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"Meese passt in gewisser Weise"

Der Berliner Performancekünstler Jonathan Meese inszeniert 2016 auf dem Grünen Hügel den "Parsifal" - und kündigt ein "wahres Bühneweihfestspiel für die Diktatur der Kunst" an. Für unseren Kritiker Carsten Probst ist Meese eine exzellente Wahl, weil der Künstler Wagners Utopie, Natur und Kunst zusammenzubringen, ebenfalls verfolge.

Michael Köhler sprach mit Carsten Probst | 11.08.2012
    Michael Köhler: Ein Bariton mit Runen, Hakenkreuzen, Lebensborn und Nazi-Tätowierungen in der Erlösungsoper vom Fliegenden Holländer bei den diesjährigen Wagner Festspielen – das ging nicht. Evgeni Nikitin gab wenige Tage vor der einzigen Neueinstudierung die Titelpartie ab. Und dann kam wenige Tage danach die Nachricht, dass 2016 Jonathan Meese den "Parsifal" inszenieren soll, ein streitbarer Maler und Performancekünstler, der genau diese Zeichen ja gerne und viel einsetzt. Was soll das werden, eine Geisterbahnfahrt mit Geschichtssymbolen, kalkulierter Skandal? Warum passt das angeblich so gut? Der eine zeigt doch faschistische Symbole, der andere zeigt, wie ungenügend und kunstfeindlich die Demokratie seiner Meinung nach ist? Bundesadler, Verdienstorden, Hakenkreuze, Heraldik, der gute Junge, der den Bad Boy gibt. Das ist Jonathan Meese. 41-jähriger Berliner Performancekünstler, Maler, Bildhauer. Gerippe und Gewehre, die hat er immer dabei. Das ist Geisterbahnfahren im Reich der Kunst. Und wenn er sagt, diese Oper, der Parsifal, wird ein "wahres Bühneweihfestspiel für die Diktatur der Kunst", dann kann man sich ja grausen. Carsten Probst habe ich gefragt, warum passt der denn eigentlich so gut auf den Grünen Hügel?

    Carsten Probst: Meiner Meinung nach ist Jonathan Meese für Bayreuth eine exzellente Wahl, weil er genau in diesen utopischen, utopistischen Grundrahmen glänzend hineinpasst mit der Travestie dieser Gedanken, die Jonathan Meese eigentlich von Beginn seiner Karriere an performt, müsste man sagen.

    Köhler: Lange Haare, Vollbart, Trainingsanzug. Den Malerpinsel als eine Art Hammer mit Motiven, die sehr deutsch sind. Bundesadler, Verdienstorden, Hakenkreuz, jede Menge Heraldik gibt es bei Jonathan Meese. 41-jähriger Berliner Performancekünstler, Maler, Bildhauer. Gerippe und Gewehre, gern auch mal mit einer Pistole in der Hand. Will sagen, er macht gerne – he does the bad boy pretty good, sagen die Amerikaner zu so etwas. Er gibt den bösen Jungen ziemlich gut mit Anspielungen aufs Dritte Reich, Kinderliedern über englische Kanonen, Humpty Dumpty, Fräulein Siegfried, das er gerne selber gibt. Worauf ich hinaus will: Nimmt er sich nicht selber ein bisschen zu wichtig, ist das nicht genau dieses Ausstellen? Er sagt, er leidet an der Demokratie und der Stellung der Kunst. Das Unwichtigwerden des Einzelnen fasziniere ihn – also das ist doch ein ziemlich kruder Mythencocktail. Ist das wirklich gelungen für Bayreuth?

    Probst: Was ich ihm mittlerweile vorwerfen würde, ist, dass er sich es ein bisschen bequem gemacht hat in Reaktion auf die gewissen Schockwirkungen, die er wohl gegen eigene Erwartung im Feuilleton ausgelöst hat. Also mittlerweile weiß er, dass er nur ein paar Reizworte zünden muss, und schon halten sich die Leuten wieder die Hand vor die Stirn und stoßen Entsetzensschreie aus. Das macht er sich im Moment ein bisschen zu leicht. Andererseits: Der Grundgedanke seiner ganzen performativen Leistung wird davon überhaupt nicht angetastet. Also, das ist eigentlich immer dasselbe gewesen. Gehen wir noch einmal zurück, vielleicht gerade in Verbindung mit Bayreuth, auf die Geschichte der Volksutopien des 19. Jahrhunderts. Das waren ja wirklich die Utopien, Kunst, Leben und Natur zusammenzubringen. Aus diesem Gedanken ist ja auch das Festspielhaus Bayreuth entstanden. Das war Wagners private und durchaus später auch öffentliche Utopie, Natur und Kunst zusammenzubringen und durch die Kunst sozusagen eine neue Art von, ja, idealer Herrschaft stiften. Wie gesagt, das ist das Gedankengut des 19. Jahrhunderts. Was Meese jetzt beispielsweise mit der Diktatur der Kunst und der Propagierung einer neuen Kunst der Zukunft ja travestiert, ist fast O-Ton Wagner zu dieser Zeit gewesen. Was dann später von den Nazis davon adaptiert wurde, ist eigentlich fast genau die Umkehrung gewesen. Da heißt es nicht mehr Diktatur der Kunst, sondern eigentlich einer Kunst der Diktatur, eine durch Kunst verbrämte Diktatur. Und darauf nimmt Meese, auf diesen wunden Punkt, historisch wunden Punkt, nimmt Meese eigentlich auch Bezug.

    Köhler: Wenn er sagt, diese Oper wird ein wahres Bühnenweihfestspiel für die Diktatur der Kunst, dann muss man sich doch eher fürchten, oder? Das ist doch Faschismus im Kleid des Antifaschismus.

    Probst: Also ich würde mich davor nicht fürchten. Ich denke, das wird eine sehr lustige Veranstaltung. Andererseits, wie ich schon sagte, Meese ist ein Produkt der Bundesrepublik Deutschland, ganz klar. Das heißt, er operiert mit den ganzen verdrängten Sehnsüchten, verklemmten Sehnsüchten nach dem Gesamtkunstwerk, das uns Orientierung bietet und das in ganz verbrämter Form ja auch immer wieder durch die Feuilletons geistert. Wenn der große Nachwenderoman gefordert wird oder das große Kunstwerk, das uns die Welt erklärt und dass uns neue Orientierung gibt in Zeiten der Globalisierung. Was Meese macht, ist ziemlich brachial in diese Sehnsucht hineinzustechen und gleichzeitig die riesige Wunde des Totalitarismus, die dahinter steht, aufzureißen. Das wirkt unfreiwillig komisch und bizarr und unglaublich schlecht und kitschig manchmal geradezu. Und ich glaube auch, dass er sich in dieser Rolle mittlerweile gefällt. Ganz unabhängig davon, ich will ihn ja auch gar nicht unbedingt ästhetisch rein nur verteidigen, sondern ich denke, das ist nur das, wodurch er die Aufmerksamkeit des Publikums erhält. Und das ist etwas, wo auch keiner so unbedingt dran vorbeischauen kann. Das ist mehr als ein reines Spektakel, sondern er ist tatsächlich an einem wunden Punkt unseres kulturellen Selbstverständnisses seit dem Zweiten Weltkrieg, er ist immer noch an diesem wunden Punkt dran.

    Köhler: Wenn ich Sie da so recht verstehe, dann wäre das eher Erlösung von der typisch deutschen Hoffnung auf Erlösungsgesamtkunstwerke.

    Probst: Wir hatten ja schon so eine ähnliche Figur, nämlich Joseph Beuys in der Bundesrepublik, die durchaus mit so einem Gesamtkunstwerkgedanken und der sozialen Plastik operiert hat. Auch mit einem schelmischen Zug, weil natürlich diese Kunst für das Bürgertum grottenhässlich und überhaupt keine Kunst war. Meese weiß natürlich, dass man diesen Gedanken des Gesamtkunstwerks der Erlösung überhaupt nicht mehr ernst nehmen kann. Und dass er dennoch irgendwie eine Relevanz hat für unser Kunstverständnis, denn: Was ist Kunst heute? Ist es nur eine Leistung von Einzelnen, die überhaupt niemanden interessieren, oder wie partizipieren wir überhaupt noch an Kunst. Das ist die Frage, die natürlich dahinter steht und die für ihn, sozusagen in der Maske dieser historischen Wendungen und Utopie und Allgemeinverständlichkeit der Kunst natürlich wiederkehrt, aber eben, wie gesagt, als Travestie, und vielleicht ist es auch gar nicht anders möglich.

    Köhler: Nun ist es ja nicht so, als hätte es in Bayreuth nicht irgendwie eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und dem Hakenkreuz gegeben. Also Katharina Wagners "Meistersinger" oder auch der letzte "Parsifal", das ist schon ein Gang durch die deutsche Geschichte, nicht?

    Probst: Genau.

    Köhler: Und das riecht schon ein bisschen doch nach kalkuliertem Skandal, oder nicht?

    Probst: Ein bisschen schon. Also von denen ist es ein geschickter Schachzug, aber was ich meine, ist, es gäbe Künstler, die dafür weitaus schlechter geeignet wären. Also Meese passt in gewisser Weise. Deswegen sind sie ja auch auf ihn gekommen.

    Köhler: Fräulein Siegfried gibt den Parsifal – jetzt. Kunstsöldner Meese gibt ihn dann 2016. Carsten Probst hat sich versucht an einer Begründung, warum der da so gut hin passt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.