankenhaus von Madagaskar (Franziska Badenschier)
    Fr., 08. August , 16:35: Kopfnick-Syndrom: Das mysteriöse Leiden
    Das Kind fängt an zu nicken, bekommt einen Krampfanfall, ist wie weggetreten: So oder ähnlich ergeht es Hunderten Kindern im Grenzgebiet zwischen Uganda und dem heutigen Südsudan – sie leiden am Kopfnick-Syndrom. Die Ärzte sind ratlos: Die Weltgesundheitsorganisation war da, ein Aufklärungsteam der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde war da, Forscher aus Uganda und Deutschland waren da – und immer noch ist unklar, was hinter dem mysteriösen Nicken steckt.
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    Kind mit Kopfnick-Syndrom. (Franziska Badenschier)
    So., 10. August 16:30: Ein fremder Herr in ihren Köpfen
    Noch immer ist unklar, was hinter dem mysteriösen Kopfnick-Syndrom steckt. Am wahrscheinlichsten ist, dass die Nick-Attacke eine Art epileptischer Anfall ist. Dafür spricht zum Beispiel, dass Standard-Medikamente gegen Epilepsie in einigen Fällen helfen. Eine US-amerikanische Nichtregierungsorganisation hat in der Region, aus der der Rebellenführer Joseph Kony stammt, ein Zentrum für Kopfnick-Kinder aufgebaut. Nach anderthalb Jahren geht es vielen Kindern in dem Zentrum besser. Doch in den umliegenden Dörfern ist das Leid nach wie vor groß: Viele Kopfnick-Kinder hören auf zu wachsen, bleiben geistig zurück, liegen schließlich nur noch apathisch in einer Lehmhütte.
    Ein Foto des Kinderhilfswerks UNICEF zeigt drei Kinder in der südsudanesischen Stadt Mingkaman, während sie erschöpft darauf warten, als Hilfesuchende registriert zu werden.
    Im Krisengebiet Südsudan/Uganda kommt zum Bürgerkrieg, vor dem diese Kinder geflüchtet sind, noch eine rätselhafte Krankheit: das Kopfnick-Syndrom. (dpa picture alliance / Kate Holt/ Unicef Handout)