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Meer als Flickenteppich

Umwelt. - Der Raum in der kleinen Ostsee ist heiß umkämpft. Der Mensch nutzt sie als Urlauber, Seefahrer, Fischer, als Windkraftbetreiber als Kies- und Sandproduzent - und dann sind da auch noch die nicht-menschlichen Bewohner, die auch ihr Recht wollen. All diese Ansprüche und die nationalen Interessen der vielen Anrainerstaaten aufeinander abzustimmen, ist eine echte Herausforderung für Raumordnungsplaner und Wissenschaftler. Erstmals haben sie in einem EU-Projekt nun auch grenzüberschreitende Pläne für die Ostsee erstellt.

Von Tomma Schröder | 07.09.2012
    Ein schimmerndes Blau, zwei Segelboote und ein scheinbar unendlicher Horizont. Auf dem berühmten Gemälde der Rügener Kreidefelsen von Caspar David Friedrich stimmt das Bild noch: Es lenkt den Blick auf ein Meer, wie es bis heute in den meisten Vorstellungen existiert: Weit, frei und unberührt.

    "Also, wir haben hier mal versucht so ein paar Konfliktbereiche aufzumalen in diese Karte…"

    Auch Beate Käppeler hat einige Darstellungen vom Meer vor Rügen auf dem Tisch ausgebreitet. Unzählige Linien, Karos, Punkte und Kreise bilden hier ein heilloses Durcheinander. Und wer es nicht besser weiß, könnte auch dies für Kunst halten. Tatsächlich aber arbeiten Beate Käppeler und ihr Kollege Nico Nolte am BSH, dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. Und das abstrakte Gemälde, das vor ihnen liegt, ist ein Raumordnungsplan für die Pommersche Bucht. Nolte:

    "Die Pommersche Bucht ist ganz interessant, weil hier auf sehr engem Raum Meeresgebiete von Polen, Schweden, Deutschland und Dänemark aufeinander treffen und dieser Raum sehr intensiv genutzt wird. Es gibt eine Vielzahl von Schiffsbewegungen, Fährverbindungen, dann werden Offshore-Windparks geplant, Naturschutzgebiete spielen eine große Rolle, Sand- und Kies ist sehr wichtig für den Küstenschutz. Also das ist ein sehr gutes Beispiel, und wir haben da eben das erste Mal versucht für eine grenzüberschreitende Region auch grenzüberschreitend zu planen."

    Denn dort, wo einst höchstens einmal ein Segelschiff am Horizont auftauchte, werden heute Unmengen an Waren und Touristen transportiert, werden Sand, Kies oder Energie gewonnen, werden Fische gefangen oder Muscheln gezüchtet. Weil immer mehr Aktivitäten auf dem Meer stattfinden, hat das BSH bereits Ende der 90er-Jahre damit begonnen, die Nutzungen auf Nord- und Ostsee zu planen und zu begrenzen. Doch weder Fische, noch Vögel oder Schiffe interessieren sich für nationale Grenzen und nationale Pläne. Deshalb wurden in dem jüngst abgeschlossenen EU-Projekt BaltSeaPlan nun erstmals auch Entwürfe für internationale Raumpläne vorgestellt. Das größte Problem, so berichtet Beate Käppeler, war dabei überall das gleiche:

    "Es gibt sicher einen großen Forschungsbedarf. Wenn wir Sand- und Kiesabbau innerhalb dieses Naturschutzgebiet haben: Was heißt denn das für die Populationen, für die Ökologie, für die Biotope, die es da gibt? Wie langfristig ist der Schaden?"

    "Wir haben einfach keine komplette Karte dessen, was im Meer los ist. Wir haben ein großes Verständnis davon. Nichtsdestotrotz merken wir jetzt für Planungsfragen, dass der Detailgrad, der da gefordert ist, doch ein ganz anderer ist als ihn traditionelle Meeresforschung bisher so im Kopf hatte."

    Holger Janßen ist am Institut für Ostseeforschung, Warnemünde, zuständig für die maritime Raumordnung. Mit Hilfe einer seiner unzähligen Modellierungen für die Pommersche Bucht zeigt er, welchen Detailgrad die Forschung schon erreicht hat:

    "Da ist die Frage, wie wirken sich Windkraftanlagen auf das Aufkommen von Quallen aus."

    Janßen zeigt auf die eingezeichneten Windparks, die zwischen Rügen und Bornholm geplant sind. Viele kleine Kreuze sind zu sehen, die sich von dort aus Richtung Südosten bis an die polnische Küste verteilen. Ein Kreuz entspricht 100 Quallen.

    "Was wir im Grunde schon wissen, ist, dass zusätzliches Hartsubstrat, wie wir es eben durch Windkraftanlagen bekommen werden, auch zu mehr Quallen führen kann. Die Frage ist so ein bisschen, wie werden die sich räumlich ausbreiten?"

    Es ist nur eine kleine offene Frage unter vielen. Und doch hat Holger Janßen in seinem Computer auch schon einiges an Antworten gesammelt. Schließlich ist kaum ein anderes Meer so gut untersucht wie die Ostsee. Insofern müssten einige Antworten auch einfach aus Erfahrungen gewonnen werden, meint Janßen. Für die Raumordnungsplanung gilt dann, was auf dem Meer ohnehin unvermeidlich ist: beweglich bleiben.

    Hinweis: Am Sonntag, 09.09, 16:30 Uhr, sendet der Deutschlandfunk in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" ein Feature zum Thema.