Dienstag, 19. März 2024

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Medizinischer Meilenstein der Ohr-Chirurgie
Sanfter Weg in die Hörschnecke

Die Cochlea-Implantation ist ein etablierter Eingriff für schwerhörige Patienten, die damit eine Art Hörprothese bekommen. Nun ist gelungen, bereits während des Einsetzens der Elektroden im Operationssaal Rückmeldungen der stimulierten Gehörschnecke für den Operateur hör- und sichtbar zu machen.

Von Maximilian Schönherr | 30.09.2020
Operateurin im Operationssaal mit großem Monitor
Das Uniklinikum Essen führt eine neue Technik beim Einsetzen von Elektroden in die Gehörschnecke ein (dpa / picture alliance / Maximilian Schönherr)
Hier im OP sind acht Menschen. Der Patient liegt in der Mitte, in Narkose, auf der Seite. Das Ohr ist nach vorne geklappt, und er hat ein großes Loch hinter dem Ohr. Es hat ungefähr eine Stunde gedauert, bis wir an der Stelle waren, wo jetzt das Implantat eingesetzt wird. Während die Elektroden in die Hörschnecke, die jetzt freigelegt ist, eingeführt werden – das ist ein vielleicht 5 Zentimeter langer Draht, den es je nach Patienten in verschiedenen Längen gibt – gibt es jetzt dazu ein akustisch-optisches Feedback.
"Mit dieser Messmethode sehe ich quasi in Echtzeit in meinem digitalen Bildschirm, ich selber als Operateur, welchen Impuls ich gerade setze und ob die Reaktion zufrieden stellend ist, also alle Strukturen erhalten sind." Diana Arweiler-Harbeck leitet das Cochlea-Institut am Universitätsklinikum Essen. Das neue Verfahren beruht auf Einblendungen in das digitale Stereomikroskop. Während sie das Implantat mit den Händen einführt, zeigt ihr die Einblendung oben rechts, wie gut es sitzt. In Echtzeit.
Präzisere Möglichkeit, Restgehör zu erhalten
Weist die Punktewolke im Display Brüche auf, "dann kann ich anhalten und mich neu sortieren zum Beispiel, oder den Winkel dieses Elektrodenträgers etwas ändern, um ihn noch exakter in die Hörschnecke reinzuschieben. Auch ein Trauma von 2 Millimetern nach vorne oder nach hinten kann eben ein kleines Erdbeben in der Hörschnecke auslösen."
Das heißt, man hat eine deutlich akkuratere Möglichkeit, Restgehör zu erhalten. Dies ist ihre elfte Operation mit der neuen Technik. Unmittelbar danach schließt sich die zwölfte an. Alle bisher ohne Probleme mit der Software, also ein voller Erfolg. Die Rückmeldung der Hörschnecke während der Operation ist ein medizinischer Meilenstein für die Ohr-Chirurgie.
Cochlea-Implantate gibt es seit den 1980er-Jahren. Damals legte man den Draht aus hintereinander aufgereihten Elektroden noch über die Hörschnecke, seit den 1990ern in die Hörschnecke – ein längst etabliertes und klinisch weitgehend komplikationsloses Verfahren. Ob es den Patienten danach wirklich half, war zwar mit viel Expertise, aber auch Zufall verbunden. Das optische Feedback direkt aus der Hörschnecke mindert diesen Zufall erheblich.
Einsetzen des Elektrodenträgers ist irreversibler Vorgang
Diana Arweiler-Harbeck erklärt: "Bislang hat man den Elektrodenträger in die Hörschnecke geschoben und hat im Prinzip, nachdem man den Elektrodenträger da drin hatte, angefangen zu messen: also Impulse abzuleiten, zu schauen, ob Reflexe vorhanden sind. Dabei misst man eben nach dem Inserieren des Elektrodenträgers – denn das ist ein irreversibler Vorgang, ich kann den nicht beliebig oft herein- und herausziehen, weil ich dadurch die Struktur in der Hörschnecke zerstöre. Man hat bislang also nach dem Inserieren gemessen, wie die Reaktionen des Hörnervs sind, gibt es welche, und wenn ja, wie sind die? Aber man hatte keine Chance, während der Operation zu überprüfen, ob das Restgehör erhalten ist. Außerdem hatte der Operateur nicht die Möglichkeit, diesen Einschiebevorgang zu kontrollieren, also zu sagen: Okay, hier stop, weil du zum Beispiel an eine Struktur gekommen bist, die in der Hörschnecke sehr empfindlich ist, sondern man hat es halt reingeschoben und wusste es nicht."
Und haben Sie heute viel nachgeschoben und gedreht? "Ich habe das ein oder andere Mal anhalten müssen, ja. In dieser Zeit hat sich aber die Reaktion wieder erholt, sodass ich dann einfach weiter vorschieben konnte. Es hat mich im Prinzip in dem Gang und Winkel, den man hat, bestätigt."
Akustikexperte macht Spannungsveränderungen sichtbar
Bei dieser Technik steht hinter der Chirurgin ein Audiologe – ein Akustikexperte. Im Klinikum Essen ist das Stefan Hans. Er sendet beim Einschieben des Implantats elektrische Signale, die bestimmten akustischen Frequenzen entsprechen und misst die Spannungsveränderungen, die die Hörschnecke zurückschickt. Diese Information wertet die Software quasi verzögerungsfrei aus, und Stefan Hans blendet sie in Form einer grünen Punktwolke ins Bildfeld der Chirurgin ein.
Der Audiologe hat beim Patienten vor der OP einen Hörtest vollzogen und sah in der Kennlinie eine Spitze bei etwa 250 Hz – einer sehr tiefen Frequenz, wo der Patient noch relativ gut hörte. Während des Eingriffs triggert er vor allem diese Tonhöhe.
Die Cochlea-Chirurgie ist mit viel Schneide-, Fräs- und Bohrarbeit verbunden. Beim Patienten muss das erst ausheilen, bevor man nach drei Wochen den Prozessor im äußeren Teil des Implantats einschaltet. Dann, so die Essener HNO-Chirurgin, kann er vermutlich Regentropfen und Papierrascheln hören.