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Meeresschutz im Nordostatlantik

WWF-Meeresschutzexperte Stephan Lutter bedauert, dass sich die Teilnehmer der jüngsten OSPAR-Konferenz zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks nicht auf ein Moratorium für Tiefseebohrungen verständigen konnten. Lutter begrüßte jedoch die Einrichtung neuer Hochseeschutzgebiete.

Stephan Lutter im Gespräch mit Wiebke Lehnhoff |
    Wiebke Lehnhoff: Das Meer schützen - dass das wichtig ist, wurde erst vor Kurzem bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wieder deutlich. Entlang der Nordsee und des Nordostatlantiks haben die Länder schon vor mehreren Jahren vereinbart, eine zusammenhängende Schutzzone in ihren internationalen Gewässern einzurichten, und zwar innerhalb des OSPAR-Abkommens, abgekürzt von Oslo-Paris-Abkommen, zum Schutz des Nordostatlantiks. In dieser Woche haben sich Vertreter der 16 Vertragspartner wieder zu einer OSPAR-Konferenz getroffen, und zwar im norwegischen Bergen. Dabei war auch der Meeresschutzexperte Stephan Lutter von der Naturschutzorganisation WWF. Mit ihm habe ich vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, wie die Bedeutung der OSPAR-Konferenz einzuschätzen ist.

    Stephan Lutter: Das OSPAR-Abkommen ist eines der aktivsten und produktivsten Abkommen für den Schutz des Nordostatlantiks und der Nordsee. Wir haben in Europa kaum etwas Vergleichbares. Hier wird beschlossen, welche Auflagen Meeresverschmutzer bekommen, hier wird beschlossen, welche Meeresschutzgebiete man einrichten will und wie man Arten und Lebensräume schützen will.

    Lehnhoff: Heute endet jetzt die OSPAR-Konferenz in Bergen. Vorab hatten sich Naturschützer und Umweltorganisationen ja Sorgen gemacht, weil einige Staaten ihre Unterstützung für die Schutzzone zurückziehen wollten. Wie sind denn die Gespräche und die Verhandlungen gelaufen? Wird es die lang geplante Schutzzone geben?

    Lutter: Mit einer Einschränkung ja. Es wird - und das ist sensationell - sechs neue Hochseeschutzgebiete geben. Das ist dann auch völkerrechtlich verbindlich. Das heißt, zum ersten Mal Schutzgebiete draußen in internationalen Gewässern, und die umfassen insgesamt eine Fläche von ungefähr 300.000 Quadratkilometern. Der Wermutstropfen - und das ist auch das, was wir sehr kritisieren - ist, dass im größten dieser Gebiete, dem sogenannten Charlie-Gibbs-Graben auf dem mittelatlantischen Rücken - das muss man sich vorstellen wie eine unterseeische Bergkette - der nördliche Teil zunächst ausgespart bleibt, weil Island dort den Meeresboden beansprucht.

    Lehnhoff: Warum beansprucht Island den Meeresboden?

    Lutter: Na ja, das können alle Küstenstaaten tun. Sie können über ihre 200-Seemeilenzone hinaus bei der UNO den Meeresboden anmelden als unter ihrer Souveränität, also Bodenschätze dort ausbeuten, wenn sie wollen. Wir sind der Ansicht, sie müssen dann auch den Schutzverpflichtungen nachkommen, die es nach dem Seerecht gibt oder die es nach EU-Recht gibt. Wenn jetzt Island in der EU wäre, würden wir das so sagen. Wir sind deswegen sehr sauer und hoffen, dass es in zwei Jahren repariert ist, das Problem. Wir wissen nämlich, dass es auch anders geht, denn Portugal hat im Süden ebenfalls seinen Kontinentalsockel erweitert und ist bereit für eine Schutzzone. OSPAR hat das sehr begrüßt und eben dort solche Schutzgebiete über dem portugiesischen Sockel eingerichtet.

    Lehnhoff: Jetzt hat der deutsche Bundesumweltminister Norbert Röttgen ja vor einiger Zeit angekündigt, dass Deutschland sich auf der OSPAR-Konferenz in Bergen einsetzen wollte für ein Moratorium für Ölförderung in diesem Gebiet, also in der Nordsee und im Nordostatlantik. Die Position Deutschlands ist ja im Verlauf der Verhandlungen jetzt deutlich abgeschwächt worden. Vielleicht können Sie noch mal ein paar Worte dazu sagen und woran das auch liegt.

    Lutter: Ja, das ist sehr bedauerlich. Alle Umweltorganisationen haben ja nach der Deep-Water-Horizon-Katastrophe gefordert, dass man auch in Europa vorsorglich erst mal, solange die Technik nicht stimmt, auf Tiefseebohrungen jenseits von 200, 300 Metern verzichten soll, und das findet hier ja statt, westlich der Nordsee, also zum Beispiel westlich der Shetlands und der britischen Inseln. Deutschland hat sich dafür zunächst starkgemacht, auch EU-Kommissar Oettinger hat von einem Moratorium gesprochen. Was letztlich hier auf den Tisch kam, war kein Moratoriumsvorschlag Deutschlands, und es wurde, wie zu erwarten, durch die Ölstaaten, die Förderstaaten, hier also Norwegen, Großbritannien zum Beispiel, noch weiter verwässert, sodass wir hier nur eine ganz, ganz wage Besorgniserklärung in der Ministererklärung haben werden.

    Lehnhoff: Aber wie erklärt sich das? Der internationale Aufschrei nach dieser Ölkatastrophe, der war ja riesengroß. Warum sind die Länder sich da nicht einig, dass da etwas getan werden muss und dass man da auch Vorsichtsmaßnahmen in der Nordsee und im Nordostatlantik treffen muss?

    Lutter: Die OSPAR-Staaten haben bisher immer nur beschlossen, was im Normalbetrieb aus Ölplattformen rauskommen darf, an Chemikalien, an Öl. Sie haben sich immer souverän vorbehalten, selber zu entscheiden, wo sie ihre Lizenzen vergeben. Das wäre ein totaler Umbruch auch im Denken dieser Staaten, und den scheinen sie irgendwie nicht zu schaffen.

    Lehnhoff: Gestern wurde ja im Rahmen der Konferenz in Bergen auch der aktuelle Zustandsbericht der Meeresumwelt im Nordostatlantik veröffentlicht. Sie kennen den Bericht. Wie steht es danach um unseren Meeresraum?

    Lutter: Nun haben einige Schadstoffbelastungen abgenommen über die Zeit, aber das hat auch Jahrzehnte gedauert nach den Beschlüssen dazu. So lange dauert es oft, bis Schadstoffe dann aus der Umwelt verschwinden oder geringer werden. Was aber besorgniserregend bleibt - und das zeigt auch dieser Zustandsbericht - ist die Vermüllung der Meere mit festem Müll, mit Plastik, auch in der Nordsee, auch im Atlantik - das war hier auch ein großes Thema -, und der Raubbau an der Natur sozusagen, also die Zerstörung von Lebensräumen und Arten durch, ich würde sagen, in erster Linie Fischerei, also Bodenschleppnetze, Beifang in der Fischerei und Überfischung sowieso.