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Medizinstudium mit Feuerwehr

Reformstudiengänge und vor allem eine neue Approbationsordnung sollen das Medizinstudium in Deutschland modernisieren. Problemorientiertes Lernen lautet das Erfolgsrezept, das viele der 37 medizinischen Fakultäten bereits umsetzen. Studierende lernen in Kleingruppen, mit realen Krankengeschichten, unter Anleitung von Tutoren. Die Universität Leipzig geht noch einen Schritt weiter. Ihre Studierenden kümmern sich um akute Notfälle mitten auf der Straße.

Von Carsten Heckmann | 28.01.2005
    Die Zwickauer Straße 20 in Leipzig. Ein Mann ist aus der dritten Etage eines Wohnhauses gestürzt. Die junge Notärztin Claudia Andres und ein Kollege sind schnell zur Stelle. Als erstes wollen sie die noch vorhandene Atmung unterstützen, setzen dem Patienten dazu einen Beatmungsbeutel auf den Mund und pumpen. Über eine Kanüle bekommt er zudem Elektrolyte, damit der Kreislauf sich stabilisiert.

    Doch ganz einfach ist das alles nicht. An vieles ist in dieser Situation zu denken. An alles denken die Retter nicht. Sie vergessen, den Blutdruck zu messen, sie übersehen eine Fraktur am linken Bein. Zum Glück ist dies nur eine Simulation. Claudia Andres ist nicht Notärztin, sondern Medizinstudentin. Nach dem Einsatz am Puppen-Patienten ist Zeit für eine Auswertung:

    Man hört das in der Vorlesung, man liest das auch im Buch: Wie sind die Schritte, A, B, C, und was macht man. Und dann ist man auf einmal in dieser Situation und merkt, dass man doch nicht ruhig bleibt, was wahrscheinlich auch ganz normal ist, aber dass man eben doch nicht diese Schritte in dem Moment abarbeitet, sondern dass im Kopf alles quer läuft.

    An zehn Stationen werden die Leipziger Medizinstudierenden hier mit realitätsnahen Situationen konfrontiert. Menschen sind im Auto eingeklemmt oder in einen Schacht gestürzt. Gebrochene Arme müssen geschient, Wirbelsäulen stabilisiert und Herzen reanimiert werden. Schauplätze sind leer stehende Räume, Treppenhaus, Tiefgarage und Dach der Leipziger BioCity. Die Universität hat die Feuerwehr und drei Rettungsdienste als Partner gewonnen. Kursleiter Professor Horst Adam:

    Normalerweise ist es ja auch so, dass die Rettungssanitäter und Assistenten vieles dem Arzt abnehmen. Also der Arzt benutzt kaum eine Schaufeltrage selber. Das macht schon der Rettungssanitäter. Aber er sollte es wissen. Denn es gibt eben immer wieder Unfälle, wo er selbst tätig werden muss. Und dann weiß er gar nicht, wie das Ding zusammengesetzt wird. Und das wollen wir hier durchdrücken, dass der Student das schon mal alles gesehen hat.

    Der Notfallkurs findet zum ersten Mal statt. An drei Tagen werden die 256 Studierenden des siebten Semesters gruppenweise durchgeschleust. Der Kurs ist Teil des Problemorientierten Lernens, das im Oktober 2003 Einzug in die ärztliche Approbationsordnung und ein halbes Jahr später in den Leipziger Lehrplan gehalten hat. Der Unterricht in kleinen Gruppen und mit realen Krankengeschichten wird ergänzt um realitätsnahe Praktika. Dem Mediziner-Nachwuchs macht das Spaß, auch bei Minusgraden in der Tiefgarage, wo ein Patient im auf dem Dach liegenden Autowrack versorgt werden muss. Zum Beispiel durch Intubation, das Einführen eines Schlauchs durch den Mund, um den Atemweg zu sichern.

    Aber willst du den hier intubieren? Das finde ich unbequem. Komm, erst mal ausziehen. Mal schauen, was hier so ist. - Es ist kalt, lass den erst mal angezogen. - Es ist saukalt. Ist es in echt auch so kalt?

    Na klar, sagen die berufserfahrenen Feuerwehrmänner. Diese Antwort hatte Georg Osterhoff natürlich erwartet. Der Student bleibt dennoch bei seinem Berufswunsch:

    Ich möchte in die Chirurgie und vielleicht auch in die Unfallchirurgie und dann ist der Schritt zum Notarzt ja nicht weit. Vor allem ist das auch einfach das bisschen Abenteuer, dass man sich schon vorstellt.