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Medizin
Körperteile aus der Retorte

Passgenaue Organe im Labor erschaffen und dann in den Menschen implantieren - die aktuelle Ausgabe des Fachmagazins "The Lancet" stellt dazu zwei neue Ansätze vor. Forscher aus den USA und Mexiko haben eine künstliche Vagina geschaffen, Forscher aus der Schweiz präsentieren maßgeschneiderte Nasenflügel.

Von Marieke Degen | 23.04.2014
    Eine Restauratorin hält eine Nasenkuppe aus Polyester an die Nase einer Büste
    Es mag nach Science-Fiction klingen, aber die Aufzucht von Organen für die Transplantation wird zunehmend Realität. (picture alliance / dpa / Swen Pförtner)
    Die vier Mädchen waren zwischen 13 und 18 Jahre alt, und sie teilten das gleiche Schicksal. Sie litten am sogenannten Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom.
    "Patientinnen mit dem Mayer-Rokitansky-Syndrom werden ohne Scheide geboren, oft auch ohne Gebärmutter. Bei einigen ist nur eine rudimentäre Struktur übrig geblieben. Die äußeren Geschlechtsorgane sind vorhanden, aber die inneren fehlen."
    Anthony Atala leitet das Wake Forest Institut für Regenerative Medizin in Winston-Salem, North Carolina. Er und sein Team haben den Mädchen im Labor eine maßgeschneiderte Vagina herangezogen. Heute haben alle vier Frauen ein ganz normales Sexleben.
    "Bei einigen Patientinnen haben wir die Scheiden schon vor acht Jahren eingepflanzt. Lust, Erregung, Feuchtigkeit, Gefühl: All das ist im normalen Rahmen, wie sie uns sagen. Unsere Vagina aus dem Labor hat die gleichen Eigenschaften wie eine natürliche."
    Wenn Chirurgen eine Scheide rekonstruieren müssen, dann nehmen sie dafür bislang ein Stück Darm oder ein Stück Haut der Patientin. Doch die Frauen leiden oft unter Entzündungen, außerdem kann die Scheide schlimmstenfalls zusammenwachsen. Anthony Atala und sein Team wollten das besser machen: Sie haben ein Ersatzorgan aus echtem Vaginalgewebe geschaffen - mithilfe von Zellen, die sie den Mädchen vorher entnommen hatten:
    "Wir haben den Patientinnen ein winziges Stück Gewebe entnommen, und zwar aus der rudimentären Anlage einer Scheide, die sie von Geburt an hatten. Diese Zellen haben wir dann im Labor vermehrt. Anschließend haben wir ein dreidimensionales, biologisch abbaubares Gerüst, das wie eine Vagina geformt ist, mit den Zellen besiedelt und das Ganze in die Patientinnen implantiert. Wenn die Patientinnen noch eine Gebärmutter hatten, haben wir die Scheide mit der Gebärmutter verbunden."
    Im Laufe der Zeit hat der Körper die künstliche Scheide vollständig integriert, sie mit Nerven und Blutgefäßen versorgt. Das biologisch-abbaubare Gerüst ist verschwunden. Schwere Nebenwirkungen habe es nicht gegeben, so die Forscher. Die Vagina aus dem Labor sei von einer natürlichen praktisch nicht zu unterscheiden, so Atala:
    "Die Patientinnen, die eine Gebärmutter haben, können menstruieren - weil die Scheide normal mit der Gebärmutter verbunden ist. Sie sollten also eigentlich in der Lage sein, schwanger zu werden und ein Kind zu gebären. Aber bislang ist das noch nicht passiert."
    Mit dem Verfahren könnte man nicht nur Frauen mit dem Mayer-Rokitansky-Syndrom helfen, sondern auch Frauen, die ihre Vagina durch Krebs oder durch Verletzungen verloren haben.
    Neuen Nasenflügel aus Knorpelzellen
    Im Fachmagazin "The Lancet" wird noch ein zweiter Erfolg im Bereich regenerative Medizin vermeldet: Forscher aus Basel haben Hautkrebspatienten zu neuen Nasenflügeln verholfen. Sie hatten die Nasenflügel aus Knorpelzellen der Patienten geschaffen.
    "Ich möchte zu allererst den Forscherteams gratulieren. Sie haben Patienten geholfen, für die es bislang keine guten Behandlungsmöglichkeiten gab, und das auf beeindruckende Weise. Die Studien zeigen, dass das Tissue Engineering - die Rekonstruktion von Geweben im Labor - mehr und mehr zur Realität wird", sagt Paolo Macchiarini, Professor für Regenerative Medizin am Karolinska Institut in Stockholm. Er selbst hat vor ein paar Jahren die ersten maßgeschneiderten Luftröhren im Labor gezüchtet und in Patienten implantiert. Es wird aber noch lange dauern, bis solche Verfahren regulär in den Kliniken eingesetzt werden können.
    "Am Anfang kann man immer nur eine Handvoll Patienten behandeln, die besonders schwer betroffen sind. Wenn das klappt, muss man reguläre klinische Studien mit vielen Patienten machen, um zu sehen, ob sich das Verfahren bewährt."
    Auch die Schöpfer der maßgeschneiderten Vagina wollen ihre Studien jetzt ausweiten - und mehr Patientinnen mit ihrem Ansatz behandeln.